Zwischen der St. Galler Gemeinde Wil und den Thurgauer Gemeinden Sirnach und Münchwilen soll in den nächsten 25 Jahren ein neues Industrie-Areal mit bis zu 3000 Arbeitsplätzen entstehen. «Wilwest» nennt sich das Projekt, das die Kantone Thurgau und St. Gallen sowie 23 Gemeinden in der Region realisieren wollen. Von einem «Ostschweizer Leuchtturmprojekt mit nationaler Strahlkraft» ist auf der Website Wilwest.ch gar die Rede. Was im Werbevideo mit keinen Worterwähnt wird, ist der Kulturlandverlust, welcher das Megaprojekt verursacht.
Es geht um bestes Kulturland
Insgesamt wird eine Fläche von 18 ha überbaut und geht so für die landwirtschaftliche Produktion verloren. Und das in einer Zeit, in der Selbstversorgung und Ökologie ein politisches Dauerthema sind. 12 ha sind es auf St. Galler Boden, die übrige Fläche befindet sich auf Thurgauer Kantonsgebiet.
Landwirt Zeno Stadler ist ein Direktbetroffener. Er bewirtschaftet mit seiner Frau Hanna in Bronschhofen, in unmittelbarer Nähe zur Stadt Wil, einen mittelgrossen Betrieb mit Ackerbau, Ölsaatenproduktion, Milchviehhaltung, 800 Legehennen und Direktvermarktung. Die Hälfte der LN sind Pachtflächen.
«Ich werde durch das Projekt Wilwest 9 ha bestes Land verlieren», führt Stadler aus. Ersatz bekommt er dafür nicht. Stadler führt den Betrieb in fünfter Generation, die sechste steht bereits in den Startlöchern. Sohn Andrin absolviert die Landwirtschaftslehre.
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Ungewisse Zukunft für Familie Stadler
Der Landverlust ist für Zeno Stadler traurige Realität, aber grundsätzlich nichts Neues. Schon mit dem Bau der Autobahn A1 im Jahr 1967 hatten die Eltern Pachtland verloren. Vor 15 Jahren wurde vor Stadlers Haustür ein Kreisel gebaut, auch damals musste er Land hergeben. Die verlorenen Flächen wurden jeweils durch Realersatz kompensiert.
«Wir wussten, was mit Wilwest auf uns zukommt», sagt Stadler relativ gelassen. Er geht davon aus, dass es noch gut 20 Jahre dauert, bis Wilwest realisiert wird. Ihn wird das nicht mehr betreffen. «Aber für die nächste Generation stellt sich schon die Frage, ob und wie es hier weitergeht.»
«Politik macht mehr Druck als Wirtschaft»
Zeno Stadler hat das Privileg, dass seine Flächen um den Betrieb arrondiert sind. Allerdings bestehen für das Pachtland keine Pachtverträge, Stadler bewirtschaftet sie als Gebrauchsleihe. Das bedeutet, dass der Grundeigentümer – in Stadlers Fall der Kanton St. Gallen – dem Bewirtschafter das Grundstück gratis zur Nutzung zur Verfügung stellt. Stadler bezahlt keinen Pachtzins, muss jedoch mit dem Risiko leben, dass er die Flächen jederzeit verlieren kann. Das ist bei Wilwest der Fall. «Das sind 9 ha, die mir in der Fruchtfolge fehlen werden», sagt er. Am meisten schmerzt ihn der Gedanke, dass wertvoller Boden einfach abhumusiert wird.
«Von uns Bauern wird stets mehr Biodiversität und Landschaftsschutz gefordert. Das machen wir als Privatpersonen auf unserem Land.»
Zeno Stadler, Landwirt aus Bronschhofen SG
Das Beispiel Wilwest zeige, dass Biodiversität plötzlich kein Thema mehr sei, wenn es um wirtschaftliche Interessen gehe. Wobei Stadler überzeugt ist, dass nicht die Wirtschaft Druck macht, damit es mit Wilwest vorwärts geht, sondern die Politik. Sicher sei nicht alles schlecht an dem Projekt, schiebt er nach. «Es geht ja auch um eine bessere Verkehrsführung, davon profitieren wir.»
Kritik am Verkaufspreis
Die St. Galler Bevölkerung stimmt am 25. September über den Sonderkredit in der Höhe von 35 Mio Franken ab. Mitte-Kantonsrat und Biobauer Sepp Sennhauser steht dem Projekt skeptisch gegenüber. Bei der Abstimmung im Kantonsrat hatte er sich der Stimme enthalten. Gegenüber der BauernZeitung sagt Sennhauser: «Grundsätzlich ist es nicht Aufgabe des Kantons, Bauland zu verwalten.»
Kritik übt er auch am Verkaufspreis: «Der Kanton St. Gallen verkauft 12 ha Land zu einem Spottpreis von 3 Mio Franken. Das ist bedenklich. Ausserdem resultiert für den Kanton fast kein Gewinn.» Die Charta der Gemeinden bezeichnet er als Augenwischerei.
In der Charta ist unter anderem Folgendes festgehalten: Die 23 Regionengemeinden verzichten grundsätzlich zugunsten einer konzentrierten und gesteuerten Ansiedlung im ESP Wilwest auf die Einzonung von neuen Arbeitsplatzgebieten. «Ich bezweifle stark, dass dies dann wirklich eingehalten wird», sagt Sennhauser. Für den Mitte-Politiker stellt sich bei diesem Projekt eine Grundsatzfrage:
«Brauchen wir wirklich noch mehr Menschen und Arbeitsplätze in der Schweiz angesichts des Arbeitskräftemangels und der Wohndichte?»
Sepp Sennhauser, Demeter-Landwirt und Mitte-Kantonsrat
Abstimmungskampf nimmt neue Wende
Bis vor einer Woche schien die politische Ausgangslage ziemlich klar: Mitte-Rechts unterstützt das Projekt, Links-Grün ist dagegen. Doch nun gibt es unerwarteten Widerstand. Am selben Tag, als die BauernZeitung Zeno Stadler auf seinem Betrieb besuchte, wurde bekannt, dass die Delegierten der SVP St. Gallen, der grössten Partei im Kanton, die Nein-Parole beschlossen haben. Die SVP-Fraktion im Kantonsrat hatte der Vorlage in der Aprilsession zugestimmt.
Sepp Sennhauser sagt zum Abstimmungsausgang: «Ich bin mir nicht so sicher, ob die St. Galler Bevölkerung dieses Projekt wirklich will. Hinter Wilwest steht einfach eine sehr (finanz-)starke Organisation, die das Projekt um jeden Preis umsetzen will.» Erschwerend kommt für die Gegner hinzu, dass es kein Nein-Komitee gibt.
Im besten Fall kommt nur die Strasse
Und was passiert, wenn der Kredit wider Erwarten am 25. September abgelehnt wird? Sepp Sennhauser sagt: «Vielleicht wird dann nur die Umfahrungsstrasse gebaut, die es zur Entlastung der Stadt Wil halt schon braucht.» Im besten Fall werde die Überbauung dann nicht realisiert.
Zeno Stadler macht sich darüber nicht allzu viele Gedanken. Er steht auf dem Feld mit Ölkürbissen und schaut nachdenklich in Richtung seines Betriebs. Frühestens 2030 wird hier die neue Umfahrungsstrasse von der Autobahn her durchführen. Seine Flächen werden durch die Strasse getrennt, die Bewirtschaftung wird erschwert. «Ich wünsche mir bei solchen Bauprojekten einfach ein bisschen mehr gesunden Menschenverstand. Boden ist das wichtigste Kapital, das wir in der Landwirtschaft haben.»


