An der frühreifen Kirschensorte Earlise hängen die ersten grünen Früchte. Normalerweise reifen sie in der zweiten Juniwoche heran, sagt Obstbauer Thomas Oswald aus dem Zürcher Rüti. Doch wegen der nass-kühlen Witterung im April hat die Entwicklung eine Pause gemacht und er erwarte in diesem Jahr eine leicht verzögerte Reife.
Alle Jahre wieder wird die Kirschessigfliege (KEF) zum Problem. Thomas Oswald weiss, wie wichtig vorbeugende Massnahmen in den Kirschenanlagen diesbezüglich sind. Denn einen Totalausfall wie beim Erstauftreten des Schädlings 2016 in seiner Niederstammanlage möchte er nicht nochmals riskieren.
Kirschessigfliege in Zahlen
2011 wurde die aus Südostasien eingewanderte Kirschessigfliege (KEF) das erste Mal in der Schweiz beobachtet.
Die 2–4 mm grosse Drosophila suzukii kann erhebliche Schäden im Beeren-, Obst- und Weinbau verursachen.
300 Eier oder mehr kann ein Weibchen innerhalb von 3 bis 9 Wochen (Lebenszeit) legen. Nach einem Tag schlüpfen die Larven und beginnen im Fruchtinneren zu fressen.
10 Generationen können sich maximal pro Jahr entwickeln.
Einflug bei Farbumschlag
Bisher habe Thomas Oswald den Schädling noch nicht in seiner ½ ha grossen Kirschenanlage gesichtet, obwohl die aktuellen feucht-milden Bedingungen für die Entwicklung der KEF optimal sind. «Sie kommen erst, wenn die Kirschen ihren Farbumschlag haben», weiss er. Mit Fallen, wie es oft empfohlen wird, kontrolliere er den Schädling nicht. «Die Falle selbst nützt ja nichts zur Bekämpfung der KEF», begründet er. Entweder beobachte er Frassstellen an den Kirschen oder er legt ein paar Proben in den Gefrierer oder in Salzwasser ein. Bei befallenen Früchten würden die Larven dann jeweils rauskriechen.
Schutz durch Einnetzen
Vielmehr lege er Wert auf das Einnetzen der Kirschenanlage, was er Ende Mai, kurz vor dem Farbumschlag, vornehmen wird. Hierbei handelt es sich nicht um ein gewöhnliches Hagelnetz: «Die Maschenweite wäre viel zu grob und die KEF könnte durchschlüpfen.» Die Kirschenanlage wird mit einem relativ feinen Insektennetz umschlossen.
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«Durch das Einnetzen habe ich keine grossen Schäden mehr.»
Thomas Oswald netzt seit dem Totalausfall 2016 seine Niederstammanlage gegen die KEF ein.
Löcher oder Lücken sollten im Netz vermieden werden. Bei Thomas Oswald ist das nicht überall möglich: «Oben zwischen Folie und Netz hat es ein paar Löcher, wo die KEF in die Anlage eindringen könnte. Wir zögern aber dennoch den Befall mit dem Netz weitestgehend hinaus.»
Sauberes Abernten der Früchte
Ebenfalls wichtig ist das saubere Abernten, betont Oswald. «Reife Früchte müssen abgeerntet sowie vom Boden aufgelesen werden.» Denn die KEF wird durch gärende Flüssigkeiten und Essiggeruch angelockt. Schlechte Früchte dürfen nicht auf den Kompost.
Werden diese vorbeugenden Massnahmen gut umgesetzt, zeigt sich dies auch im Ertrag. Einen Totalausfall hat Oswald seit 2016 nicht mehr erleben müssen. «30 % Verlust kann es immer wieder mal geben. Aber ob diese von der KEF oder den Frostjahren der letzten Jahre stammt, lässt sich nicht eindeutig sagen. Denn jedes Jahr ist anders und ein Befall witterungsabhängig.»
Massnahmen gegen die KEF
Hierzulande besitzt die Kirschessigfliege (KEF) fast keine natürlichen Feinde. Ohne Massnahmen sind daher die grossen Populationsdichten, die sich vor allem im Spätsommer/Herbst entwickeln, kaum zu bewältigen. Am effektivsten wirken Massnahmen, wenn diese kombiniert werden.
Überwachung: «Überwachungsfallen sollten in der Kultur und in unmittelbarer Umgebung aufgestellt werden, um das Vorhandensein des Schädlings nachweisen zu können», rät Lukas Seehausen, Wissenschaftler beim Centre for Agriculture and Bioscience International (CABI) in Delémont JU. Die Früchte zudem regelmässig auf KEF kontrollieren, um den Schädlingsdruck einschätzen zu können – dazu diese in ein Bad mit Salzlösung (85 g Salz auf 1 l Wasser) geben; aus befallenen Früchten tritt die Larve aus. Wegen dem Zuflug aus der Umgebung sei der Massenfang mit Fallen nur sinnvoll, um bspw. innerhalb einer eingenetzten Anlage einzelne Individuen wegzufangen.
Mechanischer Schutz: Um die KEF aus der Anlage fernzuhalten, helfen engmaschige Netze (< 1,3 mm2). Diese Massnahme ist die effektivste, aber teuer (Bsp. Heidelbeeren Fr. 8500.–/ha/Jahr, Amortisation über 10 Jahre, Quelle Agroscope); bei HochstammObst nicht möglich.
Anbaumassnahmen: Für die Entwicklung der KEF-Population sollten ungünstige Bedingungen geschaffen werden. «Die KEF verträgt keine trockene Hitze», sagt Seehausen. Daher dichte Vegetation, Sprühbewässerung, Lecks des Bewässerungssystems, Schatten und Nähe von wilden Wirtspflanzen vermeiden. Stattdessen Vegetation ausdünnen, Tröpfchenbewässerung einsetzen, regelmässig zwischen den Reihen mähen und Unkraut entfernen.
Hygienemassnahmen: Mögliche Brutstätten sollten reduziert werden. «Wir können das erreichen, wenn wir die Ernteintervalle kurz und die Kultur sauber halten. Alle verdorbenen, überreifen oder qualitativ unzureichenden Früchte müssen dringend entfernt werden», rät Seehausen. Diese sollten aber nicht auf dem Komposthaufen landen, sondern in der Bioabfallanlage. Sonst wird der Komposthaufen zur Brutstätte.
Chemische Bekämpfung: Kontakt-Insektizide wirken kaum gegen die Eier und Larven, sondern nur gegen die adulten KEF. Chemische Mittel (Spinosad) sollten deshalb und auch wegen des Risikos der Entwicklung von Resistenzen nur als letztes Mittel eingesetzt werden, rät Seehausen. Das Repellent Kaolin reduziert die Attraktivität der Früchte für die KEF, kann aber Spuren hinterlassen. Für den Tafelfrüchte-Anbau eher Löschkalk einsetzen, was den gleichen Effekt auf die KEF hat. Beide haben eine grössere Wirkung, wenn der KEF-Druck gering ist.
Biologische Bekämpfung: Die KEF besitzt kaum natürliche Gegenspieler hierzulande. In der Schweiz ist aktuell ein Antrag beim Bafu für die Schlupfwespe Ganaspis brasiliensis hängig – ein wichtiger Feind im Ursprungsgebiet der KEF –, um eine Freisetzung hierzulande durchführen und die Schlupfwespe unter hiesigen Bedingungen testen zu können. In Italien, USA, Israel und Frankreich wurde ein solcher bereits genehmigt. Bis zum Sommer soll ein Entscheid gefällt werden. «Ganaspis brasiliensis ist wahrscheinlich keine Wunderwaffe, d. h. die KEF wird durch sie definitiv nicht ausgerottet. Aber wir hoffen, dass die Populationsdichte mit ihr unter einen wirtschaftlichen Grenzwert gebracht werden kann. Andere Bekämpfungsmöglichkeiten müssen wohl zumindest manchmal zusätzlich auch noch durchgeführt werden müssen», sagt Lukas Seehauser.
Was könnte passieren, wenn man die Schlupfwespe nicht ausbringt:
- Es gibt kaum Lösungen für Bio-Bauern,
- Die Kosten sind sehr hoch für die Bekämpfungs-Strategien,
- Es muss weiterhin mit hohem Befall und Ertragsausfall gerechnet werden,
- Es könnten von Unwissenden Nützlinge eingeführt werden, die nicht auf die KEF spezialisiert sind und damit eine Gefahr für die Umwelt darstellen könnten
Die Freisetzungen solcher gebietsfremder Nützlinge müssen prinzipiell nur einmal am Anfang stattfinden. Danach sollte der Nützling im Stande sein sich selbst fortzupflanzen und sich zu verbreiten, führt Lukas Seehausen weiter aus. «Das ist der Unterschied zur augmentativen biologischen Schädlingsbekämpfung, bei der Nützlinge jährlich gekauft und ausgesetzt werden müssen, und auch ein riesiger Vorteil für Obstbauern, da sie dafür keine Kosten tragen.»
Weitere Informationen und Bekämpfungsstrategien gegen die KEF