Das Verhältnis zwischen den Landwirten und ihrer Agrarpolitik ist kompliziert: Denn einerseits hat sich die Politik bei möglichst allen Betriebsentscheidungen rauszuhalten, andererseits soll sie aber doch für stabile Produzentenpreise und ein anständiges Einkommen und so etwas wie Fairness sorgen. Im politischen Diskurs sorgt das dann  dafür, dass die SVP bei der Agrarpolitik klassisch linke Argumente übernimmt, derweil die SP bürgerliche Argumente anführt. So spricht die SVP von Grenzschutz, Einkommensschutz und Stützungsmassnahmen, derweil sich die SP für mehr Marktdynamik ausspricht und nur wenig Lust verspürt, das traditionell von links beackerte Thema Einkommensschutz in der Agrarpolitik konsequent zu verteidigen.

Im Hinblick auf die Eidgenössischen Wahlen im Herbst stellt sich damit die Frage, wen bzw. welche Partei nun denn die Partei ist, die die bäuerlichen Interessen am besten vertritt. Die Frage mag absurd sein; die bäuerlichen Interessen sind nämlich vielfältig, lassen sich sehr schlecht in einzelne Parteiprogramme übersetzen und sind zudem mitunter widersprüchlich. Es ist deshalb nur logisch, dass es die einzige, wahre Bauernpartei nicht mehr gibt und vermutlich in dieser reinen Form auch nie gab. Trotzdem lässt das politische System der Schweiz keine andere Wahl: Wer wählen will, muss für den Ständerat Köpfe und für den Nationalrat Parteisitze wählen. Natürlich steht es frei, einen Wahlzettel zu panaschieren bzw. seine Stimme zu kumulieren. Aber letztlich sind es die Mehrheitsverhältnisse im Parlament, die die Politik beeinflussen werden. Und Mehrheiten werden von Parteien gemacht, deren Interesse nicht primär der Agrarpolitik der Schweiz gilt.

Parteien haben unterschiedliche Funktionen

Wie Adrian Vatter nämlich in seinem Buch «Das politische System der Schweiz» schreibt, haben Parteien vier Grundfunktionen:

  • Sie dienen der Zielfindung, indem sie ideologische Grundhaltungen in ein Parteiprogramm übersetzen.
  • Sie konzentrieren und artikulieren gesellschaftliche Interessen und sorgen so dafür, dass die Gesellschaft politisch abgebildet wird.
  • Sie mobilisieren die Bürgerschaft und garantieren die Wahlbeteiligung.
  • Sie sorgen für die Rekrutierung für politische Ämter, in dem sie Kandidierende vorschlagen.

Es ist augenfällig, dass die Vertretung bäuerlicher Interessen nicht zu den Kernaufgaben einzelner politischen Parteien gehört; zwar gab es in der Geschichte immer wieder Parteien, die sich um die Vertretung einzelner Interessen gebildet haben, sie waren aber letztlich immer nur temporäre Erscheinungen.

Eine reine «Bauernpartei» wäre alleine deshalb gefährdet, weil die Landwirtschaft weniger als ein Prozent zum Bruttoinlandprodukt beiträgt, gut vier Prozent der erwerbstätigen Bevölkerung beschäftigt und damit zu einer Minderheit gehört. Entsprechend geschickt ist es vom Schweizerischen Bauernverband (SBV), die Interessenvertretung mit wechselnden Partnern und über alle Parteien hinweg zu orchestrieren; wäre das nicht möglich, würde der SBV ständig gegen Wände rennen und vermutlich innert kürzester Zeit in der Bedeutungslosigkeit verschwinden.

Tatsächlich aber gehört der Bauernverband zu den am besten vernetzten und ausgestatteten Interessengruppen unter der Bundeshauskuppel; nicht weniger als 135 Organisationen weibeln laut Lobbywatch.ch für landwirtschaftliche Themen – die meisten davon haben einen direkten oder indirekten Bezug zum SBV. Der Dachverband selbst ist über seine kantonalen Organisationen bestens verankert. Logischerweise sind praktisch alle Organisationen ländlich geprägt. Aus der Geschichte der Schweiz folgt, dass sie wie der Bauernverband als Organisation eher rechts der Mitte und eher auf der konservativen Seite verortet werden können. Entsprechend logisch ist deshalb die Nähe zu CVP, SVP, BDP und Teilen der FDP sehr ausgeprägt – obschon auch die SP und die Grünen Landwirte in ihren Reihen haben. Letztere werden allerdings auch innerhalb der Branche eher kritisch beäugt und dürften grundsätzlich relativ grossen Erklärungsbedarf haben.

Bürgerlich wählen

Wie ein Ranking der BauernZeitung von Anfang Jahr ausserdem zeigte, stehen die CVP, die SVP und die Grünen auf dem Podest, wenn es um die bäuerliche Interessenvertretung geht. Zieht man die Fraktionsstärke hinzu, stellt sich aus bäuerlicher Sicht vor allem die Frage, ob man die CVP oder die SVP wählen und damit deren Fraktionsstärke unterstützen soll. Es ist nämlich die Fraktionsstärke in Kombination mit der Fraktionsdisziplin, die über die Abstimmungsmacht im Parlament entscheidet. Dass sich die SVP in der Klimadebatte eine bauernfeindliche Position leistet, ist aus programmatischer Sicht für die bäuerlichen Interessen problematisch und stösst auch viele SVP-Landwirte vor den Kopf. Aus pragmatischer Sicht und mit Blick auf die Mehrheitsverhältnisse im Parlament bleiben vorerst die SVP, die CVP und allenfalls die Grünen die sichersten Werte für die bäuerlichen Interessen.

Die drei Parteien sind auch in Bezug auf die Agrarpolitik 2022+ relativ nahe beisammen. Einzige Unterschiede gibt es bei der Frage, ob bzw. wie die Produktionssystembeiträge umgelagert werden sollen und wie stark die Absicherung der Ehepartner im Gesetz geregelt werden soll. Im bürgerlichen Block eine Sonderrolle nimmt die BDP ein, die sich stärker für die soziale Absicherung von Ehepartner einsetzt als die übrigen bürgerlichen Parteien.

Alle Parteien interessieren sich für die Landwirtschaft

Die Anlässlich der Wahlen im Oktober von der BauernZeitung durchgeführte Umfrage umfasste Fragen zur allgemeinen Agrarpolitik, zur Haltung der Parteien zur Trinkwasser- und der Pestizid-Verbots-Initiative. Zusätzlich wurden die Parteien gebeten, die agrarpolitischen Ziele zu priorisieren und ihre Positionen in einigen Themen der Agrarpolitik 2022+ zu erläutern. Der Bitte sind sämtliche Bundeshausfraktionen nachgekommen; nur bei der GLP und den Grünen war eine Fristverlängerung von wenigen Tagen notwendig. So gesehen wäre es eben auch falsch zu sagen, dass sich die Parteien überhaupt nicht für die Landwirtschaft interessieren.