"Und i ha Heimweh nach de Bärge, nach em Schoggi und em Wii, nach dä Wälder, nach dä Seeä u nach em Schnee. Und i bi wiit wäg vo deheimä i dr Schtadt, woni nid wett sii, verlorä i so vilne Lüüt woni nüm mag gsee", sang 2007 die Mundartgruppe Plüsch und landete damit einen Hit. Immer mehr Leute suchen eine Auszeit in der Einfachheit und im Einklang mit der Natur. Oder eben auch auf der Alp. Weg von der Hektik des Alltags. Sich selber finden. Eins sein mit den Urgewalten. Diese Erlebnisse werden anschliessend gerne in Buchform oder anderer Art auf verklärte Weise an die Frau oder den Mann gebracht. Manchmal liest es sich, wie wenn die Leute von einen Yoga- oder Meditations-Workshop berichten würden oder sich statt für ein Zen-Lager für eine Alpsaison entschieden haben.

Persönliche Alpsehnsucht

Dieses Jahr tangiert die Alpsehnsucht auch mich ganz persönlich. Meine Arbeitskollegin Andrea Gysin hat wegen ihr gar den Beruf gewechselt; weg vom Journalismus hin zur Älpler- und Bäuerin. Auch an meinem Schreibpult hat es wegen der Alpsehnsucht eine Veränderung gegeben. Statt Jasmine Baumann, die nun im Schangnau BE auf der Alp arbeitet, sitzt mir Deborah Rentsch die nächsten drei Monate vis-à-vis. Nicht, dass das schlimm wäre, aber es ist halt doch anders.

Eigentlich ist sie auch in mir, die Sehnsucht nach den Bergen. Jedes Jahr sage ich mir, dass ich vor 50 noch z Alp gehen will. Jedes Jahr kommt dieses 50 ein wenig näher. Z'Alp, das muss man als Landwirtin einfach gemacht haben! Und dann kommt es jeweils ganz anders: Einmal verhindert ein persönlicher Schicksalsschlag den Alpaufenthalt, dann ein Jobangebot oder die Liebe, und langsam gesellt sich ein Quäntchen Angst dazu, es körperlich nicht mehr zu schaffen. Dabei war ich vor über zehn Jahren schon fast auf der Alp.

Die Arbeit auf der Alp ist nicht ohne

Ich habe im Unterengadin auf einem Bergbauernhof die Milch von zehn sehr eigen- willigen Rätischen Grauviechern gemolken, verkäst und das Käselager gepflegt. Mehr als einmal musste ich vor dem Melken meine Kühe auf der Allmend-Waldweide suchen gehen. Ich wüsste also genau, was an Arbeit auf einem zukommen kann auf der Alp. Es kann auch sein, dass es mitten im Sommer schneit oder aus Kübeln giesst, dass kein Zipfel Kleidung mehr trocken bleibt. Was also bitte soll so schön daran sein, dass es in Sehnsucht gipfelt? Sucht man in Texten, in denen Älplerinnen und Älpler zu Wort kommen, die Antwort, wird man auch nicht richtig fündig. Hier deshalb ein Versuch.

Das Alpleben hat fast etwas Klösterliches. Statt des Gebets geben die Tiere und die Natur den Tagesablauf vor. Man steht auf, schaut zum Vieh, man melkt, man käst. Zig Höhenmeter den Berg hinauf und wieder hinunter beim Viehtrieb oder zum Zäunen. Z Alp weisst du abends noch ganz genau, weshalb du müde bist. Parallel zu der vielen und strengen Arbeit wachsen Appetit, Oberarm- und Bauchmuskeln und die Aktivitäten beschränken sich langsam auf das Wesentliche. Man ist und es ist; echt und intensiv.

Wichtig ist das Hier und Jetzt

Die Optionen um einen herum werden weniger, sind begrenzt. Eine Alp. Ein Team. Das gemeinsame Tageswerk. Irgendwie überschaubar. Auf der Alp zählt jede Hand. Da interessiert niemand, ob du einen Titel oder ein Diplom hast. Wer will, kann sich den Herausforderungen stellen und sie meistern. Wichtig ist das Hier und Jetzt: Man steht auf, schaut zum Vieh, man melkt, man käst. Zig Höhenmeter den Berg hinauf und wieder hinunter beim Viehtrieb oder zum Zäunen. Z Alp weisst du abends noch ganz genau, weshalb du müde bist.

Auf der Alp gilt es, den Sommer unfallfrei zu überstehen, alle Tiere gesund zu halten und möglichst keinen geblähten Käse zu produzieren. Was interessiert mich da, wie viele Klicks gerade ein Facebook-Post einer berühmten Person gemacht hat? Was nützt mir hier ein immer surrendes Smartphone, sofern ich denn Empfang habe. Der knechtende Terminkalender wird obsolet, denn der wiederkehrende Tagesablauf ist verinnerlicht. Nirgends kann man sich so einfach aus dem stressigen, unberechenbaren Alltag verabschieden wie mit diesem Mantra: Man steht auf, schaut zum Vieh, man melkt, man käst. Zig Höhenmeter den Berg hinauf und wieder hinunter beim Viehtrieb oder zum Zäunen. Z Alp weisst du abends noch ganz genau, weshalb du müde bist. Das ist sehr befriedigend und tut wohl so einiges dazu, dass die Alpsehnsucht allmählich zum Virus mutiert.