In weiten Teilen der Schweiz hat es seit Wochen nicht mehr ausgiebig geregnet. Die Böden sind trocken, landwirtschaftliche Kulturen müssen bewässert werden. Erinnerungen an den Hitzesommer 2018 werden wach. Damals wurde im Kanton Thurgau ein fünfmonatiges Wasserentnahmeverbot aus Seen und Fliessgewässern ausgesprochen. So weit ist man noch nicht, versichert Heinz Ehmann. Er ist Leiter der Abteilung Gewässerqualität und -nutzung beim Amt für Umwelt (AfU) im Kanton Thurgau. «Aber die anhaltende Trockenheit bereitet uns schon Sorgen», merkt er an. Am Dienstag wurde denn auch auf Antrag des AfU entschieden, den Fachstab Trockenheit einzusetzen.
Die Pegelstände sind tief
Problematisch an der jetzigen Situation ist die Tatsache, dass die ergiebigen Winterniederschläge nur teilweise gefallen sind. Der November, Dezember und Januar waren eher niederschlagsarm. Der nasse Februar konnte dieses Defizit an den meisten Orten nicht kompensieren. Auch der März und die erste Aprilhälfte brachten keine Entspannung.
Alarmierend sind laut Heinz Ehmann die sehr tiefen Wasserstände in allen Fliessgewässern des Kantons Thurgau. Dies könnte bald auch auf den Bodensee zutreffen. Ehmann sagt: «Hier ist zu befürchten, dass die grossen Zuflussmengen im Zuge der anstehenden Schmelzperiode ausbleiben.»
Ähnlich tönt es aus dem Kanton St. Gallen. Auch dort spürt man die Auswirkungen des niederschlagsarmen Winters und Frühlings. Seit Mitte März fielen grossflächig nur zehn bis 15 Prozent des durchschnittlichen Monatsniederschlags. Michael Eugster, Leiter Amt für Wasser und Energie St. Gallen, präzisiert: «In den Regionen St. Gallen-Rorschach, Fürstenland, Untertoggenburg, Neckertal, Rheintal und Linthgebiet ist die Situation bereits angespannter als in den übrigen Regionen des Kantons.»
Niederschlagsdefizit setzte schon im März ein
Während die Grundwasserspeicher gemäss Heinz Ehmann im Thurgau «zufriedenstellend» sind, liegen die Wasserstände im Kanton St. Gallen bei vielen Messstationen in kleineren Grundwasservorkommen zum Teil bereits deutlich unter dem Mittelwert. Einzig die grossen Grundwasservorkommen im Sarganserland und Werdenberg zeigen noch Wasserstände im Bereich der langjährigen Mittelwerte. Michael Eugster gibt zu bedenken: «Im Trockenjahr 2018 begann das Niederschlagsdefizit Mitte April und wurde bis im Herbst stetig grösser. In diesem Jahr haben wir bereits einen Monat früher ein Defizit und auch die Grundwasserspeicher sind wegen des wenigen Schnees weniger gut gefüllt.»
Einschränkungen sind möglich
Stand heute sind in der Ostschweiz in keinem Kanton Einschränkungen für die Bewässerung landwirtschaftlicher Kulturen vorgesehen. Das könnte sich aber rasch ändern, wenn es weiterhin so trocken bleibt. Michael Eugster sagt: «Ob es Verbote für Wasserentnahmen aus Fliessgewässern geben wird, hängt von der Entwicklung der Niederschlagssituation ab.»
Grundsätzlich ist die Entnahme von Wasser aus Grund- und Oberflächengewässern in der Gewässerschutzgesetzgebung geregelt. Für Wasserentnahmen aus Seen, Flüssen und Bächen sowie aus öffentlichen Grundwasservorkommen und Quellen ist eine Bewilligung oder Konzession erforderlich. Im Kanton St. Gallen gibt es laut Eugster die allermeisten Bewilligungen im Rheintal, in Werdenberg und im Sarganserland.
Das Amt für Wasser und Energie habe viele ablaufende Bewilligungen für Entnahmen aus Fliessgewässern in den letzten Monaten überprüft und wo möglich erneuert. «Bei Bächen mit geringer Wasserführung haben wir keine langfristigen Bewilligungen erteilt. So sind die meisten Konfliktpunkte beseitigt», sagt Eugster.
Sparsame und effiziente Bewässerungssysteme
Die aktuelle Trockenheit stellt eine Fortsetzung der in den letzten Jahren zunehmenden Trockenheit dar. «Vor allem bei Fliessgewässern bedeuten die geringen Abflüsse Stress für die Gewässerökologie. Für die Landwirte heisst das, dass eine Brauchwasserversorgung aus Fliessgewässern für die Bewässerung nur noch bedingt sichergestellt ist», sagt Heinz Ehmann. Er legt Landwirten, die ihr Wasser aus Oberflächengewässern beziehen, nahe, sich Gedanken über alternative Möglichkeiten zur Wasserbeschaffung zu machen, zum Beispiel in Form von Speicherbecken.
Michael Eugster berichtet, dass viele Landwirte im Kanton St. Gallen ihre Bewässerungsanlagen nach dem Hitzesommer 2003 optimiert und auf Grundwassernutzung umgestellt haben. In der Gemüseanbauregion Wartau ist ein Konzept für koordinierte Bewässerungen in Arbeit. Trotzdem hat er einen Appell an die Landwirte: «Wir erwarten von den Bauern, dass sie das Wasser für Bewässerungen sorgsam nutzen und möglichst effiziente Bewässerungsmethoden wählen. Ausserdem, dass sie kein Wasser aus kleinen Bächen entnehmen und nur bewilligte Entnahmen vornehmen.»
Kurzübersicht über die Situation in den einzelnen Kantonen
Die Situation in den acht Ostschweizer Kantonen lässt sich gemäss Information der kantonalen Umwelt- und Landwirtschaftsämter wie folgt zusammenfassen:
- Appenzell Innerrhoden: Die Gewässer weisen einen sehr tiefen Wasserstand auf. Kleinere Seitengewässer drohen bereits trocken zu fallen. Die fehlenden Niederschläge führen zu geringerem Pflanzenwachstum, südexponierte Nagelfluhrippen sind teils schon fast braun wegen der Trockenheit, was sonst erst im Sommer der Fall ist. Erhebliche Waldbrandgefahr.
- Appenzell Ausserrhoden: Das Graswachstum ist zwar gehemmt, der Futteraufwuchs ist aber immer noch gut, die Grasnarbe steht dicht. Die Abflüsse in den Fliessgewässern liegen deutlich unter dem langjährigen Mittel. Da die Wassertemperaturen tief sind, bestehen keine akuten Probleme für die Fischbestände. Erhebliche Waldbrandgefahr.
- Glarus: Die Pegelstände für die Fliessgewässer sind angesichts der noch laufenden Schneeschmelze unter dem Durchschnitt, ebenso der Pegelstand des Walensees. Es gilt ein absolutes Feuerverbot im Wald und in Waldesnähe.
- Graubünden: Seit dem 25. März gilt im ganzen Kanton ein absolutes Feuerverbot im Freien. Die Landwirtschaft spürt bis jetzt wenig von der Trockenheit, da der Vegetationsstart in den meisten Regionen noch bevor steht. Die Folgen sind aber absehbar, z. B. indem Einsaaten gar nicht erst auflaufen. Über den ganzen Kanton betrachtet ist die Situation beim Grundwasser gut. In vergletscherten Gebieten sind überdurchschnittlich hohe Pegel bei den Bächen festzustellen.
- Schaffhausen: Erhebliche Wald- und Flurbrandgefahr. Die Trockenheitssituation ist für die Landwirtschaft ernst, aber noch nicht dramatisch. Im Moment gibt es keine Einschränkungen bei der Wasserentnahme aus Oberflächengewässern. Hält die Trockenheit weiter an, könnte es bei der Biber zu Einschränkungen oder gar Einstellung der Wasserentnahme kommen. Die Grundwasserversorgung ist grundsätzlich gewährleistet, nur im Klettgau ist der Grundwasserstand sehr tief. Dies als Folge der trockenen Sommer in den vergangenen Jahren.
- St. Gallen: In kleinen Fliessgewässern ohne Schneeschmelze sind die Wasserstände sehr tief. Die Bedingungen für Fische und andere Wasserlebewesen werden zunehmend kritisch. Die grossen Flüsse und Binnenkanäle führen genügend Wasser. Besondere Einschränkungen sind im Moment nicht erforderlich. Die Waldbrandgefahr ist erheblich, lokal gelten Feuerverbote.
- Thurgau: Erhebliche Waldbrandgefahr. Die sehr tiefen Wasserstände in allen Fliessgewässern sowie im Bodensee sind alarmierend. Ein Wasserentnahmeverbot für landwirtschaftliche Kulturen ist derzeit kein Thema, auch sind keine Notabfischungen nötig. Der Fachstab Trockenheit beobachtet die Lage.
- Zürich: Die Pegel der Bäche, Flüsse und Seen sind vergleichsweise tief für die Jahreszeit. Die Trinkwasserversorgung und die Bewässerung der landwirtschaftlichen Kulturen sind jedoch sichergestellt. Es herrscht erhebliche Waldbrandgefahr.