Es ist der Samstag vor Pfingsten, der 22. Mai. Morgens um 5 Uhr schellt das Telefon auf dem Hof Habsen. Der Nachbar ruft an: «Schaut mal nach beim Hühnerstall, es schwebt eine Drohne über dem Areal, und es scheint überhaupt viel los zu sein. Leute wuseln umher, Autos fahren Richtung Hof.» Die Bäuerin Sonja Degen begibt sich normalerweise gegen 6 Uhr vom Bauernhaus zum fünf Minuten entfernten Stall, um der täglichen Arbeit, die die Haltung der rund 8000 Legehennen mit sich bringt, nachzugehen.
Angekettete Personen
Beim Eintreffen vor der äusseren Stalltür muss Sonja Degen um ein parkiertes Auto herumgehen, an das drei Personen angekettet sind. Auch im Vorraum, wo sich das Eiersammelsystem aus dem Stall zu den Förderbändern befindet, haben sich drei Personen angekettet. Die Innentür zum Stall ist geöffnet, mehrere Personen in weissen Überzügen befinden sich im Innern, hocken vor den Legenestern, den Futtertrögen und den Wasserspendern.
Somit war es für die Tiere unmöglich, Eier an ihrem gewohnten Ort zu legen, noch konnten sie Futter und Wasser zu sich nehmen. Die Bäuerin erinnert sich: «Ich sagte den Eindringlingen guten Morgen und fragte, was hier vorgehe.» Sie erklärten, sie seien hier, um «auf das Leid von Legehennen aufmerksam zu machen; tote und verletzte Tiere sind die Norm». Sie würden den Stall und den Betrieb nicht verlassen. «So blieb mir nichts anderes übrig, als die Polizei zu rufen», sagt die Bäuerin gegenüber der BauernZeitung.
In eine Ecke gedrängt
Die Polizei traf dann gegen 6 Uhr morgens mit einem Grossaufgebot ein. Die durch die eindringenden Personen aufgescheuchten Hühner hatten sich in die hintersten Ecken gedrängt, aufeinander und übereinander. Wie es diese schreckhaften Tiere in aussergewöhnlichen Situationen tun. Die Bäuerin versuchte, ihre Arbeit weiter zu erledigen. Das war eher schwierig, weil die Eier abgefangen werden mussten, denn die Förderbänder konnten nicht benutzt werden.
Red und Antwort
Ihr Sohn Martin, der sich bei ihrer Abwesenheit um die Hennen kümmert, stiess zur skurrilen Szene. Er bat die Kantonstierärztin auf den Platz sowie den Präsidenten von Gallosuisse, Daniel Würgler. Behördenvertreterinnen, Sympathisanten der rund 55 Eindringlinge, Interessierte und Neugierige trafen ein. Der Hausherr Martin Degen, Meisterlandwirt, stand der Polizei sowie den Presseleuten Red und Antwort und erklärte später, der Polizeieinsatz sei professionell verlaufen. 14 Aktivisten wurden abgeführt und verzeigt, wobei der Mediensprecher der Polizei bestätigte, dass sie nach ein paar Stunden wieder freigelassen werden mussten. Bauernfamilie Degen machte auf dem Platz Anzeige wegen mehrfachen Hausfriedensbruchs und wegen Beeinträchtigung des Tierwohls.
Täglich versorgt
Der ganze Spuk war erst gegen 16 Uhr vorbei. Es war ein langer Tag vor einem langen Wochenende. Wobei Familie Degen davon nicht profitieren konnte: Die Hühner wollen täglich versorgt sein, sie erwarten, dass sich gegen 9 Uhr die Ausgänge in die ausgedehnte Aussenweide, überdacht von der Zwetschgenanlage, öffnen. Trotz allem machte die Familie eine erfreuliche Feststellung. «Die Solidarität, die wir von allen Seiten, von Kolleginnen und Kollegen, der Kundschaft und den erweiterten Nachbarn erfuhren, ist riesig», hält Martin Degen fest. Die Bäuerin ergänzt Tage danach: «Aus der halben Schweiz fragen uns Legehennenhalter, ob sie uns irgendwie unterstützen können.»
Gedanken zum Ereignis
Das Ereignis löste nicht nur in der Nachbarschaft von Familie Degen Fragen und Ängste aus. Besonders indirekt betroffene Legehennenhalter aus Baselland sorgen sich, weil Aktivist(innen) während der Besetzung «prahlten», sie hätten von allen Betrieben aus der Region Fotos vom Innern der Gebäude gemacht. «Das bedeutet», sagt Andreas Krebs, der seit 1996 in Oberdorf zusammen mit seiner Familie eine Geflügelfarm betreibt, «dass Leute sich in unsere Ställe einschleichen, sich dort umsehen und Bilder knipsen. Da befällt mich ein höchst beunruhigendes Gefühl.»
Auf die Frage der BauernZeitung, weshalb die Ställe nicht abgeschlossen seien, hält er fest: «Die heutigen Ställe sind mit Wintergarten und Zugang zur Weidefläche vorgesehen. Bei guten Weidebedingungen sind diese offen». So werde der Zugang zum Wintergarten mit Klappen oder Schiebetoren ermöglicht, welche nachts geschlossen seien. Um Aussenbereich und Stall abzuschliessen, müssten alle Klappen, Schiebe- und Rolltore sowie Türen mit einem Schlüssel geschlossen werden. Ein erheblicher Aufwand, genauso wie das Wiederöffnen. Andreas Krebs fragt sich, ob das die Besetzer von ihrem Vorhaben abhalten würde. «Und, wie würde das ausgelegt?», fragt der Bauer. «Da würde es doch sofort heissen, wir Tierhalter hätten etwas zu verbergen.»
Ställe nicht abgeschlossen
Der Verein der Nordwestschweizer Eierproduzenten hält fest, dass sie unter Berücksichtigung der Hygienevorschriften und im Beisein der Besitzer gerne Einblick in ihre Ställe gewähren. Es sei merkwürdig, ihnen quasi vorzuwerfen, sie würden ihre Ställe nicht abschliessen. Dabei sollte doch das illegale Besetzen verurteilt werden.
Andreas Krebs fragt sich, ob aus dem Anlass vom 22. Mai Lehren gezogen werden könnten und meint: «Bei den Besetzern handelt es sich um unbelehrbare, rechthaberische Leute, die die Nutztierhaltung, von der sie nichts verstehen, ablehnen. Verhindern lassen sich wohl solche Überfälle kaum.» Auch die Landrätin Susanne Strub begab sich an jenem Samstagmorgen früh an den Tatort, um sich selbst ein Bild zu machen. «Ich traute meinen Augen nicht, was diese ‹tierliebenden› Aktivisten dort anstellten», sagt sie. Strub, die selber Bäuerin ist, war erstaunt, dass die Kosten für diesen vorsätzlich und grobfahrlässig ausgelöster Polizeieinsatz mit 18 Polizisten, Einsatzleitung, mehreren Polizeifahrzeugen und einem Polizeihund nicht von den Verursachern übernommen werden müsse. Angesichts des mehrstündigen Grossaufgebots der Polizei habe sie sich gefragt, wer wohl diesen Einsatz bezahle. Der Vorfall bewegte sie stark, sodass sie an der Landratssitzung Baselland vom 3. Juni anlässlich der Fragestunde der Regierung einige Fragen stellte.