Die Akzeptanz in der Züchterschaft für die genomische Selektion scheint gross, das zeigen die Besamungen. Dennoch gibt es auch kritische Stimmen. Manche zweifeln etwa daran, dass ein Stier halten kann, was die Werte versprechen. Mehr zu den Hintergründen lesen Sie hier.
«Für die moderne Tierzucht unverzichtbar»
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Ein Satz von Martin Rust gefällt mir ganz besonders gut. «Die Bäume wachsen auch hier nicht in den Himmel», sagt der Vizedirektor von Braunvieh Schweiz zur genomischen Selektion. Aber die Viehzüchter messen allzu gerne die Tanne im Schweizer Wald am Mammutbaum Nordamerikas. Es ist einfach, die genomische Selektion an Einzelfällen, deren Werte nach der ersten «genomischen Euphorie» deutlich gefallen sind, zu verschreien. Mein Kollege Peter Fankhauser kennt sie alle, diese züchterischen Versager, und kritisiert auch, dass man deren Absturz verschweigt. Was sollte Swissgenetics denn tun? Im Katalog schreiben: «Wir entschuldigen uns, Odel ist ins Bodenlose gefallen?» Züchten tut der Bauer oder die Landwirtin. Der Genetikanbieter gibt ihm oder ihr nur das Instrument dazu.
Der Stier muss auf den Betrieb passen
Die Zahlen beweisen es. Die Schwankungen sind deutlich kleiner als früher bei den Prüfstieren mit Abstammungszuchtwert. Natürlich sind sie höher als bei sicher nachzuchtgeprüften Stieren. Hier spricht man aber von mehreren Jahren Unterschied. Man kann auf diese Stiere warten. Wer hingegen voll auf die genomische Selektion setzt, sollte beim Einsatz von Jungstieren nicht alles auf eine Karte setzen, sondern auf Stiere mit unterschiedlichen Abstammungen und zwar solche, die zum Betrieb passen und nicht einfach den Mammutbaum Nordamerikas verkörpern.
Auf frisches Blut achten
Insbesondere in kleinen Populationen, wie beispielsweise der Rasse Swiss Fleckvieh, ist es daher wichtig, verschiedene Linien zu berücksichtigen. Wer einfach ein paar wenige Stiere nach dem höchsten Gesamtzuchtwert auswählt, steht irgendwann mit dem Rücken zur Wand, weil die Breite der Rasse fehlt. Und hier sind auch die KB-Organisationen beim Ankauf von Jungstieren in die Pflicht zu nehmen. Wenn nur noch Stiere mit Blut aus diesen Überfliegern im Katalog stehen, ist das Grab einer Rasse mit geschlossenem Herdebuch relativ schnell geschaufelt.
Weltmeisterinnen haben keine Zukunft
Der Begriff Nachhaltigkeit hat auch in der Viehzucht Einzug gehalten. Das Ziel der Ernährungswirtschaft sind gesunde und langlebige Tiere, die mit Rücksicht auf die Umwelt Nahrungsmittel hoher Qualität liefern. Die Betriebsleitenden müssen sich überlegen, welche Kuh mit welchen Merkmalen am besten zum Betrieb passt. Einseitige Zucht auf Exterieur und Milch wird künftig nicht mehr reichen. Der Wunsch, eine Weltmeisterin zu züchten, hat keine Zukunft. Wir stehen vor grossen Herausforderungen. Die Inzucht, verursacht durch einseitiges Denken nach Maximumwerten, holt uns ein. Zudem müssen wir der Bevölkerung eine Tierzucht erklären, die nichts mehr mit Hinterhof-Idylle aus Vorkriegszeiten zu tun hat. Die genomische Selektion hilft uns, in all diesen Ansprüchen Zeit zu gewinnen, die uns davonrennt.
«Diese Zuchtstrategie bringt nicht nur Gewinner»
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Ich hege keinen Zweifel daran, dass die Milch- und Fleischrassen in den letzten Jahren einen grossen Zuchtfortschritt erreicht haben. Die Genomik hat da sicher einiges dazu beigetragen. Die Kehrseite ist die Anzahl von jungen Stieren, welche die Erwartungen aber nicht erfüllen konnten.
Versager werden schnell vergessen
Man nehme hier nur den RH-Stier Bretagne der 2016/ 17 die Rangliste der Genomstiere mit einem Iset von 1591 anführte, mit einer Milchleistung von +1523 kg. Heute hat Bretagne einen töchterbasierten Zuchwert von 1434 Iset mit +843 kg Milch. Oder den BS-Stier Daredevil mit +1270 kg Milch und einem Euterzuchtwert von 146, der 2016/ 17 als bester Euter-Genomstier galt. Heute hat er nur noch einen Euterzuchtwert von 123 bei +631 kg Milch. Aber auch der Holsteinstier Solomon konnte seine Zahlen nicht bestätigen.Ein eindrückliches Ergebnis liefert auch der SF-Stier Odel. Als Genomstier wurde er 2016 mit +1057 kg Milch verkauft, heute bietet er diesbezüglich sage und schreibe −184 kg. Es gibt aber sicher auch Stiere, welche ihre Genomzahlen bestätigen oder erhöhen konnten. Tatsächlich sind es doch mehr Fehlschüsse als Volltreffer. Die Branche vergisst solche Versager schnell, die Züchter sind dann die Leidtragenden. Es bleibt weiterhin wichtig, die Abstammungen genau zu studieren und sich zu fragen, ob es plausibel erscheint, dass gewisse Genomstiere ihre Zahlen später bestätigen können. Bei töchtergeprüften Stieren sieht man die Schwächen im Katalog sofort, die Genomstiere scheinen im Vergleich dazu keine zu haben.
Die besten Stiere sind nicht mehr frei verfügbar
Früher konnten die vielen KB-Organisationen noch von den besten Stieren der anderen profitieren. So gehörte O-Man Select, aber sein bester Sohn stand bei Semex. Goldwyn wurde in Kanada gezüchtet, aber seine besten Söhne waren in den USA und in Italien zu finden. Elevation stand in den USA, aber sein bester Sohn erblickte in Kanada das Licht der Welt. Es war eine Zeit, als Topstiere frei verfügbar waren und jede Zuchtorganisation versuchte, die besten Tiere für die nächste Generation zu züchten. Zum Vorteil der Rasse und zum Vorteil der Züchter. Heute ist es ganz anders: Die Zuchtorganisationen können fast nur noch ihre eigenen Stierenväter einsetzen, die besten Jungstiere behält jede Organisation monatelang für sich, um dann die Erste zu sein, welche die nächste Generation kreieren kann.
Die Inzucht steigt bedrohlich
Auch der Inzuchtaspekt kommt bei der genomischen Selektion noch dazu. Bei den Holsteinern ist das Mogul- oder McCutchen-Blut sehr dominant, bei den Red Holstein gibt es ausser Apple-Blut fast nichts mehr und auch beim Swiss Fleckvieh sind die Gene von Odyssey und Incas in der Population weit verbreitet. In den USA hat der Inzuchtgrad aller Holsteinkühe eine alarmierende Zahl angenommen. Es ist einer der höchsten Verwandtschaftsgrade, die eine nationale Population vorweisen kann. Zur Zeit der genomischen Selektion hat sich der jährliche Inzuchtzuwachs sogar vervierfacht.
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