Dass im vergangenen Jahr erneut fast 500 Betriebe ihre Türen für immer schliessen mussten, deutet auf eine beträchtliche Not hin. Offenbar ist da etwas im Argen. Die Schweizer Landwirtschaft und die einzelnen Betriebe müssen wettbewerbsfähiger werden, heisst es immer wieder. Leider ist der Wettbewerb eine ziemlich zerstörerische Sache, denn es gibt naturgemäss Gewinner und Verlierer. So ist es auch der Fall bei der Form, in der sich der Strukturwandel in der Landwirtschaft hierzulande seit Jahren manifestiert: Kleine Bauernhöfe können nicht mehr rentabel wirtschaften und gehen ein, die freiwerdenden Flächen ermöglichen den Gewinnern das nötige Wachstum.
Es gibt mehrere Verlierer
Doch es sind nicht nur die kleinen Betriebe, die verlieren. Je mehr Flächen von einem einzelnen Besitzer oder Pächter bewirtschaftet werden, desto weniger Zeit bleibt pro Fläche. Schliesslich ist Personal teuer und gleichzeitig lohnen sich grössere Maschinen und automatisierte Systeme eher, wenn man sie auf mehr Parzellen einsetzen und damit besser auslasten kann. Der wirtschaftliche Druck bleibt also bestehen, er zwingt zu möglichst effizientem Vorgehen. Kleinräumigkeit ist zwar gut für die Biodiversität, genauso wie Steinhaufen, Hecken oder Hochstammbäume. Solche Elemente sind aber auch Hindernisse und aufwendig, nicht immer gleichen die Beiträge da die investierte Arbeit aus. Umso weniger, wenn für die Produkte von Feld und Tier (zu) wenig bezahlt wird.
Die Wirtschaftslogik hat Gefahrenpotenzial
Bessere Produzentenpreise verschaffen Luft, da mit kleineren Mengen ein akzeptables Einkommen zu erzielen ist. Da bleibt genügend Raum, um Hochstämmer zu pflegen oder zugunsten einer Hecke auf einen Teil der Produktionsfläche zu verzichten. Der Kampf um finanzielle Wertschätzung und Anerkennung der Arbeit, die hinter Gemüse, Getreide, Milch und Fleisch steckt, ist aber lang und zermürbend. Vieles scheint festgefahren – nur der Strukturwandel schreitet weiter voran. Wobei es aus Sicht von Wirtschaftsverbänden durchaus noch schneller gehen dürfte.
Dabei muss man feststellen, dass die Wirtschaftslogik für die Landwirtschaft kein Weg ist. Längst ist das wirtschaftliche System über die physischen Belastungsgrenzen der Erde und den für Menschen gesunden Raum hinausgewuchert. Das klassische Prinzip «wachse oder weiche» hat damit das Potenzial, die Landwirtschaft langfristig an die Wand zu fahren. Anhaltend hoher Kostendruck ist ungesund für alle Beteiligten.
Wie mehr Wertschöpfung auf den Hof kommt
An sich bedeutet der ländliche Strukturwandel nicht mehr, als dass sich die Agrarstruktur als Folge äusserer Faktoren wie Politik, Wirtschaft oder Umwelt verändert. Das Hofsterben ist in dem Sinne nicht vorprogrammiert und es gibt eine Alternative: Kooperation. Wenn Betriebe zusammenspannen, können sie grössere Produktionseinheiten bilden – genau, wie wenn die Flächen nach einer Übernahme verschmelzen. Neben der horizontalen Zusammenarbeit mit überbetrieblich genutztem Land, gemeinsam genutzten Maschinen oder Ställen gibt es die Möglichkeit der vertikalen Zusammenarbeit, bei der z. B. Verarbeiter oder Konsumenten ins Boot geholt werden. Die Wertschöpfung der beteiligten Landwirte steigt, sei es, weil sie Brot statt Getreide verkaufen, ihre Ware direktvermarkten oder Konsumenten als Unterstützung im Sinne der solidarischen Landwirtschaft auf den Hof holen.
Aus der Not heraus zusammengefunden
Zusammenarbeit ist nie einfach, man muss sich menschlich finden und man gibt immer eine gewisse Freiheit auf. Wichtig ist laut einer Diplomarbeit der ETH Zürich die Frage nach der Entscheidungsbefugnis. Niemand lässt sich gerne Vorschriften machen, schon gar nicht, wenn man zuvor jahrelang sein eigener Chef war.
Besagte Diplomarbeit verfolgt die Anfänge der Kooperation in der Landwirtschaft zurück bis zum Ende des 19. Jahrhunderts, als Genossenschaften aufkamen. Die Landwirt(innen) seien damals in einer schwierigen Lage gewesen und alleine nicht mehr oder nur bedingt wettbewerbsfähig. Solche wirtschaftlich schwierigen Situationen hätten dazu geführt, dass man über den eigenen Schatten sprang.
Die Lage ist ähnlich, aber die Voraussetzungen besser
Der zitierte Text wurde 2005 verfasst und der Autor kam zu dem Schluss, dass neben traditionellen Werten und dem Bild eines Familienbetriebs als Hemmschuhen die herrschende Not noch zu klein sei, um mehr Landwirt(innen) zur Zusammenarbeit zu motivieren.
Möglicherweise hat sich das Blatt gewendet. Und die Lage ist mit steigenden Kosten für so ziemlich alles nicht einfacher geworden. Trotzdem möchten viele Menschen ausserhalb ihrer Familie einen Betrieb übernehmen. Es handelt sich um gut ausgebildete Fachleute, die ihren Traum mit Motivation verfolgen. Gleichzeitig gibt es heute mehr Möglichkeiten, sich zu vernetzen, und mehr Informationen zu unterschiedlichen Formen der Zusammenarbeit. So hat Agridea eine ganze Website zu diesem Thema aufgebaut. Weiter zeigen immer mehr Höfe, dass das Prinzip – individuell an die Bedürfnisse der Beteiligten angepasst – funktionieren kann.
Wir müssen es lernen
Der Strukturwandel hat somit das Potenzial, die Schweizer Landwirtschaft wahrhaft krisenresistenter zu machen. Dafür müssen wir (wieder) lernen, anderen Menschen zu vertrauen, zu diskutieren, Konflikte auszuhalten und zu lösen. Das gilt im Übrigen nicht nur für die Landwirtschaft, sondern für alle Schweizerinnen und Schweizer.
