Erst kürzlich machte ein tödlicher Unfall mit einem Stier in Deutschland Schlagzeilen. Diese Tiere haben sehr viel Kraft und dürfen nicht unterschätzt werden. Mit dem richtigen Verhalten und einer angepassten Einrichtung im Stall können Risiken vermindert werden.

Der Mensch als Konkurrent

Eine gute Kinderstube ist alles. Dieser alte Ausspruch scheint sich bei Stieren zu bewahrheiten; Bei der Fleischproduktion leben Stierkälber typischerweise in einer Mutterkuhherde und werden darin sozialisiert. Anders sieht es bei Milchrassen aus, wo die Jungtiere von der Mutter getrennt aufgezogen werden. Hier gibt es keine älteren Rinder, die den Kälber Regeln aufzeigen und ihren spielerischen Kämpfen Grenzen setzen. Ausserdem kann es passieren, dass die Stiere so auf Menschen geprägt werden, dass sie diese automatisch als Konkurrenten im Kampf um brünstige Kühe empfinden.

Milchvieh vs. Mutterkuhherde

In einer Milchkuhherde bietet sich die Möglichkeit, den Muni in einer separaten Box zu halten, wie Beat Burkhalter von der Beratungsstelle für Unfallverhütung in der Landwirtschaft (BUL) erklärt. Stierige Kühe suchen selbst die Nähe des Stieres und können bei Bedarf zu ihm gelassen werden.

Im Falle einer Mutterkuhherde gilt es laut Burkhalter, das männliche Tier stets im Blick zu halten. «Sobald Imponiergehabe auftritt, muss der Tierhalter die Situation sorgfältig abschätzen», erklärt der Fachmann, «je nach dem kann man sich durchsetzen und die Rangordnung klären.» Zeigt ein Stier aber wiederholt Drohgebärden, bleibe nur der Gang zum Metzger.

Körpersprache deuten und selbst einsetzen

Neben der Aufzuchtbedingungen gibt es auch im täglichen Umgang einige Punkte zu beachten. Sowohl Mutterkuh Schweiz als auch die BUL betonen, dass die betreuende Person eines Stiers eine klare Führungsrolle übernehmen sollte. Dazu sind ein ruhiges und bestimmtes Auftreten sowie eine entsprechende Körpersprache wichtig. Auch die Körpersprache des Stieres gilt es zu deuten: wenn er sich quer zum Menschen stellt, also seine Breitseite präsentiert, ist das genauso wie das Senken, Reiben oder Schütteln des Kopfes, Brummen oder Scharren als Drohung zu interpretieren. Gemäss Mutterkuh Schweiz sollte, wer sich einem Stier nähert, diesen laut und bestimmt ansprechen

Personenschlupf als Fluchtweg

Bei brenzligen Momenten können Fluchtwege die Situation entschärfen. Die BUL rät etwa, senkrechte Stangen als Abgrenzungen einer Stierenbox einzurichten. So kann der Betreuer rasch durch diesen Personenschlupf die Box verlassen. Das Forschungsinstitut für biologischen Landbau (FiBL) empfiehlt in seinem Merkblatt «Stierenhaltung für die Zucht im Biobetrieb», dem Muni eine Glocke umzuhängen. So weiss man stets, wo sich das Tier gerade aufhält und behält zum Beispiel auf der Weide leichter den Überblick.

An den Nasenring gewöhnen

Ein weiteres Hilfsmittel im Umgang mit Stieren ist der Nasenring. «Im Allgemeinen empfehlen wir Nasenringe für Munis», führt Beat Burkhalter aus, «aber das Tier muss daran geführt werden können». Ausserdem müssten Ringe mit entsprechenden Halftern hochgebunden werden. Im absoluten Notfall wäre es theoretisch möglich, einen drohenden Stier auszubremsen, indem man seinen gesenkten Kopf kräftig am Nasenring (bzw. dem Halfter) hochzieht. Mit erhobenem Schädel muss das Tier den Rücken strecken, was ihm die Kraft für einen Angriff raubt. «Das funktioniert in der Theorie, in der Praxis aber nicht wirklich», erklärt Burkhalter. Nach ihm gilt es derartige Situationen im Vornerein zu vermeiden.

Der Veterinärdienst des Kantons Bern weist in seinem Merkblatt «Umgang mit Stieren» allerdings ausdrücklich darauf hin, dass Stiere über 18 Monaten einen Nasenring tragen müssen, ausser wenn sie vor einer Ortsänderung oder der Schlachtung vorwiegend im Freien in einer Herde oder in Laufställen als Gruppe gehalten wurden. Für solche Ausnahmen müssen aber auch spezielle Vorkehrungen für einen sicheren Transport und Auslad getroffen werden.

Weiter steht in besagtem Merkblatt, dass Stiere nicht am Nasenring angebunden werden dürfen.

 

Präventive Massnahmen

Zur Prävention listet die BUL folgende Massnahmen (nach «TOP»):

  • Technisch: Fluchtwege (Personenschlupf), passende Einrichtung (Anbindevorrichtungen, Fressplatz, Stierenbox, Treibgänge usw.)
  • Organisatorisch: drohende Stiere aus der Herde entfernen, Nasenringe (mit Halfter hochbinden, nur an Führstange führen), gegebenenfalls regelmässiges Führtraining, Stiere nur mit Begleitung einer Kuh aus der Herde treiben, Stier für Unterhaltsarbeiten im Stall oder auf der Weide fixieren oder wegbringen
  • Persönlich: Distanz wahren (nicht verhätscheln), Körpersprache beachten (Mitarbeitende instruieren), Stier im Auge behalten (nicht anstarren), sich nie zwischen Stier und brünstige Kuh stellen

Stress vermeiden

[IMG 2] Grundsätzlich können Stress-Situationen die Tiere nervöund damit auch aggressiv machen. Um Stiere (und Rinder) nicht unnötig zu stressen, hilft es, ihr Verhalten besser zu verstehen. So haben Rinder ein Blickfeld von etwa 270°, was seitlich davon liegt nehmen sie nur undeutlich wahr. Das gleiche gilt für Objekte in mehr als zehn Meter Entfernung. Abwehrreaktionen sind zu erwarten, wenn man sich aus dem toten Winkel (hinter dem Tier nähert). Weiter dauert die Hell-Dunkel-Anpassung bei Rindern 10mal länger als bei Menschen. Daher weigern sie sich auch, rasch in den dunklen Stall zu treten; sie sehen darin zuerst nichts und brauchen daher mehr Zeit. Unbekannte Geräusche (fremde Stimmen) und Gerüche (unbekanntes Parfüm) können Stiere und Rinder nervös machen.

Zuchtstiere: wenig Probleme

Immer wieder mit unbekannten Situationen konfrontiert werden Leasing-Stiere. Trotzdem gibt es bei diesen Tieren laut Urs Jaquemet von Vianco selten Probleme wegen Aggressivität. «Wir gestalten die Ankunft in einer neuen Herde möglichst schonend und laden den Stier in einer gesicherten Umgebung (einem Stall oder Laufhof) aus», erklärt er. Erst wenn sich das Tier etwas eingewöhnt hat, kann es auch auf die Weide. Auf einer Alp ist der Fall manchmal etwas anders gelagert, «dort hat es aber auch mehr Platz zum Kennenlernen und Ausweichen», gibt Jaquemet zu Bedenken.

Mutterkühe gefährlicher als Stier

Zwar würden immer mal wieder Leasing-Stiere vorzeitig zurückgeschickt, allerdings meist wegen Kleinigkeiten. Das begründet Jaquemet auch damit, dass bei Vianco ausschliesslich Fleischrassen-Stiere vermietet werden; Auch er ist der Meinung, dass dank dem engen Kontakt zum Muttertier weniger charakterliche Probleme bei den älteren Stieren auftreten. «In einer Mutterkuh-Herde sind die Muttertiere, die ihre Kälber beschützen, eine grössere Gefahr als ein Muni, der in der Herde mitläuft. Anders sieht es bei Milchherden aus, wo der Kontakt mit den Tieren und somit auch mit dem Muni viel enger ist. Der Umgang mit einem Zuchtstier in einem Anbindestall ist nicht zu vergleichen mit der Freilaufhaltung, wo ein Weichen einfacher ist. Hier muss die Rangordnung klar geregelt sein, sonst kann es gefährlich werden.», erklärt der Vianco-Fachmann

 

ESAF-Muni Kolin war ein Milchkuhstier

Am Eidgenössischen Schwing- und Älplerfest 2019 gewann der damals gekrönte Schwingerkönig Christian Stucki den Muni Kolin. Anfang 2020 musste der Schwinger Abschied nehmen von Kolin, weil er mehrfach aggressiv geworden war. (zum Hintergrundartikel oder das Interview mit Christian Stucki lesen)

Der Eidgenössische Siegermuni Kolin war ein Milchkuhstier. Offenbar veränderte sich sein Verhalten, weil er mit der Zeit Menschen als Konkurrenten ansah und seinen Züchter Mändel Nussbaumer angriff. Infolgedessen wurde Kolin geschlachtet. 

 

Distanz wahren

Generell empfiehlt Urs Jaquemet keinen übertrieben engen Kontakt zu einem Stier: ihn mit einem Stock am Rücken zu streicheln ist laut ihm angemessen, den Kopf zu kraulen oder das Tier zu knuddeln hingegen nicht. «Es ist schön, wenn es jemand gut hat mit seinem Stier», räumt er ein, «aber das kann hundertmal gut gehen und plötzlich nicht mehr».