Ein roter, ausgedienter Eisenbahnwagen der Appenzellerbahnen direkt neben der Dorfstrasse gehört seit Jahren zum Dorfbild von Bergün. Er ist zum Hofladen des heutigen Betriebs Bio Bergün umgebaut worden. Ein deutscher Tourist, der soeben einen regionalen Einkauf getätigt hat, findet den Wagen super.  Zusammen mit einem benachbarten Betrieb sind Romy und Marco Schmidt vor Jahren auf die Idee mit dem Eisenbahnwagen gekommen. Die beiden haben im Jahr 2012 den Hof an die fünfte Generation übergeben: an ihren Sohn Riet und dessen Frau Franziska Amstad.

Ein besonderes Jahr

Für Franziska Amstad und Riet Schmidt war das vergangene Jahr ein besonderes. Sie konnten im durchgehend neu gestalteten Ökonomieteil ihres Engadiner Hauses vier modern eingerichtete, komfortable Ferienwohnungen fertigstellen und erfolgreich vermieten. Zudem haben sie in diesem Teil des Gebäudes, der zuvor vor allem als grosszügig bemessener Abstell- und Stauraum genutzt worden war, einen zweiten Hofladen mit einem bedienten und einem unbedienten Teil eingerichtet.

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Gehört schon beinahe zum Ortsbild von Bergün: Der alte Eisenbahnwagen, der zu einem Hofladen umfunktioniert wurde.

Dazu kommen eine Käserei und die Infrastrukturen zur Herstellung von Molkereiprodukten wie etwa Joghurts oder Frischkäse. Es sind aber auch die Einrichtungen geschaffen worden, um im neuen Event-Raum, der sich im ehemaligen Kuhstall befindet, grössere Gesellschaften mit einfachen Gerichten zu bewirten oder mit einem Apéro zu verwöhnen. Der Raum eignet sich auch zur Durchführung von Vereinsversammlungen oder Tagungen. Der neu gestaltete Garten lädt zum gemütlichen Grillfest ein.

Den Kuhstall ausgesiedelt

Die Voraussetzung zu diesem markanten Ausbau der Standbeine Direktvermarktung, Events und Vermietung von Ferienwohnungen hatte die vierte Generation Schmidt geschaffen. Romy und Marco Schmidt haben bereits im Jahr 1994 den Kuhstall ausgesiedelt. «Wir planten den Stall ausserhalb des Dorfes von Anfang an so, dass eine einzelne Person in der Lage sein soll, diesen zu bewirtschaften», sagt Romy Schmidt. Deshalb wurde der Stall als Laufstall konzipiert und mit einem Heukran ausgerüstet, was damals noch eher ungewöhnlich war. «Wir haben für die Bewilligung kämpfen müssen», erinnert sich Romy Schmidt. «Viel zu gross», habe man in Chur damals befunden. Diese Grösse hat sich im Nachhinein allerdings als Vorteil erwiesen. Noch heute erfüllt der Stall die aktuellen Vorgaben zur BTS- und RAUS-Tierhaltung.

Auch der Umbau und die Neunutzung des ehemaligen Ökonomieteil des Gebäudes durch die fünfte Generation war anspruchsvoll und beanspruchte viel Zeit. Dem offiziellen Baustart Anfang November 2018 waren drei Jahre Planung vorangegangen. Das liegt zum einen daran, dass die baurechtlichen Voraussetzungen nicht einfach sind. Bergün, das Dorf am Albulapass, befindet sich im Bundesinventar der schützenswerten Ortsbilder. Gebäudefassaden müssen möglichst erhalten werden und nur geringfügige Änderungen sind bewilligungsfähig.

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Blick auf den Betrieb Bio Bergün am Albulapass.

Komplexes Projekt

Dazu kam aber auch die Komplexität des Umbauprojekts: «Wir mussten zuerst unsere eigenen Bedürfnisse erkennen», sagt Riet Schmidt. «Dazu waren mehrere Entwürfe unserer Architekten nötig.» Es sei nicht einfach gewesen, neben den neuen Verarbeitungsräumen vier vom Grundriss her völlig verschiedene, ineinander verschachtelte Ferienwohnungen zu realisieren. «Keine der Wohnungen ist wie die andere», stellt Schmidt fest. Zudem haben Franziska Amstad und Riet Schmidt grossen Wert auf einen hohen Ausbaustandard und Komfort der Wohnungen gelegt, die in einem oberen Preissegment vermietet werden. Bei der Einrichtung der Ferienwohnungen wurden bewusst traditionelle Elemente wie etwa ein alter Holzofen mit modernem Design kombiniert.

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Modernes Design in Kombination mit traditionellen Elementen wie etwa ein alter Holzofen sind ein Merkmal der Ferienwohnungen auf dem Betrieb Bio Bergün. (Bild Hannah Bichay)

Gut angelaufen

Im ersten Betriebsjahr ist die Vermietung der Ferienwohnungen gut angelaufen. «Während der Spitzensaisons waren wir ausgebucht», sagt Franziska Amstad. Im Winter wartet Bergün mit einer Schlittelbahn und einem Skigebiet auf. Im Sommer eignet sich der Ort als Ausgangspunkt für Wanderungen. Franziska Amstad und Riet Schmidt bieten ihren Gästen aber auch Bauernhof-Ferien an. «So können  unsere Gäste unabhängig von Wetter und Saison erlebnisreiche Ferien geniessen», sagt Franziska Amstad. «Wir machen zudem auch Werbung für die Landwirtschaft», fügt Riet Schmidt an. «Unsere Gäste haben Zeit, unsere Landwirtschaft zu hinterfragen. Sie sehen, dass wir auf unserem Biobetrieb bewusst und nachhaltig produzieren und einen guten Umgang mit den Tieren haben.»

Zeitintensive Betriebszweige

Landwirtschaft, Parahotellerie und Direktvermarktung: Franziska Amstad und Riet Schmidt führen einen Betrieb mit drei zeitintensiven Standbeinen. Dazu sind sie noch Eltern dreier Kinder: Romina (10), Elin (3) und Livia (2 Monate). Um die täglich anfallende Arbeit zu bewältigen, sind sie auf Angestellte angewiesen. Zu diesen zählt Romy Schmidt, die im Stundenlohn mitarbeitet, sowie eine 100-Prozent-Angestellte. Zur Bewältigung der Arbeitsspitzen – etwa am Samstag, wenn die Feriengäste wechseln – braucht es weiteres Personal. Die täglich anfallende Arbeit hat das Betriebsleiterpaar so unter sich aufgeteilt, dass die klassische Landwirtschaft eher die Domäne von Riet Schmidt ist, während sich Franziska Amstad schwergewichtig um die Bereiche Direktvermarktung und Parahotellerie kümmert.

Milch- und Fleischproduktion

Der Hof Bio Bergün verfügt über eine Landwirtschaftliche Nutzfläche von 40 Hektaren Weide- und Wiesland auf einer Höhe von 1400 Metern über Meer. Auf diesem betreibt Riet Schmidt Milchwirtschaft und die Aufzucht von Ochsen. Im Sommer befindet sich der gesamte Viehbestand auf der Alp. Die Milch, die während der Alpsaison gemolken wird, wird verkäst. Einen guten Teil der Milch, die auf dem Talbetrieb anfällt, verkäst Riet Schmidt in der neu erstellten Käserei. Sie wird aber auch zu Frischkäse und anderen Molkereiprodukten wie  etwa Joghurts verarbeitet. Diese werden über den Direktverkauf abgesetzt. Was an Milch übrig bleibt, wird von der Genossenschaft Mooh übernommen. Schmidts Ziel ist es, möglichst alle Milch selber zu verarbeiten und zu vermarkten. Die Ochsen des Hofs Bio Bergün werden nach dem zweiten Alpsommer geschlachtet. Das Fleisch wird zu einem guten Teil als Mischpakete an Stammkunden in der gesamten Deutschschweiz geliefert.

Positive Rückmeldungen

Die Direktvermarktung hat auf dem Betrieb Bio Bergün seit der Ausgliederung des Milchviehstalls eine zunehmend grössere Bedeutung gewonnen. Der klassische Landwirtschaftsbetrieb mit seiner Produktion an Milch und Fleisch ist sozusagen das Rückgrat, auf dem sich der Betriebszweig Direktvermarktung stetig weiterentwickelt hat.

Basis des Hofladens sind die Produkte aus eigener Produktion. Diese werden durch gezielte Zukäufe ergänzt. Sie stammen von benachbarten Betrieben. Es können aber auch Produkte sein, die zur Philosophie des Betriebs Bio Bergün passen: Etwa solche von Granalpin; Tee, Kaffee oder Apfelringli in Bioqualität; Kaffeebohnen, die in Arvenspänen geröstet wurden. Die Direkt-vermarktung bringe zwar viel Arbeit, aber auch viel Freude in Form von vielen Kontakten  und positiven Rückmeldungen, finden Franziska Amstad und Riet Schmidt. Die Direktvermarktung sei auch ein Beitrag, den Sinn der Konsumenten für nachhaltig produzierte Lebensmittel zu schärfen.