«Weisch no …» ist der meistbegonnene Satz, wenn wir uns an einer Klassenzusammenkunft treffen oder im Familienkreis in Kindheitserinnerungen schwelgen. «Weisch no ...» und dann folgen Geschichten von mehr oder weniger harmlosen Bubenstreichen, von strengen Lehrern, die uns nicht selten handgreiflich Rechtschreibeunterricht gaben, vom Pfarrer, der uns für allfällige Todsünden die brennende Hölle in Aussicht stellte und von Eltern, die unsere Freizeit mit tatkräftiger Mithilfe in Haus und Hof einzuschränken vermochten. 

In unserer Erinnerung kehren wir zurück zu unserem damaligen Dorf, mit den wenigen Häusern und den groben Naturstrassen. Jedes Haus hatte eine eigene Geschichte, und von den Leuten, die da wohnten, wusste man alles, fast alles ...

 

Zur Person

Toni Merki ist pensionierter Landwirt. Er liest jede Woche die BauernZeitung von A bis Z und hat im Leben viel erlebt. Wie diese Geschichte aus seiner Kindheit, die er gerne mit uns teilt.

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Ein Schuljahr im Zeichen der Glocken

Ein Erlebnis aus meinen Kindheitserinnerungen, nebst unzähligen andern, ist mir unauslöschlich eingeprägt geblieben: Nachdem die katholische Kirche 1939 abgerissen und neu gebaut worden war, hingen im Glockenturm, der stehen geblieben war, immer noch die fünf alten Glocken, die, wie unser damaliger Pfarrer nicht genug versichern konnte, kein klangvolles, zeitgemässes Geläute mehr zustande brachten. Eifrig ging er auf Hausbesuche, die er gleich als Bitte für eine grosszügige Gabe an neue Glocken verband. So um 1954 herum war es dann so weit, fünf neue Glocken wurden bei der Glockengiesserei Rüetschi in Aarau bestellt. 

In unserer Sekundarschule wurde das bevorstehende Ereignis zum Thema des Jahres. Von unserem Schulzimmer aus konnten wir beobachten, wie im Kirchturm ein grosses Loch herausgeschlagen wurde und die alten Glocken per Seilzug auf dem Boden neben der Kirche landeten. So lernten wir das Gedicht «Der Glockenguss von Breslau» vom deutschen Dichter Wilhelm Müller auswendig. Friedrich Schillers «Lied von der Glocke» ­wurde zum Thema etlicher Deutschstunden und im Zeichnen stand der Glockenturm im Zentrum.

Mit historischer Anstrengung die Glocken hochgezogen

Mit blumengeschmückten Pferdegespannen wurden die neuen Glocken in Aarau abgeholt und in jedem Dorf auf dem Heimweg mit Glockengeläute der jeweiligen Pfarrkirche begrüsst. Nach der bischöflichen Segnung im Festgottesdienst am Sonntag mit Taufe jeder einzelnen Glocke stand für Montag der feierliche Aufzug der Glocken in den Kirchturm durch die Pfarrjugend auf dem Programm. Wunderbar in ihrem Bronzekleid standen sie da, der Grösse nach aufgereiht: behäbig die tonnenschwere Grosse bis hin zur Kleinen, die der Mutter Gottes geweiht war.

Mit Flaschenzug und unter Kommandorufen schwebten sie dann mit Jugendkraft hinauf zur grossen Öffnung im Kirchturm. Ein feines Stück Brot und ein Cervelat belohnten uns für unsere historische Anstrengung. 

Ein etwas dürftiger Schluss-Aufsatz

In der folgenden Woche kam es dann in der Schule zum erfolgreichen Abschluss der ganzen Glockengeschichte: ein Aufsatz als Hausaufgabe mit dem Thema «neue Glocken im Kirchturm». Obwohl ich sonst bekannt war für lange Aufsätze, hielt ich mich diesmal eher kurz bei diesem Thema, das mir doch allmählich zum Hals heraushing. Zu kurz, wie der Lehrer fand und unter meinen Aufsatz die Bemerkung «etwas dürftig!» schrieb. 

Viel sachlicher und prägnanter wusste es ein anderer Schüler zu schildern: «Fünf schöne, neue Glocken lagen da. Der Herr Pfarrer und der Kirchenpflegepräsident hielten eine Rede. Nachher wurden sie aufgehängt. Seither ist es wieder viel gemütlicher in unserem Dorf!»