«Auf einer Kuh gesessen habe ich schon öfter, aber an einem Kuhrennen teilgenommen – das habe ich noch nie gemacht», sagt Seraina Pedrolini, Finalistin beim BauZ-Wettbewerb «Lehrling des Jahres 2024». Ihre Premiere als Renn-Reiterin hat die lernende Landwirtin, die in der Rubrik «Lehrlingstagebuch» regelmässig für die BauernZeitung berichtet, mit Bravour bestanden: Am Kuhrennen auf dem sankt gallischen Flumserberg hat sie sich mit Kuh Melissa den dritten Platz gesichert. Einige Tage nach dem grossen Rennen, das heuer einen neuen Besucherrekord verbuchen konnte, hat sie mit uns über die Vorbereitungen und den grossen Tag gesprochen.
Mit dem Rennfieber angesteckt
«Ich war 2019 zum ersten Mal als Zuschauerin am Kuhrennen und hatte einen Riesenspass. Per Zufall habe ich damals den Organisator des Rennens kennengelernt», erinnert sich Seraina Pedrolini. Nachdem Anlass in den folgenden Jahren ausgesetzt wurde, hat die angehende Landwirtin heuer spontan angefragt, ob eine Teilnahme als Reiterin möglich wäre. «Als es hiess, dass es noch freie Plätze habe, stand mein Entschluss zur Teilnahme sofort fest.»
Welche Kuh rennt am besten?
Seraina Pedrolini hilft ihrem Onkel häufig auf dessen Betrieb; dort hat sie auch die ersten Reitversuche unternommen. Doch welche Kuh sollte sie für das Rennen auswählen? «Ich kenne jedes Tier in der Herde und hatte eine ganz bestimmte Kuh im Auge. Die fand das Reiten offenbar lustig und angenehm, aber sie wollte eigentlich lieber einfach ständig gekrault werden. Nicht ganz optimal, wenn man ein Rennen reiten will», meint die St. Gallerin und lacht herzhaft.
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Also hat sich Pedrolini für die vierjährige Melissa entschieden, denn «sie ist die Temperamentvollste in der Herde». Doch Melissa wurde noch nie geritten, weshalb das Tier erst an eine Reiterin gewöhnt werden musste. «Es hiess, man müsse viel Geduld aufbringen und viel mit der Kuh üben», erzählt die Lernende. Zuerst habe sie der Kuh den Gurt angezogen, an dem man sich während des Rennens festklammert. «Den fand sie aber nicht wahnsinnig angenehm, also habe ich es immer wieder aufs Neue versucht.»
Schliesslich habe sie das Reiten ein einziges Mal geübt, gibt Seraina Pedrolini zu Protokoll. «Ich hatte wenig Zeit und eigentlich nur eine einzige Gelegenheit, das Ganze so richtig zu üben. Also habe ich auf Melissa unzählige Runden um den Miststock gedreht. Sie hat mich ein paar Mal abgeworfen, aber schliesslich klappte es nicht schlecht.»
Ein gutes Dreierteam
«Beim Rennen bist du mit der Kuh nicht allein unterwegs, sondern wirst noch von einem Treiber begleitet, der schaut, dass alles klappt», erklärt die junge Frau. An Seraina Pedrolinis Seite stand David Schmid aus dem Bündner Bergdorf Latsch. Er hatte Kuh Melissa noch nie gesehen, «aber er hatte vollstes Vertrauen», meint Seraina Pedrolini und schmunzelt. Gemeinsam hätten sie Melissa am Vorabend des Rennens «hübsch zurechtgemacht» und noch einmal einen Versuch gewagt.
Als der Tag des Rennens gekommen war, machten sich Seraina Pedrolini, David Schmid und Melissa auf und fuhren auf den Flumserberg. «Am Vormittag werden die Kühe mitsamt den Reiterinnen vorgestellt und die Leute können Wetten abgeben, wer denn gewinnen werde. Das ist bis zum Start um 15 Uhr möglich», erklärt Pedrolini. Melissa sei zunächst ganz ruhig geblieben, doch offenbar liess auch sie sich vom Rennfieber anstecken, als sie den Gurt und einen Kopfschmuck angelegt bekam.
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«Der Moderator des Rennens fragte mich nach dem Befinden und ich sagte, dass Melissa sehr temperamentvoll sei. Das hat wahrscheinlich nochmal einige Leute dazu gebracht, auf uns zu wetten», verrät Pedrolini kichernd.
Und los gehts...!
Seraina Pedrolini, David Schmid und Melissa starteten mit der Startnummer 9 auf der alleräussersten Bahn, gleich beim zahlreichen Publikum, das die Reiterinnen lautstark anfeuerte. «Das Startsignal gaben die Trychler, die immer schneller und schneller schellten. Das hat Melissa wohl etwas verunsichert», analysiert Pedrolini. Melissa habe mucksmäuschenstill dagestanden und beinahe den Start verpasst.
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«Wir liefen als letzte los und hatten nach einer Runde – also nach der Hälfte des Rennens – erst vier andere Teams überholt», so die junge Landwirtin. Viel Kühe würden nach der ersten Runde jedoch nur noch im Schritt gehen, aber nicht so Melissa: «Sie hat anderthalb Runden lang Vollgas gegeben, sodass wir noch ein paar Kontrahenten überholen konnten.»
Schliesslich wurde es kurz vor dem Ziel knapp: «Man darf die Kuh nicht hetzen, das ist verboten. Der Treiber darf einzig ein wenig ziehen oder schieben, aber nicht mehr. Man muss also mehr oder weniger darauf hoffen, dass das Tier nochmal Gas gibt. Und das hat Melissa gemacht, sie hat vor dem Ziel nochmal richtig angefangen zu rennen. So sind wir als drittes Team über die Ziellinie gekommen», freut sich Pedrolini. Als Preis hat sie eine Schelle, einen Blumenstrauss und eine Auszeichnung mit nach Hause nehmen dürfen. «Melissa hat das super gemacht, ich bin sehr stolz auf sie und freue mich riesig», resümiert Seraina Pedrolini.
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Fitte Kuh dank Physiotherapie
Um ein Haar wäre Melissa jedoch gar nicht erst als Reittier infrage gekommen. Diesen Sommer hatte sie nämlich eine schwere Geburt, infolge derer sie auf einer Seite lahm ging. «Dank der Hilfe eines Tier-Physiotherapeuten haben wir Melissa zum Glück wieder fit bekommen», freut sich Seraina Pedrolini.
Nächstes Jahr will sie auf jeden Fall wieder mit Melissa am Kuhrennen auf dem Flumserberg teilnehmen. «Damit das klappt, haben wir die Trächtigkeit von Melissa extra so gelegt, dass sie rechtzeitig auf Anfang der Alpzeit kalbern wird. Dann zielen wir auf den Sieg – oder verteidigen zumindest unseren dritten Platz», sagt sie und lacht erneut herzhaft.
Alpchäsmarkt und Kuhrennen Flumserberg: Jedes Jahr findet auf der Alp Tannenboden am Flumserberg der Alpchäsmarkt statt, in dessen Rahmen die Alpkäse des aktuellen Alpsommers präsentiert werden. Das Kuhrennen ist der Höhepunkt des Tages, der Rennstall wird jeweils um 12:30 Uhr vorgestellt und der Start erfolgt um 15 Uhr. Dazu gibt es von lokalem Handwerk über Motorsägenschnitzen und Brauchtumskäsen einiges zu sehen. Selbstverständlich dürfen ein Kinderprogramm, musikalische Untermalung sowie Speis und Trank nicht fehlen.