Wenn die Delegierten der Bio Suisse am 17. November 2021 zusammenkommen, werden sie bereits zum dritten Mal innert sechs Jahren und zum vierten Mal insgesamt über das seit 1999 in den Richtlinien verankerte Verbot des Einsatzes von gesextem Samen debattieren. Diesmal ist es ein Änderungsantrag von den Mitgliedsorganisationen (MO) aus dem Appenzellerland, Graubünden, Liechtenstein und Schwyz, welcher die Debatte neu lanciert.
Einiges hat sich verändert
In ihrem Antrag erklären die MO, dass sich seit der letztmaligen ausführlichen Diskussion 2015 einiges verändert habe. Es seien nun die nötigen gesexten Spermien von sogenannten Kleeblatt-Stieren vorhanden. Diese Stiere vereinen die Anforderungen der Biobranche an nachhaltige Viehzucht. Zudem würden die gesexten Samen seit sechs Jahren in einem Swissgenetics-Labor in der Schweiz hergestellt, so die Antragssteller. Im Weiteren bestehe aktuell ein Manko an Aufzuchtrindern, da Bio-Suisse-Betriebe seit 2020 keine konventionellen Aufzuchtkälber mehr kaufen dürfen, heisst es im Antrag weiter.
Mehr Geld aus Kälberverkauf
Unterstützung für ihr Anliegen erhalten sie nun durch eine Diplomarbeit namens «Spermasexing im Schweizer Biolandbau», die von Matthias Kern 2019 an der HAFL vorgelegt wurde. Diese entstand in Zusammenarbeit mit dem Bioberater Eric Meili.
Kern hat in seiner Arbeit vier Betriebe mit unterschiedlichen Strukturen untersucht und ist zum Schluss gekommen, «dass durch Spermasexing auf allen berechneten Betrieben ein Mehrertrag beim Kälberverkauf erzielt werden kann». Zwar verursache der Einsatz von gesextem Samen Mehraufwand beim Sprunggeld. Unter dem Strich könnten Betriebe mit Milchrassen dank gesextem Samen aber einen Mehrertrag von bis zu 21,3 Prozent erwirtschaften, hat Kern errechnet. Bei Betrieben mit Zweinutzungsrassen liege dieser Wert bei 6,3 Prozent.
Reputationsrisiko Kälber
Zudem könne die Zahl der männlichen Milchrassenkälber reduziert werden, so Kern. Für Eric Meili ist dies ein weiteres triftiges Argument für die Zulassung von gesextem Samen. Es könne nicht sein, dass der Biosektor diese Tiere fast vollumfänglich in die konventionelle Kälber- und Rindermast verkaufe, wo sie standardmässig mit Antibiotika behandelt würden. Hier bestehe für die Bio Suisse ein grosses Reputationsrisiko.
Auf Anfrage wollte man sich bei Bio Suisse vorgängig zur DV nicht weiter äussern zum Thema. In den Unterlagen zum Geschäft verweist der Vorstand auf die bereits bei früherer Gelegenheit aufgelisteten Argumente.
Zwar sei das Samentrennverfahren an sich als wenigproblematisch einzustufen, solange künstliche Besamung zugelassen sei. Gegenüber den Konsumenten sei es aber schwierig kommunizierbar.
Zuchtmonopol befürchtet
Spermasexing führe zudemzu einer Monopolisierung der Zucht, so der Vorstand. Die Genetikanbieter könnten steuern, von welchen Stieren keine Stierkälber für die eigene Zucht nachgezüchtet werden können. Durch Spermasexing werde zudem «die einseitige Zucht auf milchbetonte Rassen gefördert». Das passe nicht zum Biolandbau. Vielmehr empfiehlt der Vorstand eine Konzentration auf Zweinutzungsrassen, wo die männlichen Kälber besser für die Mast geeignet sind. Ausserdem seien diese Tiere robuster und einfacher mit Raufutter zu füttern als die milchbetonten Rassen.
Auf die Diskussion und das Abstimmungsresultat vom 17. November darf man gespannt sein. Anlässlich der Online-DV vor Jahresfrist war nur mit hauchdünner Mehrheit beschlossen worden, auf eine erneute Diskussion zu verzichten.
