Gesellschaft und Politik sind sich einig: Küken zu schreddern ist nicht vertretbar. Seit dem 1. Januar 2020 ist es daher auch in der Schweiz gesetzlich verboten, die männlichen Nachkommen von Legehennen lebend zu schreddern. Weiterhin erlaubt ist hingegen, sie mit CO2 zu töten.
Vergasen löst Problem nicht
Das grundlegende Problem ist mit einem Schredder-Verbot nicht gelöst. Dank Züchtung sind Legehennen perfekt geeignet für die Eierproduktion, während Mastpoulets unabhängig von ihrem Geschlecht rasch an Gewicht zulegen. Männliche Küken von Legehennen (Bruderhähne) können weder Eier legen, noch sind sie gute Futterverwerter zur Fleischproduktion. Weil die Wirtschaftlichkeit bei der Aufzucht der Bruderhähne zu finanziellen Einbussen führt, werden sie nach dem Schlupf getötet.
Auswege gäbe es viele aber...
Das Schicksal der Bruderhähne beschäftigt die Forschung schon seit Jahren. Man sucht international nach Methoden, um das Geschlecht der Küken noch vor dem Schlupf sicher zu bestimmen. Bruderhähne würden dann gar nicht mehr ausgebrütet und müssten somit nicht mehr als Eintagesküken getötet werden. Bisher hat die Forschung verschiedene Ansätze entwickelt, ganz praxisreif, bzw. bereits flächendeckend im Einsatz ist aber gemäss der «Schweizer Geflügelzeitung» noch keines. Es stellt sich die Frage, warum der Detailhandel den vorhandenen Lösungsansätzen noch nicht intensiver nachgegangen ist.
Was die Detailhändler tun
Aldi Suisse: Aldi Suisse scheint seine Verantwortung in der Problematik zumindest teilweise wahrzunehmen und schloss sich 2018 dem Label «Henne und Hahn» an. Anders als bei der Migros oder Coop sind seit der Initiierung des Labels die Produkte in allen Aldi-Suisse-Filialen erhältlich. «Das Produkt mit diesem Label gewinnt bei unserer Kundschaft stetig an Beliebtheit», so Vanessa Senn von Aldi Suisse. Das Label verspricht die Aufzucht der männlichen Jungtiere unter biologischen Haltungsbedingungen. Die Aufzucht sowie den Verkauf der daraus entstandenen Produkte wickelt dann die Firma Gallina Bio AG ab, wobei ein Teil über den Webshop abgesetzt wird. Der andere Teil wird über diverse Händler in der Schweiz vertrieben, erläutert Vanessa Senn.
Coop: Die Coop-Vertreter lehnten sich derweil im Bürostuhl zurück: «Wir sind mit dem Projekt Zweinutzungshuhn, welches wir 2014 als Pilotbetrieb gestartet haben, sehr zufrieden und haben das Projekt seither stetig ausgebaut», so Rebecca Veiga von Coop. Was vorerst vielversprechend klingt, ernüchtert aber bald: Nur gerade zehn Biobetriebe halten Zweinutzungshühner, deren Brüderhähne auf Biobetrieben aufgezogen werden. «Die Eier dieser Zweinutzungslegehennen sind unter dem Label ‹Zweinutzungshuhn› in insgesamt rund 150 grösseren Coop-Filialen erhältlich», so die Mediensprecherin. Coop würde die Entwicklung bei der Geschlechtserkennung im Ei aber mit grossem Interesse beobachten und mögliche Lösungen mit den Lieferanten prüfen, so Rebecca Veiga. «Wir beteiligen uns auch an den laufenden Diskussionen für eine Branchenlösung in der Schweiz», betont Veiga gegenüber der BauernZeitung. Auch bei Lidl Schweiz suche man nach wirkungsvollen Ansätzen, die das Töten von Küken bei der Aufzucht von Legehennen verhindern.
Migros: Bei der Migros scheinen die Lösungsansätze gegen das Kükentöten schon etwas definierter. Dort werden Demeter-Eier und Eier mit dem Label «Respeggt» verkauft. Die «Respeggt»-Eier in den Regalen einiger Migros-Filialen stammen von Legehennen, deren Brüder nicht vergast werden. Das Unternehmen mit Sitz in Deutschland und Holland wendet das endokrinologische Verfahren an, wobei das Geschlecht der Embryos am neunten Tag im Ei bestimmt wird und die männlichen Embryos vor dem Schlupf zu Tierfutter verwertet oder aber grossgezogen werden.
Bei Demeter Schweiz ist das Vergasen von männlichen Küken seit 2019 sowieso verboten. Die Bruderhähne würden seither alle aufgezogen und deren Fleisch verkauft, heisst es bei Demeter.
Im Ausland sind bedeutend mehr Produktelabels auf dem Markt, die konkrete Massnahmen gegen das Kükentöten ausloben.
Labels, die sich gegen das Kükentöten aussprechen
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Logo |
Label |
Detailhändler/Anbieter |
Haltungsform |
Beschreibung |
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[IMG 2][IMG 2] |
Respeggt |
Migros |
Konventionell |
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Hahn im Glück |
Migros |
Demeter |
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Zweinutzungshuhn |
Coop |
Knospe Bio Schweiz |
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Henne und Hahn |
Gallina Bio AG |
Knospe Bio Schweiz |
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Aldi Suisse |
Konventionell |
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Alnatura (Migros) |
Biologisch |
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Eiermaa |
Konventionell |
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Hosberg |
Knospe Bio |
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KAG-Freiland |
Knospe Bio Schweiz |
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Diese Labels zeichnen aus, dass entweder nur männliche Embryonen vor dem Schlupf getötet oder aber, dass die Bruderhähne aufgezogen und deren Fleischprodukte verkauft werden. Quelle: Recherche Sera J. Hostettler
Embryotöten ist für einige auch keine Option
Auch die Geschlechtsbestimmung im Ei ist für Demeter keine Option. Dies, weil auch am siebten Tag das Leben des Embryos bereits angefangen habe, auch wenn zu diesem Zeitpunkt eventuell noch kein Schmerzempfinden möglich sei. Damit aus Kükentöten also kein Embryotöten wird, müssen andere Lösungen her.
Als Alternative zur frühen Geschlechtserkennung im Ei haben sich zwei Aufzucht-Möglichkeiten entwickelt, die die «Überflüssigkeit» männlicher Küken aufzufangen versuchen. Zum einen die Aufzucht und Mast der Bruderhähne, oder die Zucht von Zweinutzungsrassen, die sowohl Eier als auch Fleisch liefern. Obwohl beide Aufzuchtformen vielversprechende Chancen bieten, stellen sie für die Geflügelproduzent(innen) auch zahlreiche Herausforderungen dar.
Die Alternative «Bruderhahn»
Werden die männlichen Küken der Legelinien nach dem Schlupf nicht getötet, wachsen sie bei der Bruderhahnaufzucht weiter auf. Da sie weder Eier legen, noch das gewünschte Mass an Fleisch ansetzen, sind die Bruderhähne wirtschaftlich weniger sinnvoll. Auch ausgewachsen bleiben die männlichen Tiere recht schmal. «Für den mageren Schlachtkörper müssen spezielle Verwertungswege gefunden werden», berichtet Willi Neuhauser von der Branchenorganisation Gallo Circle.
Vorteile Bruderhahnaufzucht:
- Männliche Legeküken müssen nicht getötet werden.
- Mit gezielter Vermarktung können die Eier ihrer Schwestern teurer verkauft werden, um die Kosten der Bruderhahn-Aufzucht abzufedern. Wo ein Bio-Ei vorher Fr. 0.80 kostete, bezahlt der Kunde pro Ei stattdessen Fr. 1.–.
- Mit entsprechendem Marketing und Aufklärung scheint ein Teil der Konsumenten dazu bereit zu sein, einen Mehrpreis für die Bruderhähne zu bezahlen.
- Die Bruderhähne können als Suppenhuhn verkauft werden.
Nachteile Bruderhahnaufzucht:
- Wegen des geringen Fleischansatzes eignen sich Bruderhähne nicht als Brathähnchen.
- Bruderhähne können meist nur im Ganzen verkauft werden, da sich die Zerlegung wenig lohnt. Das bedeutet auch ein restriktives Marktpotenzial.
- Die Hähne haben eine schlechtere Futterverwertung. Bei einem Schlachtalter von 12 Wochen liegt die Futterverwertung bei 1:4,1. Dies wirft neben wirtschaftlichen Einbussen auch Fragen über die Nachhaltigkeit und den ökologischen Hintergrund dieser Aufzucht auf.
Oder doch lieber Doppelnutzungshühner?
Das Zweinutzungskonzept stellt eine weitere Alternative zur konventionellen Hybridzucht dar. An die Legeleistungen der gezielt gezüchteten Hybridrassen kommen die Zweinutzungshennen allerdings nicht heran. Die Zweinutzungshähne benötigen bei der Mast mehr Futter, weisen aber am Ende der Mastperiode dennoch weniger Brustfleisch auf als die klassischen Mastpoulets. Auch das Zweinutzungshuhn ist eine Kompromisslösung.
Vorteile Zweinutzungskonzept:
- Kein Töten der männlichen Küken notwendig.
- Ein besseres Image bei der Konsumentin.
- Langsameres Wachstum bzw. geringere Legeleistung kann vorteilhaft für die Tiergesundheit sein.
Nachteile Zweinutzungskonzept:
- Langsameres Wachstum bzw. geringere Legeleistung ist mit wirtschaftlichen Einbussen verbunden.
- Die Eier von Zweinutzungshennen entsprechen in ihrer Grösse oft nicht den Anforderungen des Marktes.
- Die schlechtere Futterverwertung steht für viele auch im Widerspruch gegenüber dem Ziel der Ressourcenschonung und wird deshalb oft kritisch betrachtet.
- Oft wird bei den Zweinutzungshühnern auf alte Rassen zurückgegriffen. Diese zeichnen sich durch ihre Robustheit und Genügsamkeit aus. Ein Beispiel für eine alte Zweinutzungsrasse, wie sie Mitte des 20. Jahrhunderts zur Selbstversorgung hierzulande genutzt wurde, ist das Schweizer Huhn mit weissem Gefieder und rotem Kamm. Die Hennen erzielen eine Legeleistung von etwa 170 bis 200 Eiern im Jahr und die Hähne erzielen ein Gewicht von 2,8 bis 3,5 Kilogramm. Weitere alte Zweinutzungsrassen sind beispielsweise das Vorwerkhuhn, die Wyandotte oder das Bressehuhn.
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Lohmann-Dual-Hennen legen etwa 20 Prozent weniger Eier als klassische Legehybriden, dennoch haben sie Potenzial. (Bild Jürgen Müller)
Retro versus Moderne
Ein moderneres Zweinutzungshuhn kommt hingegen aus dem Hause Lohmann. Die Lohmann Tierzucht GmbH liefert mit dem Zweinutzungshuhn Lohmann Dual ein Huhn mit einer Legeleistung von etwa 250 Eiern pro Jahr. Im Vergleich zur klassisch genutzten Hybridrasse Lohmann Braun, mit einer Legeleistung von 320 Eiern pro Jahr, stehen die Dual-Tiere natürlich dennoch hinten an. Wird aber züchterisch in die Verbesserung der Legeleistung der Dualhühner investiert, bedeutet dies automatisch einen Verlust in der Mastleistung der Dualhähne. Während die männlichen Lohmann-Dual-Tiere innert 70 Tagen ihr Schlachtgewicht erreichen, sind die Hybridhähne bereits mit etwa 35 Tagen schlachtreif. Beim Verhalten jedoch zeigen Dual-Tiere einen wichtigen Pluspunkt. Studien der Landwirtschaftsuniversität Wageningen (NL) zeigten, dass Dual-Tiere deutlich weniger Verhaltensstörungen wie Federpicken und Kannibalismus zeigen.
Beide Aufzuchtprogramme (Bruderhahnmast und Zweinutzungskonzept) laufen schon länger in der Schweiz, so Willi Neuhauser, bislang führen sie aber noch immer ein Nischendasein. «Aus Sicht der Branche wäre eine Früherkennung im Ei die beste Lösung. Die Schweizer Eierproduzenten verfolgen die Entwicklungen aufmerksam, denn es ist ihnen ein Anliegen, den Zielkonflikt zwischen Ökonomie, Ökologie, Ethik und Image zu lösen.»
Schnell gelesen: Was tun mit den Bruderhähnen?
Das Problem der Eierproduktion ist klar: Die männlichen Küken dürfen in der Schweiz zwar nicht mehr geschreddert werden, jährlich werden aber immer noch drei Millionen vergast. Eine der Alternativen ist die Geschlechtsbestimmung im Ei. Solche Lösungen sind teils jedoch noch in der Testphase. Für Demeter oder Bio uisse kommt die Methode aus ethischen Gründen aber gar nicht in Frage. Werden die Bruderhähne stattdessen aufgezogen und vermarktet, zieht dies wirtschaftliche Einbussen mit sich und für die Konsument(innen) steigen die Eier- und Geflügelfleischpreise. Einige Detailhändler haben bereits vereinzelte Labels in ihre
Regale gebracht. Es muss aber noch einiges gehen.