Im Herbst 2019 lancierte der Kanton Graubünden mit verschiedenen Partnern das Projekt «Klimaneutrale Landwirtschaft Graubünden». Die Vision: Mittel- und langfristig sollen landwirtschaftliche Produkte klimaneutral produziert werden. Das Interesse bei den Bündner Bauern und Bäuerinnen war gross. 120 Betriebe bewarben sich für die Pilotphase, die von 2021 bis 2025 dauert. 52 Betriebe schafften es in die Auswahl.
Einer von ihnen ist der Biobetrieb von Jürg Hartmann aus Malans. «Ich fand den Ansatz spannend», sagt er im Gespräch mit der BauernZeitung. Dass das Projekt wissenschaftlich begleitet wird, mache es besonders interessant. «Was wir machen, wird gemessen und ausgewertet. So hat man als Betriebsleiter Zahlen zur Hand.»
Flaschen fallen ins Gewicht
Jürg Hartmann bewirtschaftet einen 19 Hektaren grossen Biobetrieb mit Schwerpunkt Weinbau. Die Trauben keltert er selbst. Die Weine – Riesling-Sylvaner, Sauvignon blanc, Chardonnay, Weissburgunder, Blauburgunder, Zweigelt und Malbec – werden direktvermarktet.
Im Rahmen des Projekts wurde der Betrieb hinsichtlich seines Energieverbrauchs und seiner Treibhausgasemissionen bilanziert. Zahlen nennt Hartmann nicht, aber er sagt: «Ich hatte mit einem höheren Wert gerechnet.» Am meisten überrascht habe ihn, dass die Traktoren weniger stark ins Gewicht fallen als erwartet. Und dies trotz der vielen Überfahrten für Kulturpflege und Pflanzenschutz in den Reben, im Obst- und auch im Ackerbau.
Den grössten Posten beim Energieverbrauch machen die Weinflaschen aus. «Das war zu erwarten», meint der 43-Jährige. Hier habe er aber nicht viel Handlungsspielraum.
«Ich habe schon verschiedene Modelle ausprobiert, auch leichtere Flaschen aus dünnerem Glas.»
Jürg Hartmann zur verbesserung der Energiebilanz bei den Weinflaschen
Nur gibt es bei diesen zwei Probleme:
- Das Glas ist zu schwach. Wenn die Flaschen direkt nach dem Abfüllen in die Höhe transportiert werden, zerspringt das Glas.
- Diese Flaschen werden in Indien produziert, verursachen durch den Transport also hohe CO2-Emissionen.
Während bei den Flaschen nicht viel zu machen ist, sieht Hartmann hingegen bei der Verpackung Verbesserungspotenzial. «Ein überwiegender Teil unserer Kundschaft – Private wie Gastronomen – bringen die Weinkartons zurück, so dass wir diese drei- bis viermal verwenden können.» So spare der Betrieb nicht nur CO2, sondern auch Kosten ein. [IMG 3]
Pflanzengesundheit stärken
In der Pilotphase muss jeder Betrieb Massnahmen zur Reduktion der Treibhausgasemissionen umsetzen. Bei Jürg Hartmann sind es zwei Projektbereiche: Regenerative Landwirtschaft und Humusaufbau.
«Unser Ziel ist es, die Bodenfruchtbarkeit zu erhöhen, die Pflanzengesundheit zu stärken und dadurch Pflanzenschutzmittel zu reduzieren.»
Jürg Hartmann zu den Massnahmen auf seinem Betrieb
Das lohnt sich auch finanziell. Denn jede Überfahrt, die es weniger braucht, bedeutet weniger Dieselverbrauch.
Erfolge mit Komposttee
Jürg Hartmann hat immer gerne Neues ausprobiert. Letztes Jahr, also bevor er als Projektteilnehmer feststand, machte er erste Versuche mit Komposttee im Obstbau. Die Erfahrungen seien gut gewesen, berichtet er. Die Bäume hätten weniger Mehltaubefall gehabt.
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Eigentlich wollte der Biobauer den Komposttee dieses Jahr in den Reben grossflächig einsetzen. Doch das heisse und trockene Wetter machte ihm einen Strich durch die Rechnung. «Ich hätte die Reben bewässern müssen, was bei uns erstens nicht möglich und zweitens ökologisch wenig sinnvoll ist.» Ist es nicht ein Riesenaufwand, alle zwei Tage für 6 ha Reben Komposttee herzustellen? Jürg Hartmann winkt ab. «Am meisten Arbeit gibt das Putzen des Kessels», meint er lachend.
Im ersten Jahr machte er den Tee in einem 20-Liter-Kessel an. Inzwischen hat er sich eine Komposttee-Maschine mit 1000 Liter Inhalt angeschafft. Die grösste Herausforderung sei die Planung, weil der Tee nicht lange haltbar ist. «Wenn die Witterung ideal ist, lohnt sich das auf jeden Fall», ist der Biowinzer überzeugt. Vereinzelt hat Hartmann dieses Jahr auch in den Reben Komposttee eingesetzt.
«Man sah schon Unterschiede. Die Blätter hatten für ein paar Tage ein dunkleres Grün.»
Jürg Hartmann zum Einsatz von Komposttee im Rebbau
Zudem sei der Zuckergehalt in diesen Blättern höher gewesen. Doch weil die Niederschläge fehlten, habe die Wirkung nicht lange angehalten.
Daliebahof
Name: Jürg Hartmann
Ort: Malans GR, Talzone
Ausrichtung: Bio seit 2018
LN: 19 ha
Kulturen: Reben, Obst, Mais, Weizen, Knoblauch, Zwiebeln, Kunstwiesen
Betriebszweige: Rebbau mit eigener Kelterei, Obstbau, Ackerbau, Gastronomie
Arbeitskräfte: 2 Festangestellte, 3 bis 6 Rebfrauen im Sommer, 10 bis 30 Personen während der Weinlese
«Ich müsste die Energie speichern können»
Die Energieversorgung ist ein weiteres Thema. Dazu sagt Jürg Hartmann: «Für mich wird es schwierig, hier zu optimieren.» Für die Kühlung des Weinkellers sind Elektromotoren im Einsatz. «Eine Solaranlage auf dem Dach bringt mir nicht viel, solange ich die erzeugte Energie nicht speichern kann.» Denn den Hauptstrom verbraucht der Betrieb am Abend für die Traubenverarbeitung.
«Ich bräuchte eine Speicherbatterie. Diese sind aber sehr teuer.» In Deutschland hat Hartmann eine interessante Alternative gesehen. Dort gibt es HPS Picea, welche die Sonnenenergie in Wasserstoff umwandeln und speichern. Wird Strom benötigt, wird die Energie mittels Brennstoffzelle wieder umgewandelt. In der Schweiz ist diese Technik noch nicht verfügbar.
Gesamtbetrieblich denken
Die Gesamtbetrieblichkeit spielt im Projekt eine wichtige Rolle. Für Jürg Hartmann ist klar: «Es kann nicht aufgehen, wenn man an einem Ort möglichst viel optimiert und an einem anderen Ort dafür doppelt so viel CO2 verbraucht.» Das ist mit ein Grund, weshalb er im Ackerbau vermehrt auf kombinierte Maschinen setzt.
Eine gewisse Experimentierfreudigkeit brauche es schon, räumt er ein, «aber das ergibt sich eigentlich automatisch». Maschinen werden beim Projekt zu einem Anteil finanziert. Geld gibt es zudem für Analysen und Proben. Ein Teil der Arbeitsstunden des Betriebsleiters bzw. der Betriebsleiterin ist ebenfalls bezahlt.
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Die Schritte werden kleiner
Am Anfang sei es noch einfach, grosse Schritte in Richtung Klimaneutralität zu machen, sagt Jürg Hartmann. Doch diese Schritte würden immer kleiner und damit werde es auch immer schwieriger, weitere Massnahmen umzusetzen. «Irgendwann gibt es nicht mehr so viel Optimierungspotenzial.» Auch sei vielfach die Technik noch nicht so weit. Doch Hartmann ist zuversichtlich, dass es hier Fortschritte geben wird. «Irgendwann kommt das schon», ist er überzeugt. Im Rahmen des Projekts werde es schwierig.
Das Projekt «Klimaneutrale Landwirtschaft Graubünden» ist auf zehn Jahre ausgelegt. Nach der Pilotphase startet 2025 die Expansionsphase. Auf die Frage, wie realistisch für ihn das Ziel ist, klimaneutral zu produzieren, antwortet Hartmann: «Klimaneutralität wäre auf unserem Betrieb ein schönes Ziel. Im Rahmen dieses Projektes werden wir das aber nicht erreichen.» Trotzdem, es sei ein Ziel, auf das man hinarbeiten könne, findet Hartmann. Eine klimaneutrale Landwirtschaft sei ein Generationenprojekt. «Wenn wir es jetzt nicht anpacken, wann dann?», fragt er rhetorisch und gibt die Antwort gleich selber: «Wahrscheinlich nie.»


