Das Schaf bleibt beim Ausgang des Stalls liegen. Das Tier lässt die Ohren hängen und hechelt. Es versucht aufzustehen, seine Kraft reicht dazu aber nicht mehr aus. Mit angeschwollener Schnauze und Augenlidern schaut es nach draussen und sieht, wie die Schafherde sich immer weiter in Richtung Weide von ihm entfernt.
«Wenn es mit ihm so weitergeht, werde ich es von seinem Leiden erlösen müssen», sagt Christian Strub. Er geht zum Schaf hin und zupft an seiner Wolle. Ohne grossen Widerstand hält er ein Knäuel in der Hand. «Das hat mir mal ein Schlachter gezeigt. Bei sehr hohem Fieber lässt das Tier sie gehen. Und man kann die Wolle einfach mit der Hand vom Schaf zupfen.»
Eingeklemmt wie ein Salatblatt
Christian Strub hält Milchschafe. Seit diesem September schaut er täglich zu, wie sie ihm vor seinen Augen wegsterben. Eines nach dem anderen. Seit diesem Herbst hat der Landwirt auf seinem Betrieb die Blauzungenkrankheit (BT-Virus). Sein Betrieb liegt in einem Tal in der St. Galler Region Fürstenland. Auf der einen Seite des Betriebsgebäudes liegen Naturschutzgebiet, Spazierwege und der Bettenauer Weiher. Auf der anderen donnern Autos auf der Kantonsstrasse nach Wil SG. Eingeklemmt wie ein Salatblatt in einem Hamburger, zwischen Beton und Biodiversität, liegt der schmale Streifen Grünland, auf dem das Betriebsgebäude und der Stall stehen. Ein Schaftunnel unter der Strasse ist die Verbindung zu den am Hang gelegenen Weiden.
Christian Strub hätte nicht gedacht, dass ihn die Blauzungenkrankheit überhaupt und so schnell treffen würde. Als seine Schwägerin diesen Sommer die Familie besuchte, habe er ihr noch versichert, dass die Schweiz frei von der Blauzungenkrankheit sei und es auch noch lange bleiben werde. «Blauzungenkrankheit, das ist doch eine Tropenkrankheit», habe er gesagt. Jetzt ist sein Betrieb auch betroffen. Das Blauzungenvirus ist im Mittelland angekommen.
Einen ersten Verdacht hat Christian Strub Ende September. «Als Schafhalter schaut man weniger auf die einzelnen Tiere. Man hat vielmehr den Durchschnitt der Herde im Blick.» Als die Tiere im Herbst ablammen, fallen ihm das struppige Fell und die geschwollenen Köpfe auf. Er denkt erst, dass etwas mit dem Futter nicht stimme, und versucht, die Schafe mit Kraftfutterpellets wieder auf die Beine zu bringen.
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Die Schafe sind zu schwach, um zu säugen
Doch das bringt nichts, der Herde geht es immer schlechter. Einige der Tiere lahmen mittlerweile und haben geschwollene Gelenke. «Ich überprüfte die Klauen, doch ich fand nichts», erinnert sich Strub. Er sorgt sich zunehmend auch über den Zustand seiner Lämmer. Denn viele kommen «kümmerig» zur Welt, nehmen kaum an Gewicht zu. Er beobachtet ausserdem, dass einige seiner Schafe zu schwach sind, um die Lämmer zu säugen.
Schliesslich informiert er den Bestandestierarzt. Der kommt auf dem Hof vorbei, entnimmt bei den drei kränksten Schafen je eine Blutprobe und schickt sie ins Labor zur Untersuchung. «Die Probe wandert ins Bündnerland», sagt ihm später der Tierarzt. Die Nachfrage übersteigt im Kanton St. Gallen das Angebot, die Labore kommen nicht mehr nach.
Nach zehn Tagen steht der Befund fest: Die Tiere haben das Blauzungenvirus. Christian Strub erhält ein Formular, mit dem er Entschädigungen beantragen kann. Sein Betrieb wird gesperrt, seine Schafe dürfen den Hof seitdem nicht mehr verlassen, es sei denn, um geschlachtet zu werden. «Aber auch da muss ich ein separates Formular dazugeben», sagt Strub.
«Am schlimmsten Tag trug ich sieben tote Schafe aus meinem Stall.»
Christian Strub, Landwirt aus Oberuzwil SG und Halter betroffener Tiere.
Es ist ein Albtraum für Tierhalter
Für ihn und seine Schafe hört der Albtraum nicht auf. Die Tiere sind immer noch schwach und gehen ein. Dann trägt Christian Strub sie hinaus und bringt sie zur Kadaversammelstelle. Die Lämmer, deren Mütter gestorben oder zu schwach sind, päppelt er mühsam mit der Flasche auf. Mehr als den Schafen gut zu schauen und weiter zu wirtschaften wie bisher, kann er nicht machen.
Gegen das Virus gibt es keine Behandlung. Früher wurde gegen das Blauzungenvirus geimpft, doch dann hat man damit aufgehört. Auf der Website des Bundes steht, dass die Schweiz von 2008 bis 2010 ein umfangreiches Impfprogramm durchführte. Seit 2011 war die Impfung freiwillig. Zwischen Ende Oktober 2020 und Juli 2024 traten in der Schweiz keine Fälle von Blauzungenkrankheit auf. Eine Impfung gegen die Krankheit war gar bis vor wenigen Wochen nicht möglich, weil ein Impfstoff nicht zugelassen und daher nicht erhältlich war.
Jetzt wird wieder geimpft. Die Schweiz hat aktuell über 1500 Fälle von Blauzungenkrankheit. War das zu spät? «Früher war es ja obligatorisch und dann konnte man plötzlich gar nicht mehr impfen. Da frage ich mich als Landwirt und Tierhalter schon, was der Sinn oder die Strategie des Bundes ist», sagt Christian Strub.
Von der Krankheit gezeichnet
Von seinen 115 Milchschafen leben noch 90. «Es gab Wochen, da starb täglich ein Tier. Am schlimmsten Tag trug ich sieben tote Schafe aus meinem Stall», sagt er. Die Mortalität bei seinen Tieren liegt somit bei rund 22 %. Laut Fachliteratur hängt die Mortalität bei den Schafen von der Rasse und vom Virustyp ab. Beim Serotyp BTV-8 liegt sie zwischen 1 und 5 %, beim aggressiveren Serotyp BTV-3 kann sie bis zu 25 % betragen.
Viele der überlebenden Tiere sind von der Krankheit gezeichnet, geben schlechter Milch oder gar keine mehr. Diese Tiere wandern früher oder später in die Metzgerei. Für Christian Strub geht es weiter, er muss zu den Milchschafen und Lämmern schauen, die Herde wieder aufbauen und darauf hoffen, dass es besser wird. Seit es kühler wird und der Überträger der Krankheit, die Gnitzen, weniger fliegen, gehe es den Tieren und der Herde wieder besser. Strub hofft, dass er das Schlimmste nun überstanden hat und er vielleicht bald wieder in den Stall gehen kann, ohne sich zu fragen: «Wie viele sind wohl diese Nacht gestorben?»


