November 2021: Im diffusen Licht eines kalten Herbstmorgens ziehen Menschen in Schutzanzügen und mit Spürhunden durch die dichten Wälder des Schweizer Mittellandes. Die feinen Hundenasen sind auf der Suche nach einem unsichtbaren Feind. Wildschweinkadaver werden entdeckt und vorsichtig gesichert – ein surreales Bild, das kaum von der Realität unterscheidbar wäre. Diese Übung, ein vor drei Jahren gross angelegtes Simulationsszenario, sollte die Schweiz auf einen möglichen Ausbruch der Afrikanischen Schweinepest (ASP) vorbereiten.
Bereits damals war klar: Es ist nicht die Frage, ob ASP die Schweiz erreicht, sondern wann. Ein Salamisandwich aus dem Ausland könnte genügen, um die Krankheit einzuschleppen. Die kleinstrukturierte Schweiz, geprägt von engen Kontakten zwischen Wildtieren und Landwirtschaft, erkannte bei dieser Übung ihre Schwachstellen. Doch diese Herausforderung war nur der Anfang einer Bedrohung, die alle Nutztierhalter betrifft.
Die Frage bleibt: wann?
Ein Ausbruch würde nicht nur die Hausschweinebestände bedrohen, sondern auch die Existenz der Bauernfamilien. Die Seuche würde nicht nur die Tiere töten, sondern auch das Vertrauen in die Sicherheit der Tierhaltung erschüttern, mit entsprechenden Folgen für den Fleischkonsum. Noch wütet ASP im nahen Ausland. Die Bedrohung bleibt manifest. Es bleibt die Frage: wann?
Die Vogelgrippe zeigt, wie rasch Tierseuchen zur globalen Bedrohung werden können. Das Influenzavirus H5N1 tritt vermehrt in Europa auf, insbesondere bei Zucht- und Wildvögeln. Geflügelhaltungen sind durch hohe Tierdichte besonders gefährdet. Massnahmen wie Hygieneschleusen und Importverbote aus Seuchengebieten sind notwendig, doch können sie einen Ausbruch nicht vollständig verhindern.
Neu ist die Ausbreitung auf Säugetiere. Im Frühjahr 2024 wurden in den USA erstmals Fälle bei Milchkühen nachgewiesen. Auch Menschen, die engen Kontakt zu infizierten Tieren hatten, erkrankten. Diese Entwicklung zeigt, wie vielseitig und gefährlich eine Zoonose ist – für Tiere, aber auch für Menschen.
Für Schweizer Geflügelhalter bedeutet dies strenge Sicherheitsvorkehrungen und hohe wirtschaftliche Verluste im Falle eines Ausbruchs. Selbst bei kleinen Beständen drohen die Tötung ganzer Tiergruppen und die Einrichtung von Schutzzonen, um die Verbreitung zu stoppen.
Bekämpfungsprogramm seit 20 Jahren
Auch wenn es um die Bovine Virus-Diarrhoe (BVD) etwas stiller geworden ist – seit fast 20 Jahren läuft in der Schweiz ein Bekämpfungsprogramm. Und dennoch treten immer wieder neue Fälle auf. Die Krankheit verursacht Fehlgeburten und schwache Kälber. Betriebe, die betroffen sind, dürfen keine Tiere verkaufen und müssen infizierte Kälber töten – ein emotional und wirtschaftlich belastender Prozess.
In dieser latenten Bedrohung der oben genannten Seuchen erreicht das Blauzungenvirus (BTV) unser Land. Noch vor wenigen Wochen ächzte der gesamte Norden der Schweiz unter den Folgen. Die Krankheit, übertragen durch Stechmücken, hielt Rinder- und Schafhalter in Atem. Inmitten dieser Krise wurde die Unterschätzung der Lage durch die Behörden offensichtlich. Während die Krankheit in den betroffenen Regionen um sich griff, blieben viele Fragen offen: Wie gross ist die Bedrohung wirklich? Und was kommt im Frühjahr auf uns zu?
Der Winter hat nun eine kalte Decke über die Gnitze gelegt, doch die Gefahr lauert weiter – in den Ställen, wo die Virusträger auf die ersten warmen Tage des Frühlings warten. Sollte das Szenario eintreten, das sich bereits im Herbst angedeutet hat, droht der flächendeckende Befall der gesamten Schweiz.
Impfen oder nicht?
Die Tierhalter stehen vor schwierigen Entscheidungen: Impfen oder nicht? Die Unsicherheit ist spürbar, hörbar, sichtbar. Impfen ist mit organisatorischen Herausforderungen und Kosten verbunden. Gleichzeitig schüren mögliche Nebenwirkungen und die Frage nach der Wirksamkeit Zweifel. Was geschieht, wenn geimpfte Tiere trotzdem erkranken? Was passiert mit Betrieben, die nicht rechtzeitig impfen konnten? Unbeantwortete Fragen treiben die Bauern um, während die Gefahr nur vorübergehend pausiert.
Die Seuchen – ASP, Vogelgrippe, Blauzungenvirus und BVD – töten nicht nur Tiere, sondern treffen auch die Menschen, die von und mit ihnen leben. Sie bedrohen die Schweizer Landwirtschaft in ihrer Grundstruktur: kleine, familiär geprägte Betriebe, die eng mit ihren Tieren verbunden sind.
Die Frage ist nicht nur, wie gut die Schweiz technisch auf Seuchen vorbereitet ist, sondern auch, was sie mit den Bauernfamilien machen. Die psychische Belastung, Tiere töten zu müssen, die teils wie Familienmitglieder behandelt werden, und der wirtschaftliche Druck stellen immense Herausforderungen dar.
Sicher ist: Die Bedrohung durch Tierseuchen wird unterschätzt. Sie verändern nicht nur die Landwirtschaft, sondern auch die Menschen, die sie betreiben. Was kommt auf die Bauernfamilien zu? Es bleibt abzuwarten – doch eines ist klar: Der Schutz der Tiere und der Menschen muss oberste Priorität haben.
