Unsere Elterngeneration hörten wir ab und zu klagen, dass sie froh sind, älter geworden zu sein. So müssten sie nicht mehr alle Veränderungen mittragen. Für uns damals junge Menschen waren solche Aussagen nicht sofort nachvollziehbar. So schnell änderte sich ja damals nichts, als dass man nicht mehr hätte mitgehen können.

Abo Zwei Generationen: Oliver, Marina, Annemarie und Willi Vogt (v. l. n. r.) mit den beiden 100 000er-Kühen Bria (links) und Berenice. Dazwischen die Hündin Pagira. Sommerserie Generationenwechsel Bei Familie Vogt steht die Hofübergabe an: «Wir treffen uns täglich beim Mittagstisch» Thursday, 28. July 2022 In der Zeit vor der Jahrhundertwende konnte man in fast allen Berufen auf Bestehendem aufbauen. In der Agrarpolitik gab es auch damals schon Änderungen, diese hatten jedoch für einige Jahre Gültigkeit. Es war noch möglich, sich gezielt einzurichten und längerfristig zu planen, beispielsweise gab es die Ausmerzaktionen und die schön regelmässig stattfindenden Entlastungskäufe. Dies waren während vieler Jahre gesicherte Absatzkanäle. Die abtretende und die übernehmende Generation hatten sehr ähnliche Bedingungen und Voraussetzungen.

Entscheidungen fällt die junge Generation

Anders ist die Situation heute. Was gestern noch Gültigkeit hatte, kann heute schon falsch sein. Aber aktuell ist die eilende Veränderung das einzig Beständige.

In diesem sich rasch ändernden Umfeld ist es noch viel wichtiger als früher, dass sich die abtretende Generation nach der Hofübergabe aus der Verantwortung zieht und sich nicht mehr in die Entscheidungen der jungen Betriebsleiterfamilie einmischt. Klar, darf man seine guten Erfahrungen einbringen (können). Aber wenn entschieden werden muss, ist das alleinige Sache der jungen Generation. Es könnte ja sein, dass das, was beim Vater noch richtig und rentabel war, nun falsch ist und im schlimmsten Fall sogar Kürzungen der Direktzahlungen zur Folge haben könnte.

Es braucht Respekt von beiden Seiten 

Die Gesetze ändern sehr rasch. Von den Vorschriften gibt es immer mehr. Die abtretende Generation muss sich in vielem durchringen, wenn sie auf dem Betrieb Arbeiten übernimmt und sie nach Anweisung der jungen Generation erledigen muss.[IMG 2]

Ein Beispiel: Vielleicht hatte der Hofabtreter sinnvollerweise stets darauf geachtet, beim Weidegang die Grasnarbe zu schonen. Bei nasser Witterung war das Vieh nie auf der Weide. Das war gut so und brachte den entsprechenden Erfolg. Nun, da der Junior der Chef ist, möchte dieser seine Direktzahlungen optimieren und meldet sich für den Weidebeitrag beim RAUS-Programm an. Der Junior muss nun den Kühen mindestens 70 Prozent der Trockensubstanz vom Weidegang herkommend vorsetzen. Da muss er eben auch bei nasser Witterung die Tiere auf die Weide lassen, sehr zum Ärger des Vaters. Was nun? Im Normalfall streiten sich die beiden, wer Recht hat. Grundsätzlich müsste man beiden zugestehen, dass sie bemüht sind, richtig zu handeln. Aber die schon wieder geänderten Vorschriften und Neuerungen zeigen, dass es klug ist, wenn sich die abtretende Generation nicht mehr in Betriebsabläufe einmischt. Nur so besteht die Chance, dass beide Generationen auf dem Betrieb gut leben können: der junge Betriebsleiter als Verantwortlicher für den Betrieb, die abtretende Generation als sehr wertvoller Arbeiter und Inputgeber, den man zu respektieren hat.

Es kann gut sein, dass der Senior froh ist, die Verantwortung abzugeben. Auflagen und Aufzeichnungen werden ja immer komplizierter und seiner Meinung nach theoretischer. Aber das Interesse an der Landwirtschaft und dem Betrieb sollte er sich erhalten. So bleibt im Alter der Geist jung.

Zur Person
Pius Hager ist ehemaliger Betriebsberater und Autor des Buchs «Leben – vom Streit zum Frieden, Generationenkonflikt – Partnerschaftskonflikt».