Rotgefleckt, schwarzgefleckt und braun: Die Forschungsherde des Strickhofs auf der einen Seite der Fütterungsachse des Milchviehstalls von Agrovet-Strickhof in Lindau gibt ein buntes Bild ab. Das soll sich ändern: «In drei Jahren wird hier Braun die dominierende Farbe sein», sagt Matthias Schick von der Bereichsleitung Tierhaltung und Milchwirtschaft des Strickhofs. Dominieren soll aber nicht das Braun von milchbetonten Brown-Swiss Kühen, sondern das Braun der Zweinutzungsrasse Original Braunvieh (OB).
Bestand von 24 Tieren
Im August 2017 kündigte Agrovet-Strickhof an, eine ungefähr 60-köpfige Forschungsherde mit OB-Kühen aufzubauen. Diese robusten, langlebigen und weidegängigen Tiere sollen den Strickhof-Schülern und Studierenden der Vetsuisse-Fakultät der Uni Zürich und ETH-Studierenden zu Ausbildungszwecken zur Verfügung stehen. Die Tiere sollen aber auch für Versuche im Stoffwechselzentrum der agrarwissenschaftlichen Fakultät der ETH Zürich eingesetzt werden. Gegenwärtig leben 24 OB-Tiere in den Stallungen des Strickhofs. Fünf von ihnen befinden sich bereits in der Laktation und sind in die Forschungsherde integriert. Eine von ihnen ist die 28 Monate alte Lenta. Bei unserem Besuch verlässt sie gerade den Melkstand. Auf dem beinahe leeren Laufhof gönnt sie sich unter der Viehbürste einige Wohlfühlmomente. Kein Körperteil lässt sie aus. Jeder wird unter die Bürste gehalten. Mit sichtlichem Genuss schmiegt sie Hals und Nacken an die Bürste und lässt sich massieren.
Lenta befindet sich zwar noch im Wachstum. Dennoch ist bereits jetzt sichtbar, dass sie nicht die Grösse einer genetisch nah verwandten Brown-Swiss-Kuh erreichen wird. Im Körperbau ist sie gedrungener als ein Brown-Swiss Tier. Matthias Schick weist auf den kleinen Kopf von Lenta hin – eine Eigenschaft, die den Geburtsvorgang für Kuh und Kalb wesentlich erleichtert. Schick hebt aber auch Lentas Fundament und die gute Klauengesundheit hervor. Und selbstverständlich fehlt auch der Hinweis auf das schön aufgehängte Euter mit idealer Zitzenstellung nicht. Schick charakterisiert OB-Kühe als stille Schafferinnen, ruhig und angenehm im Umgang – weit weniger eigenwillig etwa als die auf Höchstleistungen getrimmten Holsteinkühe. OB-Kühe würden sich leicht führen lassen.
Ein Stall für zwei Herden
Der Milchviehstall von Agrovet-Strickhof bietet Platz für maximal 128 Kühe. Die 128 Meter lange Futterachse teilt den Stall in zwei Bereiche: Die eine Seite der Futterachse ist für die Forschungsherde reserviert, die andere Seite für die Ausbildungsherde. Die Ausbildungsherde besteht aus leistungs- und milchbetonten Tieren der Rassen Brown Swiss, Red Holstein und Holstein. Während die Kühe im Versuchsstall in einem Melkstand gemolken werden, übernimmt im Ausbildungsstall ein Melkroboter diese Arbeit. Um den Lernenden die Vor- und Nachteile verschiedener Bauweisen und Entmistungsverfahren aufzuzeigen, ist in einem Teil des Laufstalls der Ausbildungsherde ein Festboden eingebaut, im anderen ein Spaltenboden. Aus der gleichen Überlegung unterscheidet sich das Einstreumaterial in den Liegeboxen. Materialien wie etwa Sand, Kompost, Strohpellets, Sägemehl oder aus Gülle separierte Feststoffe werden bezüglich ihrer Vor- und Nachteile verglichen.
Ruhiger Charakter wird geschätzt
Die im Milchviehstall tätigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Strickhofs wüssten diese Eigenschaften der OB-Tiere zu schätzen, sagt Matthias Schick. Diese seien aber auch wichtig für die Auszubildenden, die Studierenden oder die Wissenschaftler. Etwa wenn diese zu Ausbildungszwecken eine Milch- oder Blutprobe ziehen müssen. Der ruhige Charakter dieser Tiere sei auch wichtig für die Eignung zu den geplanten Versuchen in den Respirationskammern von Agrovet-Strickhof. Folgende weitere Überlegungen haben ebenfalls zum Aufbau einer OB-Herde beigetragen:
Vergleichende Versuche: Die Ausbildungsherde am Strickhof weist eine deutlich höhere Milchleistung auf als die Versuchsherde. Das ermöglicht Fütterungsversuche mit Blick auf die Effizienz und Effektivität bei Tieren mit unterschiedlichem Leistungsniveau.
Experimentelle Versuche: OB-Kühe verfügen über einen stabilen Stoffwechsel. So reagieren sie etwa nur mit geringen Leistungsschwankungen bei einer kurzfristigen Veränderung der Qualität oder Zusammensetzung der Ration. Sie sind wenig anfällig für Krankheiten wie etwa Milchfieber. Das macht sie besonders geeignet für experimentelle und langfristige Studien. So können zum Beispiel in den Respirationskammern die Auswirkungen unterschiedlicher Fütterungsstrategien auf die Methanproduktion gemessen werden.
Versuch mit Esparsette
Laut Matthias Schick steht bereits ein erster Versuch unter der Leitung des Strickhofs mit Esparsette bevor. Die sehr nahrhafte Futterpflanze, die Bitterstoffe enthält, ist bereits angepflanzt. Nach der Ernte soll sie getrocknet und als Kraftfutter verfüttert werden. Messungen in der Respirationskammer sollen ab dem Jahresende zeigen, ob und in welcher Form sich dieser Futterbestandteil auf die Reduktion von Methan auswirkt. Daneben werden aber auch die Milchleistung sowie die Milchinhaltsstoffe untersucht.
10 000 Tiere auf 500 Betrieben
Der Bestand an OB-Kühen in der Schweiz hat wegen der Einkreuzung mit amerikanischen Brown-Swiss-Tieren stark gelitten. Der Tiefpunkt wurde im Jahr 2002 erreicht, als gerade mal noch 5680 OB-Tiere im Herdebuch von Braunvieh Schweiz registriert waren. Heute hat sich der Bestand auf etwa 10 000 reinrassige OB-Tiere in etwa 500 Betrieben erholt. Bei diesem vergleichsweise kleinen Bestand hätte der Kauf von 60 OB-Kühen mit der gewünschten Genetik deren Preise in die Höhe schnellen lassen.
8000 Kilo pro Laktation als Ziel
Agrovet-Strickhof setzte deshalb darauf, seine OB-Herde über Embryo-Transfer aufzubauen. Potenzielle Spendertiere wurden auf Anfragen genomisch getestet und mit passenden Stieren angepaart. Dieses System war aber nur bedingt erfolgreich, weil nicht alle Trägerkühe des Strickhofs einen Embryo aufnahmen. Ein Grund dafür könnte die enorme Hitze im Sommer 2018 gewesen sein, mutmasst Matthias Schick. Beim gegenwärtigen Bestand von 24 weiblichen OB-Tieren ist aber der Aufbau einer 60-köpfigen Herde mit gezielten Anpaarungen auf herkömmlichen Weg absehbar. Agrovet-Strickhof setzt dabei auf Kühe, die auf Basis einer grundfutterbetonten Ration auf eine ansprechende Milchleistung kommen. Es soll möglichst wenig Kraftfutter eingesetzt werden. Angepeilt wird eine Milchleistung von 8000 Kilogramm pro Laktation.