BauernZeitung: Der Umstieg aus dem Elfenbeinturm ETH in die Niederungen der Landwirtschaft war ein brüsker, haben Sie ihn je bereut?

Diese Frage wurde mir in den vergangenen acht Jahren immer wieder gestellt, und ich konnte sie immer mit einem «Nein» beantworten. Ich habe meine Tätigkeit als BLW-Direktor sehr gerne ausgeübt, obwohl es manchmal etwas stressig gewesen ist.

Das Amt des BLW-Direktors ist demnach stressiger als ETH-Professor zu sein?

Es ist eine andere Art Stress. Als ETH-Professor muss man im Wettbewerb kämpfen. Man muss vorne dabei sein und publizieren. Der Stress beim BLW wird durch die Breite der Themen verursacht. Man braucht eine schnelle Auffassungsgabe. Sei es Agrarwirtschaft oder eine detaillierte Zusammensetzung von Pflanzenschutzmitteln; wenn man seine Unterschrift unter ein Dokument setzt, muss man die Verantwortung dafür übernehmen.

Die Umgangsformen sind in der Landwirtschaft rauer als an einer Universität. Wie sind Sie damit umgegangen?

Ich habe bereits als ETH-Professor Erfahrungen mit dem rauen Wind gemacht. Ich erinnere mich an den Titel eines Artikels des damaligen SMP-Direktors nach der Veröffentlichung einer Studie der lautete: «Wissenschaftliche Marginalien aus Zürich». Von daher hatte ich schon eine Vorahnung auf das, was mich beim BLW erwartet. Zudem habe ich die Agrarpresse bereits als ETH-Professor verfolgt. Ich kannte also die Tonalität.

An Veranstaltungen waren die Angriffe teilweise sehr persönlich.

Damit konnte ich gut umgehen. Für mich war die Kultur der Gespräche in Ordnung. Ich hatte Freude am Diskurs. Mit den Landwirten bin ich gut klargekommen.

Acht Jahre als Direktor des Bundesamts für Landwirtschaft gehen zu Ende. Ihr «Vermächtnis» AP 22+ müssen Sie unfertig zurücklassen. Ist das nicht unbefriedigend?

Die Vernehmlassung der AP 22+ hat die Vorlage in meinen Augen verbessert. Wir haben gute Inputs erhalten. Im August folgt die Beurteilung der Vernehmlassungsergebnisse durch den Bundesrat. Ich freue mich, dass wir ihm gute Vorschläge präsentieren können. Dann sind die Eckpfeiler gesetzt und es geht an die Ausarbeitung der Botschaft. Danach folgt die parlamentarische Phase und erst dann die Umsetzung. Es ist also nicht nötig, bis zum Schluss dabei zu sein.

Die Geschichte wiederholt sich spiegelverkehrt: Sie haben das praktisch fertige Paket AP 14-17 von Ihrem Vorgänger Manfred Bötsch übernommen. Wäre es für Sie einfacher gewesen, den Prozess von Start her zu begleiten?

Es hat eine Weile gedauert, bis ich mich bis ins letzte Detail mit der AP 14-17 identifizieren konnte. Ich habe mich vorerst schwer getan mit der Vielfalt an Direktzahlungen. Ich musste mir zuerst einmal über die verschiedenen Massnahmen ein Bild machen. Aber ich hatte eine positive Einstellung. Am meisten Mühe hatte ich mit den Landschaftsqualitätsbeiträgen. Die Lösung für mich waren gute Beispiele aus Kantonen. Eine Reformetappe ist ein langer Prozess. Und Reformen sind nicht an eine Person gebunden.

Es ist ja schon erstaunlich, wie die AP 14-17 immer bekämpft wurde und heute, angesichts der nächsten Reform, plötzlich verteidigt wird. Hat Sie der Wandel erstaunt?

(Schmunzelt) Diesbezüglich wurde ich von meinem Vorgänger Manfred Bötsch und auch von Edi Hofer vorgewarnt. Es ist der Branche, den Bauern und dem BLW gelungen, aus der AP 14-17 etwas zu machen, das getragen wird. Diese Agrarreform war eine ziemliche Umstellung. Nicht nur der administrative Aufwand hat die Leute beschäftigt. Auch die verschiedenen Arten von Direktzahlungen, die sich zum Teil sogar beissen, mussten zuerst verstanden werden. Es ging lange, bis die AP 14-17verstanden wurde.

Was waren die grössten Ängste zur AP 14-17?

Angst hatte man vor der Abschaffung der Tierbeiträge und deren Auswirkungen. Aber es ist etwas eingetroffen, mit dem nicht gerechnet wurde: Die Milchproduktion hat nicht abgenommen und die Tierbestände sinken nur im Ausmass der Mehrleistung. Die Preise sind noch nie so lange so hoch gewesen wie seit der Einführung der AP 14-17. Die Abschaffung der Tierbeiträge hat geholfen, dass der Markt seinen Beitrag geleistet hat. Und das ohne stark abnehmende Mengen. Gleichzeitig verlangsamt sich der Strukturwandel. Jetzt ist er bei 1,5% pro Jahr. Trotzdem sind die Einkommen gestiegen. Ich frage mich, wie kann das sein? Plötzlich steigen die Einkommen nicht mehr wegen den wachsenden Betrieben, sondern weil eine bessere Wertschöpfung am Markt – auch wegen vermehrten Innovationen - erreicht wird.

Muss das gesamte Beitragsvolumen gesenkt werden, damit mehr Einkommen am Markt erzielt wird?

Man sollte zumindest dort das Beitragsvolumen kritisch hinterfragen, wo tendenziell die Mengen zu hoch sind. Bei den grünen Direktzahlungen ist das nicht der Fall. Die Direktzahlungen haben einen Wandel durchlebt. Es fliesst immer mehr Geld in die Kanäle für nachhaltige Produktionssysteme. Und das ist aus meiner Sicht der grösste Wurf der AP 22+. Neu werden 250 Millionen von der Versorgungssicherheit in die Produktionssystembeiträge umgelagert. Dadurch kann man die nachhaltigen Systeme profitabler machen.

Hat sich dieser Vorschlag in die Botschaft retten können?

Ja, dieser Vorschlag wurde in der Vernehmlassung unterstützt. Voraussetzung ist, dass die Umsetzung administrativ einfach bleibt. Bei den Produktionssystembeiträgen haben wir uns vom Punktesystem der IP-Suisse inspirieren lassen. Gegenwärtig werden zusammen mit den interessierten Kreisen die Details entwickelt. Die Idee ist, bei den Produktionssystemen Module vorzuschlagen. Das heisst, dass es beim Herbizid beispielsweise die Möglichkeit gäbe, den Einsatz stufenweise zu reduzieren: zuerst 25% weniger, als nächste Stufe 50% usw. Wenn es nicht funktioniert, rutscht man ohne Sanktionen wieder eine Stufe tiefer. Der Landwirt hat einfach weniger erreicht, und im nächsten Jahr kann er es wieder probieren. Er muss natürlich korrekt melden. Bundesrat Parmelin unterstützt die Idee des modularen Aufbaus sehr.

Das ist ein Beispiel für einen Produktionssystembeitrag im Pflanzenschutz-Bereich. Gibt es noch ein anderes Beispiel, bei dem man künftig modular Geld abholen kann?

Wir stellen uns verschiedene Kategorien vor. Beim Ackerbau soll ein Schritt in Richtung Klimaschonung aber auch Klimaanpassung gemacht werden. Da der Begriff «Klima» zurzeit etwas gehypt wird, sprechen wir von Bodenfruchtbarkeit.

Könnten Sie ein Beispiel nennen?

Agroforst ist beispielsweise ein grosses Thema. Es wurde in der Vernehmlassung eingebracht. An sich ist es nichts Neues. Daran wurde bereits seit Jahren an der ETH gearbeitet. Jetzt ist es ausgereift und es kann in der Politik verankert und den Landwirten mit einem entsprechenden Anreiz zur Verfügung gestellt werden. Es ist unglaublich, wie die Landwirte bewusster mit Vielfalt umgehen. Früher waren die Wegränder beispielsweise viel geputzter. Das kann ich bei meinen zahlreichen Velofahrten beobachten. Es ist schade, dass die Landwirtschaft immer noch so stark kritisiert wird, obwohl sie schon so viel macht.

Man hat das Gefühl, dass die Landwirte im öffentlichen Diskurs mehr am Pranger stehen als je zuvor, obschon sie eine grosse Entwicklung gemacht haben und nach wie vor machen. Wieso fehlt die Anerkennung und wie könnte man begegnen?

So schlimm ist es nicht. Umfragen zeigen, dass das Ansehen der Landwirtschaft immer noch sehr hoch ist. Kritik kommt von den Kreisen, denen die Fortschritte zu wenig schnell gehen, beispielsweise bei den Rückständen von Pflanzenschutzmitteln im Wasser. Wobei gerade bei diesem Beispiel noch mit alten Zahlen argumentiert und die positiven Entwicklungen nicht berücksichtigt werden. In Bezug auf den Aktionsplan Pflanzenschutzmittel ist seit 2017 schon sehr viel umgesetzt worden und die Landwirte machen mit. Gleichzeitig erlaubt die neue Technik aber auch genauere Messungen der Rückstände. Dadurch wird die Situation zumindest subjektiv nicht besser. Die Landwirtschaft macht mit viel Kommunikation auf die positiven Entwicklungen aufmerksam. Aber das reicht offensichtlich nicht aus, um die Meinung derer zu beeinflussen, die einen schnelleren Fortschritt wollen.

Begrüssen Sie es, dass die Pflanzenschutz-Initiativen Druck machen?

Der Bundesrat hat den Aktionsplan Pflanzenschutzmittel im Juli 2017 verabschiedet. Bis der Bundesrat etwas verabschiedet vergehen ungefähr zwei Jahre. Der Massnahmenplan wurde also bereits erarbeitet, bevor man überhaupt gewusst hat, dass für diese Initiativen gesammelt wird. Wir entwickeln uns weiter, auch ohne Initiativen. Es gibt immer neue Erkenntnisse bei den Pflanzenschutzmitteln, die dazu geführt haben, dass wir innert weniger Jahre 148 Mittel aus dem Sortiment genommen haben. Zudem gibt es neue alternative Produkte. Das kann ebenfalls Grund für den Rückzug eines Produktes sein. Leider sind auch zu meiner Zeit Produkte zugelassen worden, von denen man angenommen hat, dass sie harmlos sind. Das habe ich eben gelernt: Plötzlich relativieren neue Studien die Ergebnisse von früheren Studien. Neonicotinoide sind ein Beispiel dafür. Sie sind zwar harmlos für den Menschen, nicht aber für die Bienen.

Der ETH-Professor Finger sagt, dass Initiativen auch wenn sie abgelehnt werden und keine Chancen haben, dennoch agrarpolitisch etwas bewirken. Sind die Initiativen wichtig für die Weiterentwicklung der Agrarpolitik? Oder ist das ein unnötiges Störmanöver?

Eine Initiative - auch wenn sie abgelehnt wird - hat bevor es zur Abstimmung kommt immer eine enorme Wirkung. Der Bundesrat befasst sich damit, er muss einen Gegenentwurf abwägen, dann diskutiert das Parlament darüber etc. Initiativen beschleunigen Prozesse massiv.

Begrüssen Sie das?

Bei manchen Initiativen finde ich es vor allem wichtig, dass sie nicht angenommen werden. Sie hätten einen viel zu negativen Einfluss auf die Schweizer Landwirtschaft. Wenn ich mir unsicher bin, wähle ich die globale Perspektive. Viele der vorgeschlagenen Initiativen könnte sich die Welt niemals leisten. Das würde zu Hungersnöten führen und wäre global betrachtet vollkommen unethisch. Mit der AP 22+ haben wir bereits einige Anpassungen in die Richtung der aktuellen Initiativen gemacht. Momentan wird in der WAK eine Flut an Gegenvorschlägen diskutiert. Es ist zur Zeit noch nicht klar wie es rauskommen wird und man muss damit rechnen, dass einer davon mehrheitsfähig wird. Insbesondere da die FDP bisher signalisiert hatte, dass der Aktionsplan nicht verbindlich genug sei.

Enthält die AP 22+ neu ein Zückerchen für die FDP?

Die Verwaltung agiert nicht mit den Parteien.

Aber es wäre ja durchaus vorstellbar, dass der Departementsvorsteher eine Forderung in diese Richtung an das BLW gestellt hat, damit ein Gegenvorschlag verhindert werden kann.

Die Gegenvorschlagsideen findet man ja auch in der Vorlage zur Weiterentwicklung der Agrarpolitik, sie gehen aber teilweise weiter und nehmen den Aktionsplan des Bundes auseinander.

Gibt es etwas, das Sie in den letzten acht Jahren erreicht haben, worauf Sie besonders stolz sind?

An der ETH habe ich mich am Schluss sehr viel mit der wachsenden Bevölkerung und dem steigenden Bedarf an Lebensmitteln befasst. Ich habe immer gesagt, dass es eines Tages knapper wird. Und dann übernehme ich eine Agrarpolitik, die Anreize in Richtung Ökologie setzt. Ich musste mich daran gewöhnen, dass sich die nationale von der globalen Sichtweise unterscheiden kann. Ich denke, ich habe einen Beitrag geleistet, dass das Wort Ernährungssicherheit seinen Weg in die Schweiz gefunden hat. Ich bin sehr stolz, dass die Ernährungssicherheit in meiner Zeit in der Bundesverfassung verankert worden ist. Das gibt der Landwirtschaft in der Schweiz auf lange Zeit eine Zukunft.

Was hat Sie am meisten geärgert?

Das BLW gibt viel Geld aus, das nicht zu den Bauern geht, sondern an Organisationen. Mit der Absatzförderung unterstützen wir verschiedene Projekte. Das BLW wird oft kritisiert und dabei wird nicht realisiert, dass Kampagnen wie beispielsweise «Gut, gibt’s die Schweizer Bauern» zur Hälfte mit Bundes-Geldern finanziert wird. Wir können uns zu wenig gut verkaufen. Zudem hätte ich es begrüsst, wenn ich etwas frecher und offensiver hätte kommunizieren dürfen. Aber als Chef der Verwaltung hat man einen strengen Kodex für die Kommunikation. Dadurch tritt man in den Hintergrund.

Nach der Präsentation der Gesamtschau hat man gemerkt, dass Sie sehr gerne selbst kommuniziert hätten. War das ein Tiefpunkt?

Es ist schade, dass die Gesamtschau so schlecht eingeordnet wurde. Am meisten hat man sich über den Abbau von 30 bis 50% der Preisdifferenz zum Ausland aufgeregt. Wenn man das auf die Preise überträgt entspricht das noch 10 bis 15%. Das sind Schwankungen, die man zum Teil bereits heute hat. Daher hatten wir objektiv betrachtet mit dem Vorschlag keine Schwierigkeiten. Die Landwirtschaft aber schon.

Könnte so etwas auch unter dem neuen Departementschef geschehen?

Das Thema ist nach wie vor aktuell, da noch viele Baustellen offen sind. Mit dem neuen Departementsvorsteher wird die Diskussion mit der Branche vielleicht offener und transparenter geführt.

Sie haben mit zwei verschiedenen Bundesräten zusammengearbeitet. Können Sie diese kurz charakterisieren?

Es gibt viele Gemeinsamkeiten. Bei beiden ist und war ein gegenseitiger grosser Respekt vorhanden, die gegenseitige Anerkennung von Qualitäten. Mit beiden habe ich ein gutes Einvernehmen, auch zwischenmenschlich. Einen Unterschied, den man vielleicht erwähnen darf: Herr Parmelin ist vom Fach, dadurch kann man schneller über Details diskutieren. Vorher waren andere Themen spannend. Vergleichen kann man nicht. Wichtig ist, dass man absolut loyal ist.

Gibt es eine Entwicklung in den vergangenen acht Jahren, die Sie erstaunt hat?

Die Anzahl Initiativen hat mich erstaunt. Schon vor 25 Jahren gab es eine solche Phase: Kleinbauern, Zuckerbeschluss etc waren grosse Themen. Die Landwirtschaft war zu diesem Zeitpunkt extrem unter Beschuss. Die Landwirtschaft war ihrerseits mit vielen Dingen nicht einverstanden und hat vehement protestiert. Beispielsweise 1991 gegen das GATT in Genf. Da war die Landwirtschaft aufmüpfig. Jetzt ist wieder die Gesellschaft aufmüpfig. Vielleicht sind es Zyklen.

Was befremdet Sie am meisten?

Die aktuellen Initiativen der letzten fünf Jahre haben alle eine Wunschvorstellung der Landwirtschaft: Sie muss bäuerlich sein, sie soll Geld verdienen können und sie soll naturnah produzieren. Vor allem der letzte Punkt ist stärker geworden. Das hat mich erstaunt. Plötzlich scheint man nicht mehr zu verstehen, dass die Forderungen gar nicht gleichzeitig erfüllbar sind. Und es sind ja nicht nur die Initianten selbst. Auch die Menschen, die unterschreiben, werden kritisch. Wir stellen in der Kommunikation über die Landwirtschaft den Landwirt in den Vordergrund. Aber es gibt noch ein anderes Thema, bei dem man eine viel grössere Schicht abholen kann: Der Bezug zum Nahrungsmittel gewinnt an Bedeutung. In diese Richtung könnte die Kommunikation verstärkt werden.

Was geben Sie Ihrem Nachfolger mit auf den Weg?

Wenn mein Nachfolger das ausgeschriebene Stellenprofil in allen Punkten erfüllt, dann braucht er keine Ratschläge von mir (lacht). Erstens: Man muss die Landwirtschaft und die Bauern gern haben. Das kann man nicht herbeizaubern. Das ist mir leicht gefallen, da ich aus der Landwirtschaft komme. Zweitens braucht es Geduld, um zu lernen, zu verstehen, zuzuhören und erklären zu können. Ich wünsche ihm oder ihr Ausdauer. Man muss einiges einstecken können und nicht immer alles persönlich nehmen.

Wäre die beste Lösung eine interne?

Ich bin natürlich nicht objektiv. Die Leute, die ich in der Vergangenheit für das BLW gewinnen durfte, können ja nicht schlecht sein. Es ist ein sehr gutes Team mit einem guten Zusammenhalt. Ich hoffe für sie, dass, egal welche Lösung eintrifft, die Chemie stimmen wird. Ich war ja auch ein Externer (lacht).

Und wohin verschlägt es Sie?

Das ist noch nicht offiziell. So viel kann ich verraten: Ich werde teilweise im internationalen Umfeld arbeiten und ich werde, wie kann es anders sein, mich mit nachhaltiger Ernährungssicherheit befassen.