Die Erkenntnisse aus dem ersten globalen Biodiversitätsbericht sind alarmierend: "Die Natur geht weltweit in einem in der Geschichte der Menschheit noch nie gesehenen Tempo zurück, und das Aussterben der Arten nimmt zu", schreibt die Uno-Plattform für Biodiversität (IPBES).  Von rund 8 Mio Arten gelten 500'000 bis 1 Mio als gefährdet. Zahl und Vielfalt der Ökosysteme nähmen weiter ab und dies habe bereits schwerwiegende Auswirkungen auf die menschliche Bevölkerung weltweit, heisst es weiter.

Prügelknabe Landwirtschaft

Selbstredend nahmen viele Kommentatoren diese jüngst publizierten Befunde und Zahlen zum Anlass, die Landwirtschaft in bewährter Weise als Hauptschuldige an den Pranger zu stellen. So einfach ist es aber nicht. Denn die Landwirtschaft ist selber massiv betroffen von der schwindenden Biodiversität: Auf 235 bis 577 Mrd US-Dollar schätzen die Experten den Wert der Ernten, die aufgrund des Rückgangs an bestäubenden Insekten pro Jahr gefährdet sind.

Einer der Beteiligten zeigte denn bei der Präsentation des Berichts auch auf, dass es sich keineswegs um ein Problem handelt, dass sich auf dem Buckel einer einzelnen Bevölkerungsgruppe austragen lässt. "Man sollte nicht immer nur auf die üblichen Verdächtigen wie die Landwirtschaft einprügeln", sagte Markus Fischer vom Institut für Pflanzenwissenschaften der Universität Bern an der Medienkonferenz.

"Thema breiter denken"

Vielmehr gelte es, "das Thema breiter zu denken, um zu sehen, dass das Verhalten jeder und jedes Einzelnen einen Einfluss hat", sagte Fischer. Damit gilt für die Biodiversitäts-Krise dasselbe wie für den Klimawandel, wo die Landwirtschafts-Kritiker die Schuld zur eigenen Entlastung gerne an die Kühe (Methan) und die Bauern (Ammoniak) delegieren.

Laut dem IPBES-Bericht sind es nämlich zentrale Lebensbereiche, in denen die Ursachen für das Artensterben zu suchen sind: Ernährung, Mobilität und Wohnen. Dass Schweizer zum Beispiel übermässig Fleisch essen, trage via Landwirtschaft zum Verlust an Naturvielfalt bei. Ebenso fördere die Liebe zum Einfamilienhaus die Zersiedelung, einen der wichtigsten Gründe für das Artensterben hierzulande, so Fischer gemäss "NZZ".

Amerikanische Luftaufnahmen als Zeitdokument

Einen geradezu schlagenden Beweis für diese These lieferte dieser Tage ein eher unerwarteter Anwalt: die amerikanische Luftwaffe. Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs hat sie die Schweiz flächendeckend aus der Luft abfotografiert. Dieses Bildmaterial aus dem Jahr 1946 zeigt drastisch, wie sich das Land innerhalb von gut 70 Jahren verändert hat.

Wo einst Abertausende von Hochstämmern in der Kulturlandschaft florierten, breitet sich heute die Zivilisation praktisch ungehemmt aus. Die rechts publizierten Bilder von Frauenfeld TG zeigen, dass der Lebensraum für Biodiversität ausserhalb der Spezies Mensch massiv eingeschränkt worden ist.

Katzen fressen 1,8 Mio Vögel jährlich

Dafür gibt es die verschiedensten Ursachen und nur die wenigsten können der Landwirtschaft in die Schuhe geschoben werden. Dazu gehören das rasche Wachstum und die überhitzte Bautätigkeit ebenso wie die politischen Vorgaben des Bundes.

So wurden etwa bis 1975 Rodungsprämien für Hochstammobstbäume bezahlt, um den Missbrauch von hochprozentigen Fruchtschnäpsen einzudämmen. Gab es 1950 noch 6 Mio Hochstämmer, sind es heute nurmehr 1,2 Mio, obwohl deren Pflanzung inzwischen wieder nach Kräften gefördert wird.   

Eine andere Zahl, die aufhorchen lässt, las man kürzlich im englischen «Guardian»: Wissenschafter schätzen, dass in den USA jährlich 1 Mrd Vögel durch Kollisionen mit Gebäuden getötet werden. Auch in der Schweiz dürfte diese Zahl beträchtlich sein. Weitere 1,8 Mio Vögel fallen laut Schätzungen des Naturama Aargau unseren 1,5 Mio Hauskatzen zu Opfer. Dazu kommen 3 Mio Schmetterlinge und 600'000 Reptilien.

Steinwüsten der Privatgärtner

Mit diesen Zahlen soll die Landwirtschaft keineswegs reingewaschen werden. Sie hat ihren Anteil am Biodiversitäts-Verlust zu übernehmen und es gibt noch viel zu tun, auch was die Akzeptanz der steigenden gesellschaftlichen Anforderungen angeht.

Gleichzeitig sollte allerdings nicht vergessen gehen, dass die Bauern hier bereits mehr tun, als die meisten Privatgärtner. Diese scheinen sich im Moment vielerorts darauf zu konzentrieren, ihren Umschwung zwecks Arbeitsreduktion in Steinwüsten zu verwandeln.

Breite Anstrengung ohne Schwarzpeterkarte

Derweil hat die Landwirtschaft die Ziele in Sachen Biodiversitätsflächen bereits weit übertroffen. Das hat natürlich auch mit den dafür ausgerichteten Bundesbeiträgen zu tun. Aber das reicht nicht, um das zunehmende Engagement vieler Bewirtschafter für eine belebte Umwelt zu erklären.

Nicht nur im Biobereich wächst die Freude an der Wiederansiedelung oder Rettung von allerlei Arten. Man denke an das erfolgreiche Punkteprogramm von IP-Suisse oder andere private Initiativen. Die Erfolgsmeldungen treffen aber weniger schnell ein, als die auf Tempo getrimmte heutige Gesellschaft erwartet.

Doch ebensowenig, wie die Stadt Rom in einem Tag erbaut wurde, lässt sich eine biodiverse Schweiz innert weniger Jahre wiederherstellen. Und ganz sicher nicht von den Bauern allein. Es braucht eine gesamtgesellschaftliche Anstrengung ohne Schwarzpeterkarte.