Monika Wolfensberger ist leicht zu erkennen, als sie ihren Kopf aus dem Autofenster streckt. Der Schriftzug «Rehkitzrettung.ch» auf ihrem Auto verrät sie. Wir treffen uns Anfang Juni, kurz vor 8 Uhr, in Bäretswil im Zürcher Oberland. Um diese Zeit hat Monika Wolfensberger ihre ersten Einsätze als Drohnenpilotin im Dienste der Rehkitzrettung bereits hinter sich. Um 5 Uhr in der Früh hatte sie ihre mit einer Wärmebildkamera ausgerüstete Drohne über mehrere Wiesen pilotiert, bevor sich Landwirt Remo Frauchiger ans Mähen machte. Und die beiden wurden in der Tat fündig. Gleich zwei Rehkitze entdeckten sie dank der Wärmebildkamera im hohen Gras neben einem Waldrand. Danach fuhr Monika Wolfensberger zurück nach Hause, auf einen abgelegenen Hof bei Bäretswil. Um 7 Uhr muss sie jeweils dort sein, damit sie ihre beiden schulpflichtigen Kinder rechtzeitig zum 1,5 Kilometer entfernten Schulbusstop bringen kann.

Nicht in die Wiege gelegt

Dass Monika Wolfensberger sich einmal für die Rehkitzrettung engagieren würde, lag nicht auf der Hand. Sie ist weder eine Bauerntochter, noch auf dem Land aufgewachsen. Die ausgebildete Buchhalterin arbeitet in einem 70-Prozent-Pensum in Zürich. Lange war es für sie schwer vorstellbar, auf einem abgelegenen Bauernhof in der Bergzone II in Bäretswil zu leben. Aber die Heirat mit Landwirt Stefan Wolfensberger brachte das mit sich. Das Leben auf dem Land funktioniert inzwischen gut – auch wenn Monika Wolfensberger nach der Heirat stets betonte, sie sei zwar mit einem Bauern verheiratet, aber sie sei keine Bäuerin und habe ihren eigenen Beruf.

Eines ihrer täglichen Telefongespräche über Mittag mit ihrem Mann im Frühsommer 2019 weckte in Monika Wolfensberger das Interesse an der Rehkitzrettung. Sie erfuhr, dass er leider ein Rehkitz «vermäht» hatte – obwohl die Wiese am Abend zuvor von einem Jäger fachgerecht verblendet worden war. «Das machte mich traurig und auch wütend», erinnert sich Monika Wolfensberger. «Drohnen mit Wärmebildkamera können heutzutage problemlos ein Rehkitz ausmachen. Da geht es nicht an, dass Rehkitze immer noch ‹vermäht› werden», schoss es ihr durch den Kopf. Und so kam sie zum Entschluss, sich selbst eine Drohne mit Wärmebildkamera zu beschaffen.

Schwieriger als erwartet

Die Umsetzung dieses Entschlusses gestaltete sich dann allerdings schwieriger, als Monika Wolfensberger sich das gedacht hatte. Diverse Google-Suchen ohne jegliches Vorwissen über Drohnen und Wärmebildkameras führten nicht zu greifbaren Ergebnissen. Erst nachdem der Kontakt zum gemeinnützigen Verein «Rehkitzrettung Schweiz» geknüpft worden war, ging es vorwärts. «Hier fand ich die Hilfe, die ich suchte», so Monika Wolfensberger. Nach einem Info-Abend des Vereins folgte ein zwei Tage dauernder Ausbildungskurs zur Drohnenpilotin, erzählt Monika Wolfensberger auf der Fahrt zu ihrem nächstem Einsatzort. Während des Kurses musste sie zudem feststellen, dass das Pilotieren einer Drohne gar nicht so einfach ist. Nur schon die Drohne einen Kreis fliegen zu lassen, sei am Anfang des Kurses eine echte Herausforderung gewesen, sagt sie.

Von dieser Herausforderung ist an Monika Wolfensbergers zweitem Einsatzort an diesem Morgen, am Rande einer noch im Schatten liegenden Wiese oberhalb von Bauma, nichts mehr zu spüren. Nachdem Landwirt Remo Frauchiger, der auch diese Wiese bewirtschaftet, angekommen ist, verbindet Monika Wolfensberger die erstaunlich kleine Wärmebildkamera mit der ebenfalls an der Drohne befestigten kleinen Batterie. Noch am Vorabend hat sie die Flugroute der Drohne über diese Waldwiese mittels Flugplanungssoftware des Vereins Rehkitzrettung programmiert.

Nur ein Baumstrunk

Routiniert lässt Monika Wolfenberger die Drohne auf die Flughöhe von 45 Metern steigen. Während sie den Flug der Drohne von Auge und über das Display ihres Tablets verfolgt, blickt Remo Frauchiger konzentriert auf den Wärmebildmonitor. Er meldet sich sofort, wenn er auf diesem einen verdächtigen Punkt entdeckt, der auf eine Wärmequelle hinweist. In solchen Fällen wechselt Monika Wolfensberger nach Beendigung des Wegpunktfluges von der automatischen auf die manuelle Steuerung. Sie lässt die Drohne über der verdächtigen Stelle absinken. Auf dieser Parzelle ist dies zwei oder drei Mal der Fall. Und jedes Mal kommt eine Entwarnung. Nein, kein Rehkitz, lediglich ein Baumstrunk. Nach ein bis zwei Minuten ist die Wiese abgeflogen, ohne dass ein Rehkitz entdeckt wurde. Nun kann Bauer Frauchiger beruhigt die Wiese mähen.

Die Arbeit wird geschätzt

Üblicherweise ist bei der Suche nach Rehkitzen auch ein Vertreter der Jagd dabei. Dieser musste aber an diesem Morgen wegen eines Unfalls absagen. So hat Remo Frauchiger dessen Aufgabe übernommen. Wird ein Rehkitz entdeckt, so wird dieses abgedeckt: Mit einer Kiste, die mit einem Stein beschwert ist oder mit Haken an der Erde befestigt wird. Das ermöglicht es dem Landwirt, beim Mähen einen grossen Bogen um das potenzielle Opfer zu fahren. Monika Wolfensberger ist nun im zweiten Jahr als Drohnenpilotin unterwegs. In dieser Zeit hat sie an ihren morgendlichen Einsätzen schon einige Rehkitze entdeckt. Nicht immer konnte allerdings ein aufgespürtes Kitz vor dem Tod bewahrt werden. So ist es auch schon vorgekommen, dass ein entdecktes Kitz in den Wald wegrannte, als man sich ihm näherte. Später hat es sich erneut im hohen Gras versteckt. Trotz aller Umsicht des Landwirts wurde es von der Mähmaschine erfasst.

Der Einsatz wird geschätzt

Die Landwirte würden ihre morgendlichen Einsätze sehr schätzen, sagt die Drohnenpilotin. Sie sind auch gefragt. Gegenwärtig sind neben ihr zwei weitere Drohnenpiloten in der Region aktiv – und ausgelastet. Das liegt vielleicht auch daran, dass dieses Jahr Rehkitze an Orten entdeckt werden, wo dies in anderen Jahren nicht der Fall war. Landwirte vermuten, dass dies auf die Anwesenheit eines Luchses zurückzuführen ist. Monika Wolfensberger ihrerseits schätzt den Kontakt zu den Landwirten und zu den Vertretern der Jagd. Am wichtigsten sind ihr aber die Rehkitze. Bei diesem Bericht gehe es nicht um ihre Person, sondern um die Rehkitze, betont sie.

Lange Tage

Mit Beruf, Familie und Haushalt sind Monika Wolfensbergers Tage im Frühsommer jeweils lang und anstrengend – aber die vielen Begegnungen und das Miterleben der Morgendämmerung sind für sie auch bereichernde Erlebnisse. Für ihr ehrenamtliches Engagement investierte und investiert sie nicht nur viel Zeit, sondern auch Geld. Die Wärmebildkamera und die Drohne hat sie aus der eigenen Tasche bezahlt. Die Ausgaben in der Grössenordnung von gut 4500 Franken liegen am unteren Rand einer professionellen Ausrüstung. Umso wichtiger ist Wolfensberger der Hinweis, dass Landwirte und/oder Jäger bei Bedarf über den Verein «Rehkitzrettung.ch» eine Drohnenpilotin oder einen Drohnenpiloten aufbieten können.