Im Rahmen der parlamentarischen Debatte über die Sistierung der Agrarpolitik 2022+ und der Absenkpfade kamen die Bauernvertreter teilweise schwer an die Kasse. Man beschuldigte sie vonseiten der Landwirtschaftskritiker pauschal, statt griffiger Lösungen lediglich zahnlose Massnahmen gutgeheissen zu haben.
Keine Lippenbekenntnisse
Danach sieht es aber nicht aus. Die beiden Absenkpfade für Pflanzenschutzmittel und Nährstoffe sind nämlich nicht bloss Lippenbekenntnisse, sondern in einem Gesetz zusammengefasst, das es in sich hat. Der Text, den das Parlament in der Schlussabstimmung vom 19. März verabschiedet hat, ist dafür erst der Vorgeschmack (s. Kasten).
Die Details der Umsetzung werden derzeit hinter geschlossenen Türen ausgebrütet. Wir haben dem Bundesamt für Landwirtschaft einen Fragenkatalog zum Thema unterbreitet, dort gibt man sich aber verschlossen: «Im Moment können wir keine Angaben dazu machen. Geplant ist, dass sich der Bundesrat noch im Frühling zur Umsetzung der Pa.Iv. 19.475 äussern wird», schreibt Sprecher Jonathan Fisch auf Anfrage.
Informeller Gegenvorschlag
Das Kürzel Pa.Iv. steht für Parlamentarische Initiative. Lanciert worden war sie 2019 durchdie Wirtschaftskommission des Ständerats als informeller Gegenvorschlag zu den beiden Pflanzenschutz-Initiativen, über die wir am 13. Juni abstimmen werden. Ursprünglich peilten die Verfasser damit eine Risikoreduktion bei den Pflanzenschutzmitteln (PSM) in Form eines Absenkpfads an.
Im Verlauf der parlamentarischen Verhandlungen ist der ständerätliche Vorstoss dann noch durch einen Nährstoff-Absenkpfad ergänzt worden. Hier schafften es die vereinten bürgerlichen Parlamentarier in den Debatten wenigstens noch, das Grundfutter draussen zu halten. Trotzdem kommt mit den beiden Absenkpfaden einiges auf die Bauern zu. Es gilt nicht nur, die Inputs zu reduzieren, sondern dafür zusätzliche Aufzeichnungen zu machen.
Was heisst «angemessen»?
Was die Details der Umsetzung angeht, tappt die Branche noch im Dunkeln, vor allem was den Absenkpfad Nährstoffe angeht. Die Gerüchteküche brodelt aber bereits kräftig. Die grosse Frage ist vor allem, wie der Begriff «angemessen» interpretiert wird. In der Parlamentsverhandlung war es ja gelungen, feste Prozentzahlen aus dem Gesetz fernzuhalten. Ursprünglich wollten ökologisch fokussierte Kreise die Stickstoff- und Phosphorverluste bis 2030 um 10 und bis 2030 um 20 Prozent senken.
In der Vernehmlassung, die dem Vernehmen nach Ende April beginnen und bis Ende August dauern soll, wird es aber erneut Prozentzahlen geben. Es gibt Branchenvertreter die wissen wollen, dass «angemessen» aus Sicht des Bundes einer Reduktion von 10 Prozent entspricht. Man muss aber kein Prophet sein, um einer solchen Höhe in den politischen Mühlen wenig Lebensdauer zuzugestehen.
Interessant ist auch die Frage, in welcher Form der Absenkpfad umgesetzt werden soll. Auch hier gibt es bereits erste Spekulationen. Diese gehen in die Richtung, dass auch bei den Nährstoffen ein Aktionsplan zum Zuge kommen soll, so wie es schon seit 2017 einen solchen für PSM gibt. Dabei soll offenbar nicht alles als selbstverständlich vorausgesetzt werden. Das heisst, die neuen Vorschriften will man nicht einfach in den für Direktzahlungsbezug obligatorischen Ökologischen Leistungsnachweis (ÖLN) verpacken, sondern die Anstrengungen mit Hilfe eines Produktionssystembeitrags (PSB) honorieren.
Wie misst man das Risiko?
Viel diskutiert wird hinter den Kulissen auch, wie man die im Gesetz vorgesehene Risikoreduktion bei PSM um 50 Prozent umsetzen soll. Zunächst muss einmal eine Basis festgelegt werden, von der aus die Absenkung in Angriff genommen werden kann. Dann gilt es festzulegen, wie die Risikoreduktion zu messen ist. Mit der Ausarbeitung dieser Details ist Agroscope beauftragt worden. Das Risiko soll offenbar nach der Formel Menge × Toxizität × Exposition berechnet werden.
Für Produkte, die den Ab-senkungsanforderungen nicht standzuhalten vermögen, sieht das neue Gesetz gröbere Konsequenzen vor. «Ist es nicht möglich, durch Anwendungsauf-lagen zu erreichen, dass die Grenzwerte eingehalten werden, so muss den entsprechenden Pestiziden die Zulassung oder im Fall von PSM dem Wirkstoff die Genehmigung entzogen werden», heisst es.
Ausnahmen sind aber möglich: «Würde dadurch (den Genehmigungs-Entzug, Red.) die Inlandversorgung durch wichtige landwirtschaftliche Kulturen stark beeinträchtigt, so kann der Bundesrat für eine begrenzte Zeit von einem Entzug der Zulassung oder der Genehmigung absehen», so die entsprechende Passage.
Das Gesetz für die Absenkpfade
Die Absenkpfade für Pflanzenschutzmittel (PSM) und Nährstoffe sind nach der Behandlung durch das Parlament im «Bundesgesetz über die Verminderung der Risiken durch den Einsatz von Pestiziden» zusammengefasst. Es umfasst Änderung des Chemikalien-, des Gewässerschutz- und des Landwirtschaftsgesetzes. Hier die wichtigsten Elemente:
Chemikaliengesetz
Mitteilungspflicht für Biozidprodukte: Wer Biozidprodukte in Verkehr bringt, ist verpflichtet, dem Bund Daten über das Inverkehrbringen mitzuteilen. Der Bundesrat regelt, welche Daten zu erfassen und welcher Stelle diese zu melden sind.
Zentrales Informationssystem: Der Bund betreibt ein zentrales Informationssystem zur Er-fassung der Verwendung von Biozidprodukten. Wer solche beruflich oder gewerblich verwendet, muss deren Verwendung im Informationssystem erfassen.
Zulassung von PSM: Ein PSM wird zugelassen, wenn es keine unannehmbaren Nebenwirkungen auf die Gesundheit von Menschen, Nutz- und Haus-tieren oder die Umwelt hat.
Verminderung der Risiken durch den Einsatz von Biozidprodukten: Die Risiken durch den Einsatz von Biozidprodukten für Mensch, Tier und Umwelt sollen vermindert und die Qualität von Trinkwasser, Oberflächengewässern und Grundwasser soll verbessert werden.
Gewässerschutzgesetz
Zulassung für PSM und Biozide: Sie muss überprüft werden, wenn in Gewässern, die der Trinkwassernutzung dienen, der Grenzwert von 0,1 µg/l für Pestizide oder deren Abbauprodukte wiederholt und verbreitet überschritten wird; oder in Oberflächengewässern die Grenzwerte für Pestizide wiederholt und verbreitet überschritten werden. Ist es nicht möglich, durch Auflagen die Einhaltung der Grenzwerte zu erreichen, muss dem entsprechenden Wirkstoff die Genehmigung entzogen werden. Ausnahmebewilligungen sind möglich.
Zuströmbereiche: Im Zuströmbereich von Trinkwasserfassungen dürfen nur PSM eingesetzt werden, deren Verwendung im Grundwasser nicht zu Konzentrationen von Wirkstoffen/Abbauprodukten über 0,1 µg/l führen.
Landwirtschaftsgesetz
Nährstoffverluste: Die Stickstoff- und die Phosphorverluste der Landwirtschaft werden bis 2030 im Vergleich zum Mittelwert 2014-16 angemessen reduziert. Der Bundesrat legt Reduktionsziele und Methode zur Berechnung der Erreichung der Reduktionsziele fest.
Verminderung der Risiken durch den Einsatz von PSM: Die Risiken für die Bereiche Oberflächengewässer und naturnahe Lebensräume sowie die Belastung im Grundwasser müssen bis 2027 im Vergleich zum Mittelwert 2012–15 um 50 % vermindert werden. Sind die Risiken weiterhin nicht annehmbar, so kann der Bundesrat den ab 2027 geltenden Absenkpfad festlegen. Er legt die Indikatoren fest, mit denen die Erreichung der Werte berechnet wird. Diese Indikatoren beziehen sich auf Toxizität und Einsatz der verschiedenen PSM. Der Bundesrat verwendet zu diesem Zweck unter anderem die Daten des Informations-systems.
Mitteilungspflicht für Nährstofflieferungen: Kraftfutter- und Düngerlieferungen sind dem Bund mitzuteilen, damit dieser die Nährstoffüberschüsse national und regional bilanzieren kann. Der Bundesrat legt den Kreis der Mitteilungspflichtigen fest und regelt, welche Daten zu erfassen und welcher Stelle diese mitzuteilen sind.
Mitteilungspflicht für PSM: Wer PSM in Verkehr bringt, ist verpflichtet, dem Bund Daten über das Inverkehrbringen mitzu-teilen. Er betreibt ein zentrales Informationssystem zur Erfassung der Verwendung von PSM durch berufliche, gewerbliche und öffentliche Hand.