Tina Feuerstein sitzt vor der Alphütte und näht mit Sternchenfaden mühsam ein Blumensträusschen an einen Filzhut. Vor ihr auf dem Tisch liegen noch viele andere Filzhüte und Kessel voller Blumen und Kräuter. Morgen ist Alpabzug.
54 Kühe und 70 Rinder
Wie schon die Filzhüte verraten, liegt die Alp nicht in der Schweiz. Nein es ist die Alpe Schwarzenberger Platte in Hittisau, die mit ihrem Vieh ins Tal ziehen will. Hittisau liegt in Österreich, genauer gesagt in der Region Bregenzerwald im Vorarlberg. Seit Mitte Mai ist Familie Feuerstein auf ihrer Alp. Dort werden 54 Kühe und 70 Rinder gesömmert. Davon sind 21 Kühe und
18 Rinder eigene und der Rest ist Vieh von Tinas Bruder oder anderen Bauern.
Doch zurück zu den Hüten. Was an diese genäht wird, hat Tradition: Es sind Enzian, Erika, Oregano, Rosmarin und rote Nelken. Tina Feuerstein ist die Sennerin und Miteigentümerin der Alp Schwarzenberger Platte. Sie konnte die Alp mit ihrem Bruder zusammen von ihrem Onkel übernehmen. Zudem hat sie auch seinen Talbetrieb im Dorf Hittisau übernommen und führt diesen seit 2002.
Fransen und Dachsfell an den Schellen
Währenddem Tina die Filzhüte schmückt, bimmelt es im Stall in allen Tonlagen. Dort bestimmt gerade Florian Feuerstein, mit 14 Jahren der Jüngste der Familie, welches Rind welche Zügel-Schelle tragen soll. Die Schellen sind geschmückt mit farbigen Fransen, einige sogar mit Dachsfell. Alle verbleibenden 60 Rinder haben die anwesenden Zügelhelfer bereits am Freitagnachmittag in den Stall gebracht, um sie für den Alpabzug fertigzumachen. Nachdem jedes Rind eine Zügelschelle umgeschnallt erhalten hat, dürfen diese wieder auf die Weide. Nur diejenigen, welche Schellen mit Dachsfell am Riemen erhalten, müssen im Stall bleiben. «Sonst würden sie sich gegenseitig das Dachsfell abfressen», erklärt Manfred Feuerstein.
Heuer keine Blumen
Für Familie Feuerstein ist der Alpabzug ein Feiertag. Wenngleich heuer die Kühe nicht mit Blumen geschmückt werden. «Wir dürfen die Kühe nur dann schmücken, wenn den ganzen Sommer lang kein Tier gestorben ist», erklärt Alena Feuerstein (17), die älteste der drei Kinder von Manfred und Tina. Leider hat sich diesen Sommer eine Kuh im Stall selber erhängt, erzählt sie traurig.
Trotzdem ist der Zügeltag ein Tag, auf den sich die ganze Familie freut. Schon am Freitagabend sind viele Zügelhelfer auf die Alp gekommen und helfen, alles für die bevorstehende Alpabfahrt vorzubereiten und die Vorräte zu leeren. Es geht gesellig zu und her auf der Schwarzenberger Platte.
Betriebsspiegel
Name: Tina und Manfred Feuerstein mit Alena (17), Jana (16) und Florian (14)
Ort: Hittisau im Bregenzerwald, Österreich
LN: 5 ha (100 ha Alp)
Viehbestand: 21 Kühe, 18 Rinder
Arbeitskräfte: Tina und Manfred Feuerstein (arbeitet im Winter auswärts)
Tagwach um fünf Uhr morgens
Am nächsten Morgen um fünf Uhr werden alle von Jana Feuerstein (16), der mittleren Tochter, geweckt. Aus allen Ecken kriechen Familienmitglieder und Freunde hervor. Nun heisst es anpacken. Ein letztes Mal müssen die Kühe gemolken werden, zudem werden auch ihnen die Weideglocken ausgezogen und die Zügelschellen angelegt. Diese sind natürlich noch grösser und prächtiger als die Schellen der Rinder.
Im Haus heisst es Betten abziehen und alles putzen. Denn nach dem Alpabzug will Tina Feuerstein nicht noch einmal im Haus putzen müssen. Die Käserei muss heute zum Glück nicht auch noch geputzt werden. Denn die Sennerin hat bereits zwei Wochen vorher mit dem Käsen aufgehört.
Das alpenreichste Dorf
Auf der Alp Schwarzenberger Platte werden pro Sommer rund 320 Laibe Vorarlberger Alpkäse produziert. Ein Laib muss zwischen 52 und 58 cm Durchmesser haben, damit der Käsehändler ihn nimmt. Diese sind dann etwa 26 kg schwer. Insgesamt produziert Tina Feuerstein in einem Sommer rund 8,5 Tonnen Käse. 100 Laibe vermarktet sie selber und 220 werden an den Käsehändler verkauft. Den Winter verbringen die Kühe in einem modernen Laufstall, wo sie Heumilch produzieren.
Hittisau ist offiziell das alpenreichste Dorf in ganz Österreich. Zwischen 65 und 70 Alpen werden in der 46 km2 grossen Gemeinde bestossen. Die Region Bregenzerwald ist landschaftlich ähnlich wie das Emmental oder Entlebuch, grün und hügelig.
Vorderwälder Ausdrücke
Die Menschen im Vorderwald, also im vorderen Bregenzerwald im Vorarlberg, sprechen ziemlich ähnlich wie wir Schweizer. Wer mit einem Vorderwälder spricht, merkt schnell, dass beide reden können, wie ihnen der Schnabel gewachsen ist,
und sich gut verstehen.
Trotzdem gibt es in der Region einige lustige Ausdrücke, bei denen man dann nochmals nachfragen muss:
- Chutze: Wolldecke
- Grumpre: Kartoffeln
- Gsing: gewesen
- Förba: Den Boden wischen
- Palatschinken: Dünne Omeletten
- Gadeladeläller: Das kleine Manöggeli, das den Fensterladen hält.
Abmarsch, los!
Während die Männer im Stall den Kühen die Schellen anziehen, flechten sich draussen die Frauen gegenseitig die Haare. Alle wollen gut aussehen an diesem Tag. Dann heisst es umziehen. Wer welche hat, zieht Lederhosen an, aber es können auch andere kurze Hosen sein. Dann kriegt jeder Zügelhelfer ein hellblaues Hemd mit einer Zeichnung und dem Namen der Alp drauf. Der Filzhut mit dem hübschen Sträusschen und natürlich auch ein richtiger Stecken machen das Zügel-Outfit komplett.
Nun ist die Mannschaft bereit für den Abmarsch. Es ist bald zehn Uhr. Nachdem Manfred allen erklärt hat, wo und mit wem sie laufen müssen, werden die Kühe aus dem Stall gelassen. Vorneweg marschieren die Jungs mit den Ziegen. Gleich hinter ihnen kommen Tina und Manfred mit den ersten Kühen. Immer zwischen einer Gruppe von Kühen schauen wieder ein paar
Zügelhelfer zum Rechten. Als die letzte Kuh aus dem Stall kommt, wirds kurz etwas hektisch. Die eine Kuh hat ja noch gar keine Schelle an. Eilig wird ihr eine angelegt. Und los gehts. Die erste Gruppe geht mit den Kühen. Die Gruppe mit den Rindern muss noch etwas warten, sonst wären sie viel zu schnell und würden sich mit den Kühen vermischen.
Mit mehr oder weniger Motivation laufen die Kühe die Strasse hinunter. Diese ist zum Glück weder stotzig noch steinig. Auf die Alp Schwarzenberger Platte kann man sogar mit einem Lastwagen problemlos fahren. Es ist ein wunderschöner Herbstmorgen. Das Gras leuchtet noch immer schön grün und auch einige Blumen hat es noch. Ein kleines Bächlein fliesst mitten durch eine Wiese. Regelmässig erklingen die Schellen der Kühe, ihr Klang vermischt sich zu einem Konzert.
Der erste Schnaps brennt
Bald kommt der Alpabzug an einem Bauernhof vorbei. Draussen am Wegesrand steht die Familie und hält auf einem Tablett viele Schnapsgläschen bereit, als Stärkung für die Zügelhelfer. Potztausend, brennt der den Hals hinunter! Und weiter gehts. Als Schlusslicht der Kuhgruppe ist es die Aufgabe der Schreiberin die hintersten Kühe immer etwas zu jagen, damit sich die Züglete nicht zu sehr in die Länge zieht. Nach etwa einer halben Stunde Marsch hört man nun von weiter oben das Schellen der Rindergruppe. Sie kommen zügig näher. Die Spannung steigt. Endlich schliessen sie an. Florian, Jana und Manuel, ein Freund, führen die Rinder an. Jetzt kann die ganze Züglete zusammen durchs Dorf Hittisau marschieren. Der Strassenrand ist gesäumt mit schaulustigen Einheimischen und Touristen. Vor etlichen Häusern bieten nun wiederum Leute Schnaps dar. Auch wenn man sich bei der Hitze eher auch etwas gegen den Durst wünschen würde.
Wunderschön sieht es aus, als der Zug mit den hübsch gekleideten Züglern und dem Vieh mit den schönen Schellen als Einheit durch den Dorfkern kommt. Und endlich, nach eineinhalb Stunden Fussmarsch ist auch das Ziel in Sicht. Der Hof der Familie Feuerstein. Endlich gibts ein kühles Mohren-Bier und auch für den Hunger ist gesorgt. Die Kühe und Rinder weiden emsig im frischen Gras. Was für ein Anblick!