Mit einem Glas Rotwein neben der Tastatur und «Jodeljuchzer» im Hintergrund sitze ich in der Schweiz vor dem Laptop. Vor dem Fenster fallen feine Schneeflocken vom Himmel. Eine grosse Dankbarkeit erfüllt mein Herz. Im Pulli und langen Hosen versuche ich mich ins 43 °C warme Paraguay mit Hahnengekrähe und Ziegengemecker zu versetzen.
Vom Bauernalltag in die Berge
Eine tiefe Zufriedenheit hat sich in den letzten Tagen in meiner Seele breitgemacht. Daneben spüre ich auch etwas Stolz. Sechs Jahre nach meiner Auswanderung nach Paraguay und dem Aufbau eines Bauernhofs mit vielen Betriebszweigen kehre ich das erste Mal in die Schweiz zurück, um meine Familie über die Weihnachtszeit zu besuchen. Während ich meiner dreijährigen Tochter Gabriela zum ersten Mal Schnee zeige, arbeiten meine Tochter Livia und mein Mann Victor auf unserem Hof in Südamerika.
Unverständlich für die Kleine
Es fühlt sich eigenartig an, plötzlich aus dem gewohnten Bauernalltag auszusteigen. Die Arbeit mit den Tieren, die frische Luft und die Natur – geprägt von Vogelgezwitscher, Grillenzirpen und nächtlichen Leuchtkäfertänzen – mit frostiger Kälte, Stille, vielen Häusern und einer weitläufigen Berglandschaft zu tauschen, ist eine ungewohnte Veränderung. Dass hier in der Schweiz nicht jeder Hühner um sein Haus hält, kann meine Tochter nur schwer verstehen. Auch, dass die Menschen nicht vor ihren Häusern sitzen, findet sie etwas merkwürdig. Die Berge, den Schnee und die Kälte findet sie aber den absoluten Hammer und möchte sie direkt mit nach Hause nehmen.
Zeit zum Reflektieren
Viele fragen mich, wie es für mich ist, nach so vielen Jahren wieder in meinem Heimatland zu sein. Die Auszeit hier in der Schweiz bietet die Möglichkeit, Abstand vom Alltag zu gewinnen, zu reflektieren und zu analysieren. Die Berge sind für mich etwas Zauberhaftes. Diese als Touristin geniessen zu dürfen, ist ein grosses Geschenk. Ich liebe unseren Hof in Paraguay und würde ihn weder für die Schweizer Bergwelt noch für die Familie missen wollen.
Gedanken schweifen nach Paraguay
Jeder, der aus dem Nichts einen funktionierenden Biobauernhof mit verschiedenen Betriebszweigen aufgebaut hat, kennt die harte Arbeit, die Herausforderungen und das Durchhaltevermögen, die dafür notwendig sind. Man kennt den Biss, die Leidenschaft und die tiefe Verbundenheit, die genau durch diese Gefühle eine besondere Form von Heimat schaffen – einen Ort, an dem man Sicherheit spürt und weiss: Hier bin ich zu Hause. Rund 21 ha gehören zu unserem Biobetrieb Granja Ko’ety. Davon sind 14,7 ha Weidefläche, 4,5 ha für den Futterbau, 0,5 ha für den Gemüseanbau und 1,3 ha Wald. Neben 16 Milchkühen, einigen Rindern und Kälbern sowie Encorde-Rindern zur Fleischproduktion gehören auch vier Milchziegen mit ihren Zicklein, insgesamt fünf Mast- und Mutterschweine, ein Arbeitspferd, ein Pony, 43 Legehennen, 35 Masthühner und eine Entenfamilie zum Betrieb. Die Gänse dienen als Verstärkung für unseren Wachhund.
Ein reiner Familienbetrieb
Neben den täglichen Arbeiten auf dem Betrieb, unserem Hofladen, einer Käserei und einem Hofbistro bieten wir zudem Seminare und Ferien auf dem Bauernhof an. Wenn wir erzählen, dass wir den Betrieb alleine ohne zusätzliche Arbeiter bewirtschaften, glaubt uns das fast niemand. Die Lebensweise, die Mentalität und das System in Paraguay ermöglichen ein gutes, angenehmes Leben. Es gibt noch keine zwingenden Vorschriften, kein Papierkram – und die absolute Selbstverantwortung ermöglicht eine Freiheit, die unbezahlbar ist.
Die Torten sind der Renner
Obwohl unser Milchpreis aktuell bei Fr. 1.25 pro Liter liegt, gibt es im Verhältnis nicht viel Geld, aber Freude bei der Arbeit, ein gutes, gesundes Leben und die Möglichkeit, eigene Fähigkeiten und Talente zu verwirklichen. So hat meine 17-jährige Tochter Livia angefangen, für unser Bistro Torten aus den eigenen Produkten unseres Biohofs herzustellen. Die Torten wurden zum Renner. Nie hätte sie wohl gedacht, dass aus einer Leidenschaft neben ihrer täglichen Arbeit ein eigener Betriebszweig entsteht.
Der Abstand vom Alltag schenkt nicht nur Zeit zum Reflektieren, sondern hilft auch, Verbesserungsmöglichkeiten zu erkennen – etwa Ideen, die die Routinearbeit erleichtern könnten, oder Möglichkeiten zur Optimierung der Schweinestallungen. So schliessen wir dieses Jahr in grosser Dankbarkeit ab und starten mit neuen Ideen ins neue Jahr.
Zur Person: Michèle Huber ist gelernte Landwirtin mit Fachrichtung Bio und Permakultur. Ein von ihr initiiertes PRE mit dem Ziel einer neu ausgerichteten regional-solidarischen Landwirtschaft fand Anklang bei Inforama, FiBL und Bio Schwand und wurde sogar vom BLW und Lanat anerkannt und finanziell mitunterstützt. Leider funktionierte die Umsetzung nicht ganz, der Landkauf gelang nicht. Überzeugt von ihren Idealen, gab Michèle Huber nicht auf und startete das Projekt nun im fernen Paraguay.
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