Ich lebe nun seit gut dreieinhalb Jahren in Norddeutschland an der Nordseeküste und ich denke, dass die Phase der Eingewöhnung langsam aber sicher durch ist. Zeit also, sich neuen Herausforderungen zu stellen. Da es bis zur Hofübergabe noch ein paar Jahre hin sind, sinnierten Timo und ich über einen neuen Betriebszweig, um unser eigenes Geschäft aufzubauen.
Timo erzählte mir mehrmals von seinem Meisterkollegen Erik, der bei sich in Ostfriesland einen Mobilstall für Legehennen hat und damit sehr zufrieden ist. Vor dem Studium hatte ich in der Westschweiz bereits auf einem Betrieb mit Legehennen gearbeitet und die Arbeiten nicht ungern gemacht. Wir beschlossen, dass wir uns über diese Haltungsform genauer informieren wollten. So besichtigten wir im letzten Winter drei Betriebe in Ostfriesland, welche Legehennen in Mobilställen hielten. Uns gefiel, was wir da sahen und wir entschieden uns für unseren neuen, eigenen Betriebszweig: Legehennenhaltung im Mobilstall sowie Direktvermarktung der Eier über einen Hofladen. Die Lage an der Nordsee macht Butjadingen zu einem beliebten Urlaubsziel und wir waren uns einig, dass dies für die Direktvermarktung ein Erfolgsfaktor sein dürfte.
Eigene Mini-Landwirtschaft
Wir machten uns also an die Planung. Timo rechnete unser Vorhaben vor- und rückwärts, während ich den Businessplan schrieb. Wir liessen uns beim Steuerberater über mögliche Geschäftsformen beraten und führten erste Gespräche mit der Bank. Wir bestellten das Hühnermobil im Frühjahr, sobald wir die Zusage der Bank zur Finanzierung hatten. Neben dem Laufstall gossen wir ein Betonfundament und errichteten darauf unser kleines Sechs-Kubikmeter-Silo für das Legemehl.
Diesen Sommer renovierten mein Vater und ich den alten Schuppen, der im Falle der Aufstallungspflicht bei Ausbruch der Geflügelpest als Wintergarten genutzt werden kann. Als Auslauf für die Hennen pachten wir einen Hektar Land von Henrik. Neben Pacht- und Nährstoffabnahmeverträgen folgte Büroarbeit, zum Beispiel für die Registrierung bei der Tierseuchenkasse. Klar, ich hatte bei den ganzen Anträgen den Vorteil, dass ich wie gewohnt auf Deutsch korrespondieren konnte. Trotzdem war vieles neu und doch ein wenig anders als in der Schweiz.
Seit dem 1. November 2021 sind Timo und ich offizielle Geschäftspartner der «Weide-Ei GbR» und somit auch «Besitzer» unserer kleinen Mini-Landwirtschaft. In der alten Garage lagern seit letztem Monat Eierkartons für gut zehn Wochen und die erste Ladung Legemehl ist bereits bestellt. Nach langen Vorbereitungen war es letzten Dienstag endlich so weit: Unser Hühnermobil traf nach gut sieben Monaten Lieferzeit per Spezialtransport in Butjadingen ein.
Richtkrone und Hofführung
Bevor die 330 Junghennen in zehn Tagen einziehen können, gibt es noch einiges zu erledigen. Die Tricks und Kniffe rund um das Hühnermobil hat uns der Techniker des Hühnermobil-Herstellers in einer gut vierstündigen Einführung gegeben. Im Dorf vorne haben wir ein kleines Gartenhaus als Hofladen errichtet. Dort können die Eier auf Vertrauensbasis erworben werden. Besonders gefreut haben wir uns über die gebundene Richtkrone, die uns unsere Nachbarin in den Hofladen gehängt hatte. Statt eines Richt-Tannlis hängt man in Norddeutschland traditionell eine aus Buchsbaum gebundene Richtkrone unter den Giebel und wünscht den Bauherren damit viel Erfolg. Wir möchten in näherer Zukunft kleine Hofführungen anbieten und beispielsweise den Kindergarten zu unseren Hennen einladen, um die Vorzüge der Haltungsform bekannter zu machen und für unsere Eier zu werben. Ein Update folgt auf alle Fälle.
Zur Person:
Sandra Honegger (28) hat an der Hochschule für Agrar-, Forst- und Lebensmittelwissenschaften (HAFL) Agronomie studiert und ist an die deutsche Nordseeküste ausgewandert. Dort wohnt und arbeitet sie mit ihrem Freund Timo Hussmann auf dem landwirtschaftlichen Betrieb von Henrik und Rita Wefer. Zum Betrieb gehören 90 ha Grünland und 25 ha Ackerland. Der Tierbestand umfasst 130 Holstein Milchkühe und eine ebenso zahl reiche weibliche Nachzucht. Ausserdem arbeitet sie als Beraterin teilzeitlich bei landwirtschaftlichen Innovationsprojekten mit.