Einen autarken Landwirtschaftsbetrieb aufzubauen ist seit 14 Jahren meine Vision. Aber nicht kompromisslos, einzig als idealistisches Ziel. Denn zurück zu Gotthelfs Zeiten wäre vermutlich auch nicht der richtige Weg. Aber es ist schon etwas dran, dass ein Landwirt, wenn er sich grösstenteils selbst versorgt, unternehmerischer wirtschaften kann.

Weniger Abhängigkeit schafft mehr Raum für Flexibilität. Man baut z. B. nur dann Getreide an, wenn es sich lohnt und nicht nur Kosten deckt, oder riskiert etwas Neues und belegt eine Nische oder versucht sich in der Verarbeitung und Vermarktung. Mit anderen Worten, wer die Grundbedürfnisse gesichert hat, der kann mehr Risiken eingehen oder noch anders ausgedrückt, wer die Pflicht absolviert hat, der kann sich an der Kür versuchen.

Eigene Saatgutvermehrung

Als wir noch in der Schweiz den Aspenhof bewirtschafteten, gelang uns die Selbstversorgung in Bezug auf Mehl, Teigwaren, Öl, Polenta, Früchte, Tomaten, Eier, Kaffee-Ersatz (Lupinen), Milchersatz (Lupinen) und Süssmittel (Honig). Seit wir vor mehr als einem Jahr nach Argentinien auswanderten, sind wir bezüglich Selbstversorgung etwas zurückgefallen. Von den alten Getreide- und Maissorten müssen wir erst Saatgut vermehren und danach den Anbau vorantreiben. Vorgängig ist noch der Boden zu aktivieren und das Mikroklima zu verändern.

Saatgut ist übrigens ein wichtiges Thema, finde ich. Die eigene Abhängigkeit kann reduziert werden, wenn man Saatgut selbst vermehrt und es auch besitzt. Gerade die aktuellen weltweiten Geschehnisse führen einem die Wichtigkeit dieses Themas vor Augen. Bis wir hier in Argentinien wieder über eine breite Palette von selbst erzeugten Nahrungsmitteln verfügen, sind es noch viele Schritte. Zu unserem ersten Schritt verhalf uns das Geschenk in Form eines 40 kg-Sacks mit Saatgut vom Oberkulmer Rotkorn. Ein Mitglied einer ökologisch motivierten Kommune hat uns damit beglückt. Eine wertvolle Rarität, die es hier nicht zu kaufen gibt, denn es gibt nur wenige, welche Dinkel auf kleinen Flächen in Argentinien anbauen. Jetzt im Mai kann er ausgesät werden, damit wir kommendes Jahr über genügend Saatgut verfügen, um eine Parzelle von zwei bis drei Hektaren anzubauen.

Nektar gegen Honig

Zu einem weiteren Schritt verhalf uns eine zufällige Begegnung mit einem Wander-Imker. Er fragte uns an, ob er seine Magazine auf unserem Grundstück aufstellen dürfe, denn es habe ein Sonnenblumenfeld in der Nähe. In der Schweiz hielt ich immer drei bis vier Völker wegen der Bestäubung der Obstbäume und nicht zuletzt wegen des Honigs. Ich wusste also annähernd, was es bedeutete und sagte zu. Wir haben derzeit knapp 50 ha mit Luzerne-Klee angesät, wo die Bienen auch später, wenn die Sonnenblumen verblüht sind, reichlich Nahrung finden. 120 Völker wohnen nun also auf dem Rayo de Sol, wie unser Campo heisst. Im Gegenzug erhalten wir 10 % des Honigs – neben unseren Eiern, das zweite Produkt, das auf unserem Hof entsteht und bei diesen Mengen auch als Tauschmittel künftig gute Dienste tut.

Aufforstung ist wichtig

Ein grundlegender Schritt in Richtung Unabhängigkeit geht auf das Konto unserer Vorbesitzer, eine Selbstständigkeit ganz anderer Natur: Unser Selbstversorgungsgrad von Wasser (100 %), Strom (40 %) und Heizmaterial (90 %) ist dank eigenem Grundwasserzugang, Photovoltaikanlage, Sonnenkollektoren und 5 ha Wald diesbezüglich gesichert. Der Gründer der Estanzia war deutscher Abstammung. Er legte den heutigen Wald um 1900 an, so dass heute Eukalyptus-Riesen und viele andere Bäume, darunter eine mächtige Eiche, nicht nur Schatten in den heissen Sommern spenden, sondern gleichzeitig unseren Holzbedarf mehr als decken.

Alle zwei Wochen in den Wintermonaten treffe ich mich mit zwei befreundeten Männern vom Dorf, um die wegen Trockenheit abgestorbenen Bäume zu fällen und Brennholz zu machen. Den Lohn in Form von Holz nehmen sie mit, um mit ihren «Salamandres» (ökonomische, kleine Holzöfen) die Behausungen zu wärmen. Da in unserer Region Bäume nicht natürlich vorkommen und alle ursprünglich gepflanzt wurden, ist Brennholz ein sehr wertvolles Gut, das man mit Aufforstung erhalten sollte. Auch diesen Herbst haben wir bereits wieder 45 Jungbäume gesetzt.

Zur Person
Mit 40 Jahren wechselte Egon Tschol von seinem Beruf als Finanzanalyst in die Landwirtschaft und übernahm 2009 einen Betrieb von elf Hektaren im schaffhausischen Klettgau. Er stellte auf Demeter und Mischfruchtanbau um. Mit Ehefrau Bea und denzwei Töchtern Fiona und Zoé sowie sechs Pferden wanderte er 2020 nach Argentinien aus, um die erlernte Regenerative Landwirtschaft auf einer 15-mal grösseren Fläche uneingeschränkt anzuwenden.