«Wir gehen Grüntee essen.» Diesen Satz habe ich am wenigsten erwartet, als ich für eine Woche auf einer Teefarm in Yilan, im Nordosten Taiwans, leben durfte. Lag es an der Kommunikation? Habe ich etwas falsch verstanden? Nur kurz darüber nachgrübelnd, ob «essen» in gewissen Situationen auf Chinesisch doch auch als «trinken» verstanden werden kann, liess ich mich ohne Weiteres darauf ein. Denn vor allem eines habe ich während meines einmonatigen Aufenthalts in Taiwan gelernt: Sich überraschen lassen. Gelbes statt rotes Fruchtfleisch bei Wassermelonen; Beethovens «Für Elise» als Ankündigung der Kehrichtabfuhr oder essbare Lilienblüten.
Grünteeblätter auf dem Teller
Ausgerüstet mit einem traditionellen Reisstrohhut und -korb, begaben wir uns in eine Teeplantage und pflückten Teeblätter. Diese haben wir dann in einem Teig gewendet, frittiert und tatsächlich gegessen – ein hervorragender Snack! Unvergessliche Momente wie diese habe ich in vielen der für IFYEs organisierten Aktivitäten erlebt. Die Anlässe waren stets einwandfrei vorbereitet und vermittelten mir insbesondere die Freude und den Willen der Taiwanesen, uns IFYEs mit ihren landwirtschaftlichen Produkten vertraut zu machen. Gerade in kulinarischer Hinsicht begab ich mich auf eine Entdeckungsreise, sodass während meiner Zeit in Taiwan kein Tag dem anderen glich.
Auf diesem Weg habe ich während des Besuchs einer Kürbisfarm «Luffa» probiert. Das vielseitige Kürbisgewächs wird nicht nur gegessen, sondern auch getrocknet und als Küchen- oder Badeschwamm benutzt. Auf einer Drachenfruchtfarm lernte ich hingegen, dass nicht nur die Früchte, sondern auch die Blüten der Pflanze geniessbar sind.
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Taiwans Spezialität? Essen!
Obwohl Taiwans Küche eine grosse Vielfalt an Fleischersatzprodukten kennt, scheint Fleisch für die Mehrheit ein Muss in jeder Mahlzeit zu sein. Die vermeintliche Fleischbeilage entpuppt sich bei vielen Gerichten dennoch als Tofu oder Seitan. Bei einigen Gastfamilien kam es vor, dass es bereits zum Frühstück einen Burger oder warme Sandwiches mit etwas Fleisch gab. Diese Sandwiches sind weit verbreitet und werden in den für Taiwan typischen Frühstücksläden frisch zubereitet.
Generell findet man in Taiwan eine unschlagbare Auswahl an Köstlichkeiten in Restaurants oder Night-Markets vor. Das preiswerte Angebot führt dazu, dass Mahlzeiten oft ausser Haus geholt werden. Die meisten Leute in Taiwan reagierten überrascht, dass in der Schweiz keine vergleichbare Esskultur bestehe. «Keine Night-Markets?», hiess es erstaunt. Selbst ich hätte nichts dagegen, wenn in der Schweiz ein derart vielseitiges Angebot bestünde! Wenn es nach mir ginge, sollten mit Sorbet, karamellisierten Erdnüssen und etwas Koriander gefüllte Wraps in Zukunft auch ausserhalb von taiwanesischen Nachtmärkten zu finden sein.
IFYE – Reisen einmal anders…
Hat auch dich die Abenteuerlust gepackt? Wir bieten Austauschprogramme in viele verschiedene Länder, Leben bei mehreren Gastfamilien und somit einen ganz privaten Einblick in die jeweiligen Kulturen.
Anmeldeschluss ist jeweils Ende Jahr für den nachfolgenden Sommer.
Oder möchte deine Familie einem IFYE für einige Wochen ein Zuhause bieten, ihm das Leben in der Schweiz zeigen und gleichzeitig eine andere Kultur kennenlernen? Kontaktiere uns unverbindlich für weitere Informationen.
Lieber Schach als Tee
Bei dem hohen Stellenwert, den das Essen in der taiwanesischen Kultur einnimmt, verwundert es mich nicht, dass man sich in Taiwan mit «Jia ba bui» – «Hast du schon gegessen?» – begrüsst. Im Gegensatz dazu sucht man vergebens nach einem Ausdruck wie «en Guete» vor einer Mahlzeit. Auch ganz anders als in der Schweiz wird während des Essens kein oder wenn überhaupt lediglich lauwarmes Wasser getrunken. Eine der Gastfamilien pflegte beispielsweise die Gewohnheit, nach jedem Abendessen literweise heissen Tee zu trinken. Ich bemühte mich ebenfalls, an diesem Ritual teilzunehmen, doch in Kombination mit dem feuchtheissen Klima des taiwanesischen Sommers stellte sich dies als etwas schwierig heraus. Dafür spielte ich umso lieber chinesisches Schach mit den Kindern meiner Gastfamilie, die keinen Abend vergassen, mich zum Spiel herauszufordern.
Heimat neu kennenlernen
Viele Taiwanesen, die ich während des IFYE-Austauschs kennenlernte, habe ich im 4-H Global Leadership Camp in Jeju (Korea) wiedergetroffen. Durch meinen Austausch mit IFYE habe ich nicht nur tolle Leute und ein wunderschönes Land, sondern auch die Schweiz auf eine neue Art und Weise kennengelernt. Die zahlreichen Fragen, die mir gestellt wurden und die tiefe Bewunderung, die stets gegenüber der Schweiz ausgedrückt wurde, liessen mein Heimatland in ein anderes Licht rücken. Manchmal muss man weit reisen, um sich dem Reiz des eigenen Landes wieder bewusst zu werden.
Zur Autorin
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Anna Waser hat im Sommer 2019 am IFYE-Austausch in Taiwan mit Fokus auf Obst-/Gemüse- und Reisanbau teilgenommen. Im Anschluss blieb sie für weitere drei Monate in Taiwan, um ihre Chinesisch-Kenntnisse zu vertiefen. Nach ihrem Masterstudium in Management, Organisation und Kultur an der Universität St. Gallen möchte sie für weitere spannende Erlebnisse erneut nach Asien gehen.