Die schnellste Verbindung bringt den Flugpassagier in gut 24 Stunden von Zürich nach Neuseeland. Viel weiter kann man nicht fliegen, sonst befindet man sich wieder auf dem Rückweg. Das Land aus schweizerischer Sicht als abgelegen zu bezeichnen, ist also keine Übertreibung. Doch manchen genügt diese Abgeschiedenheit noch nicht. Andrin Cotti und Rahel Felder sind ein solcher Fall. Das Paar lebt in Hicks Bay im östlichsten Zipfel des Landes.

Einsamkeit schenkt Freiheit

«Besucher sagen uns immer wieder, dass dies die abgelegenste Farm auf der Nordinsel ist», erzählt der 29-jährige Andrin Cotti, der aus Sur am Julierpass im Kanton Graubünden stammt. Der Betrieb, auf dem er arbeitet, befindet sich zuhinterst in einem Tal – «hinter uns ist nichts mehr» –, die nächste Stadt ist mehr als drei Stunden Autofahrt entfernt. Der gelernte Landwirt und Schreiner hat die Abgelegenheit zusammen mit seiner Partnerin Rahel Felder und den drei Kleinkindern bewusst gesucht. «Dieses abgeschiedene Leben gibt uns eine grosse Freiheit. Zudem haben wir gerne unsere Ruhe», erklärt er. Sie sind weitgehend Selbstversorger, etwa alle zwei Monate fahren sie nach Gisborne, um in der Stadt Einkäufe zu erledigen.

Vielseitiger Grossbetrieb 

Die Farm, auf der sie arbeiten, ist ein Grossbetrieb mit 25 Mitarbeitern. Es gibt vier Abteilungen, verteilt auf verschiedene Standorte. 11'000 Hektaren umfasst das ganze Gebiet. Ein Team kümmert sich auf etwa 4000 Hektaren um rund 1500 Rinder und 12'000 Schafe, die zur Fleischgewinnung gehalten werden. Zudem gibt es eine Mannschaft, die für die 4500 Hektaren Forstwirtschaft – vor allem Föhren – verantwortlich ist sowie eine Strassenbaumannschaft, welche die Wälder zugänglich macht. Die neueste Abteilung ist die Sparte natürliche Produkte. Hier wird hauptsächlich sogenanntes Manuka-Öl produziert sowie eine Baumschule für einheimische Bäume aufgebaut.

Manuka-Öl als Heilmittel

Andrin Cotti führt diese Abteilung. Manuka ist ein neuseeländischer Strauch, der bis zu acht Meter gross wird und Ähnlichkeiten mit dem Teebaum aufweist. Aus der Pflanze wird durch Destillation Öl gewonnen, das als natürliches Heilmittel sehr beliebt ist und weltweit genutzt wird, etwa in Salben oder auch in Shampoo. «Es enthält starke natürliche antibiotische Stoffe», weiss der Auslandschweizer. Die Manukaplantage ist etwa 70 Hektaren gross, auf 300 weiteren Hektaren wächst der Strauch wild. Der Bündner hat die Plantage und die Destillationsanlage mit seinem fünfköpfigen Team innert zwei Jahren aufgebaut. Im ersten Jahr produzierten sie 100 Liter Manuka-Öl, dieses Jahr werden es 500 Liter sein.

Innovationsgeist gefragt 

Der Familienvater ist für den Aufbau der Plantagen und für das Organisieren der Maschinen zuständig. Da Anbau und Produktion von Manuka-Öl erst vor Kurzem aus dem Boden gestampft wurden, sind laut Andrin Cotti kaum Erfahrungen und passende Maschinen vorhanden. Auch er selber kannte sich zu Beginn kaum mit der Pflanze aus. Deshalb muss er vieles selbst herausfinden, testen und nach eigenen Plänen bauen lassen.

Monatliche Jagdtouren

Als gelernter Schreiner ist er auch oft auf den Baustellen der verschiedenen Abteilungen anzutreffen. Eine weitere Aufgabe ist zudem das Jagen. Die Farm bietet dafür Touren an. Einmal pro Monat geht Andrin Cotti mit Gästen auf dem riesigen Gelände Rothirsche und wilde Rinder jagen. Diese Tiere leben seit Generationen vor Ort und richten gemäss dem Auslandschweizer Schaden an, weswegen die Zahl unter Kontrolle gehalten werden müsse. «Wir profitieren auch privat davon, da unser Fleisch fast ausschliesslich von der Jagd stammt», erklärt Andrin Cotti.

Visum läuft bald aus

Der gebürtige Bündner wanderte mit seiner Familie vor zwei Jahren aus, nachdem er die Stelle in der Schweiz ausgeschrieben gesehen und die Zusage erhalten hatte. Seine Partnerin Rahel Felder, die gelernte Hebamme ist und aus Eschenbach im Kanton Luzern stammt, arbeitet in der Baumschule, wo sie einheimische Bäume aussät, setzt und umtopft. Zudem kümmert sich die 28-Jährige um Administratives, ein Gästehaus sowie um die drei kleinen Kinder.

Wie lange die Familie noch in Neuseeland bleibt, ist derzeit unklar. Ihr Visum läuft in einem Jahr aus. Andrin Cotti erklärt, sie könnten es sich gut vorstellen, noch etwas länger im Land zu bleiben, aber auch eine Rückkehr sei eine Option. «Wenn wir wieder in die Schweiz ziehen, würde ich gerne in die selbstständige, normale Landwirtschaft zurück.» Doch vorerst gilt es für den Bündner und die Luzernerin, die Abgeschiedenheit am anderen Ende der Welt zu geniessen.

Zur Person

Matthias Stadler stammt aus Brunnen. Der 33-Jährige hat an der ZHAW in Winterthur Journalismus studiert und danach über fünf Jahre bei der «Luzerner Zeitung» als Redaktor gearbeitet. Seit Anfang 2020 lebt er mit seiner neuseeländischen Frau in Auckland, wo er als Korrespondent für verschiedene Deutschschweizer Zeitungen schreibt. Seine Freizeit verbringt Matthias Stadler am liebsten in der Natur.