«Hüst» und «Hot» hört man neuerdings auf den Feldern in Argentinien. Als Züchter von Freiberger Pferden, um es genauer zu sagen, von Urfreibergern, konnten wir bei unserer Auswanderung nicht auf die selten gewordenen Vertreter der alten Schweizer Rasse verzichten. Ich flog mit sechs Exemplaren in einem Luftfrachtschiff nach Buenos Aires und nach einem Quarantäneaufenthalt ging es dann in einem für Argentinien typischen «Freilufttransporter» über knapp 700 Kilometer nach Tornquist, unsere und der Urfreiberger neue Heimat.
Zucht aufrechterhalten
Virginia, Carla del Ponte, Fanni, Zora, Viva und Max sind die ersten Vertreter der Freiberger und natürlich erst recht der Urfreiberger in ganz Südamerika. Drei Stuten waren von drei verschiedenen Hengsten tragend und die Geburt der Fohlen verlief problemlos.
Wir hatten Glück. Zwei der Fohlen sind Hengstfohlen – wir können unsere Zucht aufrechterhalten, denn dank der verschiedenen Blutlinien der Stuten und zukünftigen Hengste wird es möglich sein, auf längere Sicht den Inzuchtgrad tief zu halten.
72-jährige Reinzucht
Argentinien, das Land der Gauchos, gilt als das Land der Pferde. Hier fährt man entlang von endlosen Weiden an so vielen Pferden vorbei, dass meineTochter Zoé, die Pferdenärrin unserer Familie, sich kaum mehr ereifert, wenn sie Criollos, Polopferde, Mestizos, Quarterhorses, Araber und Angloaraber erblickt.
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Weshalb also mit viel Aufwand Pferde von der Schweiz nach Argentinien fliegen? Um diese Frage zu beantworten, muss ich etwas ausholen und gleich die nächste Frage stellen: Was sind eigentlich Urfreiberger? Man nennt sie auch reine Freiberger oder Freiberger mit null Prozent Fremdblut. Es handelt sich dabei um eine Untergruppe innerhalb der herkömmlichen Freiberger. Der Unterschied ist, dass die «Uris» seit 1950 nicht mehr mit anderen Rassen eingekreuzt wurden, während die Freiberger bis 1998 mit verschiedenen Warmblut-Linien modernisiert wurden.
Arbeitsame Tiere
Da bei den Urfreibergern die reine Kaltblut-Genetik erhalten wurde, sind Eigenschaften wie Nervenstärke, Arbeitswille, Gelassenheit und natürlich Zugkraft besonders ausgeprägt. Wer Kutsche fährt, im Wald mit Pferden arbeitet oder, wie dies neuerdings wieder aufkommt, Pferde im Reb- oder Ackerbau einsetzt, schätzt diese Eigenschaften. Mit dem Einsatz von Traktoren um 1940 ging der Bedarf an den treuen Arbeitspferden stark zurück und nur noch wenige Züchter setzten die Zucht fort. Die Mehrheit der Züchterinnen und Züchter sattelte sprichwörtlich auf den modernen, sportlicheren Typ um, um diesen wachsenden Markt zu bedienen.
Heute gibt es nur noch etwa 25 Züchter(innen), die die 72-jährige Reinzucht der Urfreiberger fortsetzen, mit ungefähr 200 Zuchtstuten und 30 lebenden Hengsten. Als Geschäftsführer des Verbands der Urfreiberger-Züchter (RRFB) bin ich sehr am Erhalt dieser alten Genetik interessiert. Dies beantwortet auch die Frage, weshalb wir keine Mühe und Kosten scheuten, um unsere Zucht fortzusetzen. Wer weiss, vielleicht kann man fünf bis sechs Generationen später die Argentinische und Schweizer Linie zusammenführen und den Inzuchtgrad deutlich senken. Es darf geträumt werden.
Eine Nische für kleine Flächen
Nun, eine Zucht ohne Bedarf ergibt keinen Sinn. Gibt es denn eine Nachfrage nach schweren Zugpferden in Argentinien? Vor der Auswanderung konnten wir diese Frage nicht schlüssig beantworten. Der Genetik-Erhalt war im Vordergrund. In der Schweiz stellt man seit einigen Jahren eine grosse Nachfrage nach Urfreibergern fest. Zum Beispiel Holzrücken, Agility mit Pferden und Pferdetherapie sind Bereiche, wofür sich die «Uris» sehr gut eignen. Vermehrt kombinieren Landwirte dieselfreie «Hafertraktoren» mit moderner Maschinentechnik, um nachhaltig und dennoch effizient arbeiten zu können.
In Argentinien sieht es anders aus. Die grossen Flächen sind nur noch mit Maschinen und High-Tech zu bewältigen. Wir verwenden unsere Pferde für die Bearbeitung kleiner Flächen für die Saatgutproduktion von Dinkel, Sonnenblumen, alten Maissorten, Saflor und Leindotter. Die Argentinier, die uns dabei zusehen, sind begeistert und erzählen Geschichten von ihrem «Abuelo» (Grossvater), der noch Percheron-Pferde im Ackerbau einsetzte und siehe da, es gibt auch Anfragen, ob bereits «Suizos» (Schweizer) zu verkaufen sind. Wir vertrösten sie auf die kommenden Jahre. Wir sind glücklich, dass auch Schweizer Pferde hier Fuss fassen.
Zum Autor
Mit 40 Jahren wechselte Egon Tschol von seinem Beruf als Finanzanalyst in die Landwirtschaft und übernahm 2009 einen Betrieb von elf Hektaren im schaffhausischen Klettgau. Er stellte auf Demeter und Mischfruchtanbau um. Mit Ehefrau Bea und den zwei Töchtern Fiona und Zoé sowie sechs Pferden wanderte er 2020 nach Argentinien aus, um die erlernte regenerative Landwirtschaft auf einer 15-mal grösseren Fläche uneingeschränkt anzuwenden.
