Es fiel mir schon auf, als ich mit dem Pick-up über die endlosen Strassen Argentiniens fuhr, dass die Windschutzscheibe innert Kürze komplett von zerklatschten Insekten verschmutzt war – eine Erfahrung, die ich noch von meinen Jugendjahren in der Schweiz kannte. Bilde ich mir das nur ein oder blieben meine Frontscheiben während der letzten Schweizer Sommer mehrheitlich sauber?
Intakte Natur macht Bio-Anbau schwierig
Es wird ja vermehrt darüber geschrieben, dass die Insektenpopulation in den letzten Jahren stark abgenommen hat. Wohl nicht so in Argentinien, wie die schlechte Sicht im Auto bewies. Zum Glück gibt es an fast jeder Strassenampel der Städte eifrige Scheibenputzer, welche für zirka 20 Rappen die Rotlichtphase nutzen, um die Autos wieder strassentauglich zu machen.
Die unzähligen Glühwürmchen im Frühsommer auf unserer Farm zeugen ebenfalls von einer intakten Natur, was einerseits sehr schön ist. Andererseits stellte sich heraus, dass eine intakte Natur für den Bioanbau grosse Hürden darstellt. Der Mensch muss sich seinen Platz redlich erkämpfen und ihn behaupten.
Reiche Tierwelt
So auch auf den Flächen unseres Agroforstprojektes. Dort haben wir auf acht Hektaren Bäume gepflanzt, die den Boden vor der starken Trockenheit und dem Wind schützen sollen, der hier in Tonquist im Süden der Provinz Buenos Aires herrscht. Von den 385 gepflanzten Bäumen wurden fast alle von den Gotorras (eine Papageienart), Blattschneider-Ameisen und Hasen attackiert. Hier passierte es schon, dass ich auf einen Hasen getreten bin, der dann quiekend davonrannte. Am helllichten Tag, wenn meine Frau Bea mit den sieben Hunden spazieren geht, kann sie von fünfzehn Hasensichtungen erzählen. Mit anderen Worten, es gibt sehr viele davon und sie richten ohne Schutzmassnahmen massiven Schaden an.
Bäume sind in Gefahr
Die Gotorras bauen hoch in den Eukalyptusbäumen Familiennester. Missmutig mussten wir zusehen, wie sie die jungen Triebe unserer Bäume abrissen, um damit ihre Nester zu bauen. Das Schlimmste jedoch sind die Blattschneider-Ameisen. Sie haben sich von insekten- und aasfressenden Arten aus Mangel an Futter weiterentwickelt. Mittlerweile leben sie von einem Pilz, den sie unter der Erde mit Blättern von Bäumen und allen möglichen Pflanzenteilen füttern. Der Pilz wandelt die Zellulose in Proteine um und diese dienen den Ameisen als Futter. Die Schwarze Ameise, wie sie auch genannt wird, ist gross und stark und sie ist zahlreich.
Chemische Bekämpfung ist keine Lösung
Die Argentinier kennen neben der Anwendung von Ameisengift auch die Methode, wonach Reiskörner mit Kupfersulfat getränkt und ausgebracht werden. Die Ameisen tragen diese in ihren Bau, wo der Pilz durch das Fungizid zum Absterben gebracht wird. Da die Ameisen jedoch schlau sind und schnell lernen, dürfen die Reiskörner nicht zu nahe um den Eingangsbereich zur Höhle ausgebracht werden. Sonst lassen sie diese unbeachtet liegen. Eine biologische Bekämpfungsmassnahme wäre also besser geeignet, um die Bäume vor den Ameisen zu schützen.
Hilfe aus der Schweiz
Als mich der frühere Biologielehrer meiner älteren Tochter und langjähriger Freund Fredi Strasser kontaktierte, berichtete ich ihm von unserem Ameisenproblem. Ein Pionier wie er stürzte sich sogleich in die Recherche und kurze Zeit später lieferte er mir eine bisher unbekannte Alternative – das Pflanzen von Ameisenbäumen. Sie gehören zu den Brennnesselgewächsen, zu denen etwa 61 Arten zählen und haben die Eigenschaft, eine Symbiose mit den «guten» Ameisen einzugehen. Also jene Ameisen, welche in der Schweiz als Putzequipe des Waldes bekannt sind und den lebenden Pflanzen keinen Schaden zufügen. Diese Roten Ameisen leben in den schnell wachsenden Ameisenbäumen, deren Stamminneres ähnlich dem Bambus hohl ist. Sie pflegen den Baum bei Verletzungen und, das ist nun entscheidend, wehren die «böse» Schwarze Ameise ab.
Ein Hoffnungsschimmer
Ich habe sofort Kontakt mit der Inta (National Agricultural Technology Institute) aufgenommen. Dies ist eine staatlich organisierte agronomische Beratungsstelle für Landwirte in Argentinien. Doch hier war dieser Baum unbekannt und auch keine Baumschule in der Nähe führte diese Art. Im Mercadolibre, dem argentinischen Amazon, wurde ich dann fündig und konnte 40 Samen bestellen, die kurze Zeit später bei mir eintrafen. Vor etwa zwei Wochen säte ich die Samen in kleinen Schalen und heute lugen die ersten Pflänzchen hervor – zart und zerbrechlich. Sollten sie gedeihen, werden sie in die neu angelegte Agroforstfläche integriert werden.
Zur Person
Mit 40 Jahren wechselte Egon Tschol von seinem Beruf als Finanzanalyst in die Landwirtschaft und übernahm 2009 einen Betrieb von 11 ha im schaffhausischen Klettgau. Er stellte auf Demeter und Mischfruchtanbau um. Mit Ehefrau Bea und den zwei Töchtern Fiona und Zoé sowie sechs Pferden wanderte er 2020 nach Argentinien aus, um die erlernte regenerative Landwirtschaft auf einer 15-mal grösseren Fläche uneingeschränkt anzuwenden.