Ich spiele schon länger mit dem Gedanken, ein Pferd zu kaufen. Ab und zu hab ich im Internet nach Verkaufspferden gesucht. Ein eigenes Pferd zu besitzen – das war schon als kleines Mädchen mein grösster Traum. Am liebsten hätte ich eine braune Freibergerstute, aber das Angebot an Schweizer Freibergern in Norddeutschland ist relativ bescheiden.
Trotzdem bin ich gewissermassen fündig geworden: Ich stiess auf den «Förderverein Freiberger Pferd» und entschied mich beizutreten. In der folgenden Ausgabe der Vereinszeitschrift war mein Name mitsamt Postanschrift auf der letzten Seite in der Rubrik «Neue Mitglieder» aufgeführt.
Moin, suche die Schweizerin
Dann passierte eine Weile nichts. Ich hatte meine Internetrecherche zu Verkaufsangeboten mit Freibergern erst einmal aufgegeben. Eines Abends, im Spätsommer letztes Jahr, Henrik und ich waren fast fertig mit Melken, streckte ein älterer Herr mit grauem Haar den Kopf zur Melkstandtür rein. Henrik blickte erfreut – die beiden schienen sich zu kennen. Er entledigte sich seiner Melkschürze, stieg aus dem Melkstand und ging mit dem Herrn nach draussen. Ich machte mich daran, die restlichen Einheiten aufzustecken, bevor ich mit dem Auswaschen weitermachen würde.
Dazu kam es nicht. Henrik kam wieder zur Melkstandtür rein und meinte: «Er sucht dich, geh ruhig hin.» Er band sich seine Schürze wieder um. Ich war etwas verwirrt, verliess den Melkstand und ging zum Besucher. Er stellte sich vor als Ludwig Schramm aus Nordenham, die nächstgrössere Kleinstadt, zirka 20 Kilometer von Butjadingen entfernt. Ludwig ist auch Mitglied beim «Förderverein Freiberger Pferd». Er freute sich, dass nun eine «Gleichgesinnte» in der Nähe wohnt und lud mich ein, ihn und seine beiden Freibergerpferde zu besuchen.
Zuerst Warmblüter
Ein paar Tage später besuchte ich Ludwig Schramm und seine Pferde. Ich erfuhr, dass er bis zum vierten Lebensjahr mit seiner Familie im heutigen Polen lebte und nach Kriegsende zwangsumgesiedelt wurde. So kam er nach Nordenham. Er und sein Bruder teilten die Leidenschaft für die Pferde, hatten anfangs aber kein Geld für eigene. Sie stellten die Pferde fremder Leute auf Turnieren vor. Über Winter nahmen sie die Arbeitspferde der Bauern in Pension und unterrichteten Reitschüler. Er erzählte, dass Henrik als Kind auch bei ihm im Reitunterricht war. Nach und nach bauten die beiden Brüder mit dem Geld einen Stall, kauften sich Pferde und stiegen in die Pferdezucht ein.
Die beiden züchteten edle Hannoveraner und Oldenburger als Sportpferde. Mit 40 Jahren trennten die beiden Brüder ihre Geschäfte und Ludwig errichtete einen eigenen kleinen Reitstall. Seinen ersten Freiberger, die Stute Joke, kaufte er vor zehn Jahren von einem Pferdehändler. Joke hatte es Ludwig Schramm angetan. Sie hatte einen ruhigen Charakter. Er wollte sich einen weiteren Freiberger zutun und machte sich auf, um im Jura ein Freibergerfohlen direkt beim Züchter zu kaufen. Er wurde fündig und holte das Fohlen nach dem Absetzen nach Nordenham. «Eigentlich hatte sie einen französischen Namen, aber den konnte ich nicht aussprechen. Wir nennen sie deshalb Hanni», erzählt Schramm.
Doch noch Pferdebesitzerin
Er sass das letzte Mal vor 20 Jahren auf einem Pferd und liess seine Freiberger durch Reitbeteiligungen bewegen. Mittlerweile ist Ludwig Schramm 78 Jahre alt ist. Er wolle seine Pferdehaltung etwas reduzieren und verkaufe seinen kleinen Reitstall Ende Sommer 2020. Mit seinen beiden Pferden Joke (12) und Hanni (6) zog er dann in einen kleinen Schuppen.
Anfang Februar rief mich Ludwig Schramm an und erzählte, dass Joke nach einer heftigen Kolik eingeschläfert werden musste. Hanni würde jetzt allein im Stall stehen. Er wollte bei mir nachfragen, ob ich Hanni kaufen möchte. Damit hatte ich nicht gerechnet und unser Hof ist nicht für Pferde eingerichtet. Doch im örtlichen Reitverein war eine Pferdeboxe frei und ich entschied mich «Haloa du Péca», wie Hanni ursprünglich hiess, nach Butjadingen zu holen.
Schramm fiel der Abschied von seinem letzten Pferd sichtlich schwer. Das neue Zuhause von Hanni ist aber auch für ihn gut zu erreichen. Ludwig Schramm hat uns bereits eine Woche nach dem Verkauf das erste Mal besucht. Hanni hat sich gut im neuen Stall eingelebt und wir beiden werden als Schweizer «Export» von den anderen Pferden und Reitern gut akzeptiert.
Über die Autorin
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Sandra Honegger (26) hat an der Hochschule für Agrar-, Forst- und Lebensmittelwissenschaften (HAFL) Agronomie studiert und ist andie deutsche Nordseeküste ausgewandert. Dort wohnt und arbeitet siemit ihrem Freund Timo Hussmann auf dem landwirtschaftlichen Betrieb von Henrik und Rita Wefer. Zum Betrieb gehören 90 ha Grünland und 25 ha Ackerland. Der Tierbestand umfasst 130 Holstein-Milchkühe und eine ebenso zahlreiche weibliche Nachzucht.