Am Anfang war es nur ein Fleckchen Erde. Ungenutzt, abgelegen auf einer kleinen Insel am anderen Ende der Welt im Südpazifik. Heute wachsen dort Trauben, dank denen die Inhaber mittlerweile immer wieder Auszeichnungen erhalten. Besucher können Weine vor Ort degustieren, während sie im lichtdurchfluteten Restaurant zu Mittag essen. Ihr Augenmerk fällt dann vielleicht auch auf Skulpturen, die in den offenen Räumen stehen.
Mut & Entscheidungsfreude
Dies ist das Reich von Veronika und David Evans-Gander, sie Bündnerin, er Neuseeländer. Anfangs der 90er-Jahre entschloss sich das Paar, im Norden Neuseelands auf Waiheke Island seinem Traum nachzugehen und ein Weingut aufzubauen. «Es war ein Abenteuer. Doch wir hatten genug Mut, Entscheidungsfreude sowie schweizerisch-kritisches Denken», blickt die Auslandschweizerin bei einem Besuch der BauernZeitung auf die Anfangszeit zurück.
Sie analysierten Wetterkarten, nahmen Bodenproben und studierten die Gegend sorgfältig. Die 16 Hektaren Land hätten sie dank der damaligen Rezession und der abgelegenen Lage im Vergleich zu den heutigen Landpreisen zu einem guten Zeitpunkt kaufen können.
Ganz einfach gewohnt
Die 53-Jährige, die in ihrer Freizeit seit zwei Jahren mit anderen Auslandschweizern im nahegelegenen Auckland jodelt, erinnert sich gerne an diese Zeit zurück. Fröhlich erzählt sie Anekdoten, wie sie und ihr Ehemann das Anwesen in den 90er-Jahren verwandelten und aufbauten.
«Zuerst pflanzten wir nur kleine Flächen mit Reben an.» Entsprechend sei ihnen viel ungenutztes Land zur Verfügung gestanden. «Wir waren Selbstversorger und hatten einen Gemüsegarten, pflanzten Obstbäume und hielten ein paar Tiere. Ein Schwein ist uns dann irgendwann davongerannt. Gefunden haben wir es nie mehr», sagt sie mit einem Lachen. Gewohnt haben sie in einem kleinen Wohnwagen, abgestellt direkt auf dem Anwesen.
[IMG 2]
In einer Bauernfamilie und auf einer Alp im bündnerischen Safien-Camana aufgewachsen, wollte Veronika Evans-Gander auch auf der anderen Seite der Welt ihr landwirtschaftliches Wissen einbringen. «In unseren Anfangszeiten in Neuseeland haben wir unsere Kühe von Hand gemolken und aus der Milch Quark und Joghurt hergestellt und verkauft. Auch etwas Käse produzierten wir. So konnte ich viele meiner in der Kindheit gelernten Fähigkeiten anwenden.
Unterschiedliche Meinungen
Während die beiden das Weingut vorantrieben und darauf auch ein eigenes Haus aus Lehm bauten, arbeiteten sowohl Veronika wie auch David nebenbei in anderen Berufen, damit sie finanziell über die Runden kommen konnten.
Für ihr Unternehmen legten sie viel Geduld an den Tag: Im Jahr 2000 schliesslich wurde das Produktionshaus samt Lagerraum fertig. «Ab diesem Moment waren wir in der Lage, uns komplett auf das Weingut und die Produktion zu konzentrieren.» Doch selbstredend verlief in den über 25 Jahren nicht immer alles nach Plan: So setzte das Ehepaar zuerst auf einen rein biologischen Anbau der Traubenstöcke.
Der Wein verkauft sich gut
«Das funktionierte zuerst nicht und kostete uns mehrere Jahre.» Auch sei finanziell nicht immer alles einfach gewesen, erzählt Veronika Evans-Gander. Und schliesslich hätten die beiden auch unterschiedliche Meinungen bezüglich Entwicklung des Unternehmens gehabt. «Aber das gehört dazu und wir haben dazugelernt», sagt die Mutter zweier Knaben im Teenageralter.
Die Bündnerin und der Neuseeländer waren laut Veronika Evans-Gander die ersten, die auf Waiheke Island auf die Traubensorte Syrah setzten. «Unterdessen ist es die meistgepflanzte und am besten geeignete Traubensorte auf der Insel.» «Passage Rock», so heissen das Anwesen und die Weine, ist heute ein erfolgreiches Unternehmen: «Für die Verhältnisse auf Waiheke Island sind wir gross. Verglichen mit anderen Weinproduzenten in Neuseeland aber eher klein», erklärt die Auslandschweizerin.
Übernehmen die Söhne?
Die beiden haben die Aufgaben auf dem Anwesen gut aufgeteilt. Ehemann David kümmert sich vor allem um die Weinproduktion, die Gäste und das Restaurant. Veronika macht die Buchhaltung und pflegt die Obstbäume und den Garten. Zudem behält sie die Übersicht und konzentriert sich auf die langfristige Ausrichtung von «Passage Rock».
So möchte sie die Gäste künftig noch mehr in die Geheimnisse der Weinproduktion einführen und ihre Freude am Wein vergrössern. Eine Idee ist, die Gäste selber Trauben stampfen zu lassen. Die ausgewanderte Bündnerin fertigt zudem Skulpturen an, die sie auf dem Anwesen ausstellt. «So kann ich mich besser ausdrücken als mit Worten.»
Ob die beiden Söhne dereinst das Geschäft übernehmen werden, sei noch unklar. Der Ältere ist 19 Jahre alt, der jüngere 14. Es eile ja auch noch nicht wirklich: «Wir haben ihnen maximal zehn Jahre Zeit gegeben, um sich zu entscheiden», erklärt Veronika schelmisch. Das Ehepaar Evans-Gander zeigt sich also erneut geduldig. Auf dem Fleckchen Land am anderen Ende des Erdballs, das für Schweizer Verhältnisse zwar immer noch wirklich abgelegen ist, dafür nun aber erfolgreich genutzt wird, herrscht keine Eile.
Zum Autor
Matthias Stadler stammt aus Brunnen SZ. Der 33-Jährige hat an der ZHAW in Winterthur Journalismus studiert und danach über fünf Jahre bei der Luzerner Zeitung als Redaktor gearbeitet. Seit Anfang 2020 lebt er mit seiner neuseeländischen Frau in Auckland, wo er als Korrespondent für verschidene deutschschweizer Zeitungen schreibt. Seine Freizeit verbringt Matthias Stadler am liebsten in der Natur – entweder am Wasser oder in den Bergen – oder auf dem Tennisplatz.