An Silvester vor einem Jahr verliessen wir die Schweiz. Punkt Mitternacht sassen wir im Flugzeug hoch über dem Ozean. Im Frachtraum waren unsere vier Koffer und Livias Gitarre verstaut. In unserer Sitzreihe in der Kabine stand die Kiste mit unserem Kater. Nicht viel Gepäck, wenn man auswandern will. Doch unsere Herzenssachen hatten wir mit dabei. Milchkannen, Zaunmaterial und Käsekessel waren in einem anderen Container unterwegs.
Viel Arbeit stand bevor
Innerhalb eines Jahres durften wir unser Haus bauen und unser neues, aber verwildertes Land säubern. So starteten wir damals mit einem neuen Eigenheim und einem Stückchen Land ins Jahr 2020. Wir waren voller Tatendrang und wollten unser Projekt einer nachhaltigen Landwirtschaft in Paraguay umsetzen. Es standen uns neun Hektaren verwuchertes, ungepflegtes Land zur Verfügung.
Im März kam dann die grosse Kuhherde eines Schweizer Freundes dazu. Er stieg aber aus privaten Gründen schon einen Monat später wieder aus. Er nahm auch seine Kühe wieder mit.
Eine Pferdestärke statt 500 PS
Im April kauften wir uns unsere eigenen acht Kühe. Zusammen mit meinen drei Kindern und unserem paraguayischen Freund und Arbeiter Victor befreiten wir das Land von meterhohem Gestrüpp, lockerten die Erde und pflanzten neue Fruchtbäume an.
Wir versuchten uns auch mit Grassamen oder pflanzten Kamerungras und Mais an. Fast alles ist Handarbeit. Nur selten mieten wir einen Traktor. Die Fahrzeuge sind teuer. Darum kauften wir uns bald ein Arbeitspferd, das uns viel Handarbeit abnimmt und zu einem wichtigen Familienmitglied wurde. Wir haben angepflanzt und angebaut und sind in die Direktvermarktung eingestiegen.
Wunderpflanze Kamerungras
Bis heute verspüre ich eine riesengrosse Dankbarkeit und Zufriedenheit. Es war bei Weitem nicht alles einfach. Und das ist es noch immer nicht. Neue Sitten und Emotionen, zwei neue Sprachen (Spanisch und Guarani), Hitze und Dürren, unbekannte Kleintiere und Pflanzen, neue Handarbeit-Techniken: So vieles mussten wir erst neu erlernen.
Nun schreiben wir das Jahr 2021 und wir dürfen mit fruchtbarem Boden und sommerlichen Temperaturen ins neue Jahr starten. Unser Grundfutter, das Kamerungras, hat sich in zwei Monaten zu tollem, vier bis fünf Meter hohem Futtergras entwickelt und ist bereits erntereif. Einmal angepflanzt, können wir diese Futterpflanze alle drei Monate in ihrem vollen Gehalt ernten – und das während zehn Jahren. Es dient als Grundfutter für fast alle Tiere.
Eine grosse Familie
«Fruchtbar ist alles, was aus Liebe entsteht», sagt man. Ich mag keine erfahrene Landwirtin sein, noch aus einer Bauernfamilie stammen. Doch unser Herz schlägt für die Tiere und die Natur.
Eine lang anhaltende Dürre und Futterknappheit liessen die Tier- und Landpreise sinken. Wir konnten sechs Hektaren zur eigenen Futterproduktion zukaufen. Das gibt uns Sicherheit für unsere nun über 200 Tiere. Mittlerweile leben neun Milchkühe, sechs Gustis, fünf kleine Stiere, zwei Kuhkälber, ein Pferd, Schafe, Ziegen, Eber, Mutterschweine und etliche Enten, Gänse, Hasen, Hühner, Wachhunde und Katzen auf unserem Hof.
Unabhängig und frei
Der Mais kann bis zu dreimal pro Jahr geerntet werden. Zudem bauen wir Maniok, eine Art Wurzelgemüse, Zuckerrohr, Kamerungras, Kürbisse, Wassermelonen und Erdnüsse an. Wir wollen uns unabhängig von jeglichen Futteranbietern machen. So kommen wir der Grundidee meines PRE-Projektes immer näher.
Milch, Rahm, Butter, Käse, Eier, Fleischprodukte, Bratfett, Saisonfrüchte und vieles mehr vermarkten wir selbstständig. Jeden Tag verkaufen wir unsere Produkte an Privatkunden und an zwei kleine regionale «Tante-Emma»-Läden.
Auch hier in Paraguay ist das Bauern mit sehr viel Arbeit verbunden. So, wie auf jedem anderen Hof. Doch die Unabhängigkeit und die Selbstverantwortung über das eigene Tun lassen keinen Druck aufkommen. Wir fühlen uns einfach frei. Die grosse Wertschätzung der Kunden und deren Freude an unseren Produkten schenken uns die nötige Energie für den harten Alltag.
Über die Autorin
Michèle Huber ist gelernte Landwirtin mit Fachrichtung Bio und Permakultur. Ein von ihr initiiertes PRE mit dem Ziel einer neu ausgerichteten regional-solidarischen Landwirtschaft fand Anklang bei Inforama, FiBL und Bio Schwand und wurde sogar vom BLW und Lanat anerkannt und finanziell mitunterstützt. Leider funktionierte die Umsetzung nicht ganz, der Landkauf gelang nicht. Überzeugt von ihren Idealen, gab Michèle Huber nicht auf und startete das Projekt nun im fernen Paraguay.