Es war ja eigentlich schön, dass es für die Abkalbesaison relativ trocken war, aber es wurde dann leider schnell zu trocken. Tatsächlich sogar so trocken, dass überall Feuer ausbrachen. Innerhalb von 30 Stunden wurde aufgrund trockener, heisser, windiger Konditionen aus einigen lokalen Feuern ein provinzweiter Notstand.
Bislang zum Glück verschont geblieben
Wir sind bisher nur knapp der Evakuation entgangen. Ein Feuer, welches am 5. Mai südöstlich von uns ausbrach, zerstörte auf seinem Pfad Richtung Nord- Nordwesten mindestens 27 Häuser und zirka 65 000 Hektaren Wald. Es kam bis auf 20 Kilometer an uns heran. Asche und dicker Rauch lagen in der Luft. Wir hatten unsere Taschen gepackt und einen groben Plan, welche Tiere wir evakuieren können, aber wir wären bis zum absolut letzten Moment geblieben.
Laut Farmern nördlich von uns wären ihre Häuser und Ställe alle abgebrannt, wenn sie, wie angeordnet, evakuiert hätten. Sie blieben aber und bekämpften das Feuer unermüdlich mit Maschinen und Wasser. So konnten viele Farmen vor dem Schlimmsten bewahrt werden.
Gut vorbereitet und fürs Schlimmste geplant
Wir haben etwa 13 000 Liter Wasser in mobilen Tanks bereit und hätten im Falle eines Falles mit Maschinen Erdwälle aufgeschüttet. Wir hätten die Kühe und die anderen Tiere nicht einfach so zurückgelassen! Zudem haben wir zum Glück recht viel Weideland um das Haus und die Ställe. Und da alles total übergrast ist, weil 300 Kühe mit Kälbern eigentlich zu viel sind für die bestossbare Fläche, hätten wir eine Chance, das Feuer von den Gebäuden fern und die Kühe auf dem Gras zu halten. Wir wollen unsere Theorie aber lieber nicht testen.
Insgesamt sind seit Anfang Jahr etwa 392 000 Hektaren Wald in Alberta abgebrannt, davon rund 127 000 Hektaren in unserer Waldschutzzone (Forest Protection Area). Und es sieht nicht nach nennenswertem Regen aus in der nächsten Zeit. Im Gegenteil: Ende dieser Woche und nächste Woche steigen die Temperaturen auf bis zu 30 °C, das ist extrem warm für Alberta im Mai. Wir hoffen, dass sich die Lage wieder etwas entspannt und Alberta sich nicht den ganzen Sommer über dem Kampf gegen das Feuer verschreiben muss.
Der Alltag ist business as usual
Auf der Farm geht das Leben weiter, auch wenn die Wälder um uns herum brennen. Die Kühe müssen gefüttert, die frischen Kälber markiert, mit Selenium und Vitamin A, D und E gespritzt und allenfalls kastriert werden. Die Kleintiere wollen versorgt sein, und alles, was sonst so täglich anfällt, muss erledigt werden. «Come Hell or High Water», sagt man im Englischen, was so viel heisst wie: «Komme Hölle oder Hochwasser».
Die gewohnten Arbeiten geben eine Routine, etwas Stabilität und doch auch Freude. Wenn die jungen Häschen anfangen, Gras zu knabbern, die Kälber in ihren «Spielgruppen» zusammen liegen oder herumrennen, während die Mütter am Fressen sind, und die Hühner und Hähne auf dem Hofplatz herum scharren und Käferbekämpfung betreiben, scheint die Welt doch zumindest zum Teil noch in Ordnung zu sein.
Als Landwirte dürfen wir die Freuden der Arbeit mit der Natur geniessen, aber wir verstehen auch, wie harsch sie manchmal sein kann. Wie gefährlich und unvorhersehbar.
Die kleinen Waisen gut versorgen
Wir dürfen miterleben, wie Tiere geboren werden, wie aufopfernd sich Mütter um ihre Nachkommen kümmern, aber wir müssen auch mit ansehen, wenn zum Beispiel eine Kuh sich nicht um ihr Kalb kümmert und es halb verhungern lässt oder schlichtweg nicht genug Milch hat, um Zwillinge zu ernähren. Wir hatten einige solche Fälle und mussten so zwei Milchkühe kaufen, um ein paar Waisen durchzubringen.
Unsere Jersey-Kuh Ally zieht nebst ihrem eigenen auch noch ein zweites Kalb auf und lässt auch sonst trinken, wer will. Die Arme arbeitet hart, um allen gerecht zu werden. Wenn wir Milch brauchen, quartieren wir sie über Nacht ein und melken morgens drei bis fünf Liter aus, andernfalls kriegen wir keinen Tropfen ab.
Neu hinzugekommen sind Helga, eine Holstein, und Bea, eine Brown-Swiss-Holstein-Kreuzung. Beide brauchten einige Tage, bis sie die Kälber akzeptierten. Aber dank Markus’ Geduld, einem Fanggitter und dem Durchhaltevermögen der hungrigen Kälber sind beide nun Ammenkühe zu mehreren Kälbern. Sie suchen die Kleinen sogar mittlerweile, wenn sie nicht im Sichtbereich sind.
Jetzt brauchen wir nur endlich etwas Regen, nicht nur, um die Brandgefahr zu senken, sondern auch, weil wir dringend Gras brauchen. Und das wächst nun mal auch nur, wenn es Wasser hat.
Zur Person: Alexandra Ruckstuhl und ihr Mann Markus sind 2015 zum zweiten Mal aus der Schweiz nach Kanada ausgewandert. Das erste Mal kehrte die Familie zur Behandlung einer lebensbedrohenden Krankheit ihrer ersten Tochter Josephine in die Schweiz zurück, die zum Glück erfolgreich verlief. Nach der Geburt der zweiten Tochter Elena ist die Familie in ihre Wahlheimat zurückgekehrt. 2019 ist Sohn Quinn zur Welt gekommen. Seit 2022 wohnen sie in der Nähe des Weilers Sunset House, wo Markus Ruckstuhl auf einer Farm angestellt ist.