Die deutschen Landwirte sind wütend und bringen das mit langen Traktoren-Konvois zum Ausdruck. Begonnen haben die Proteste der Bauern im Herbst 2019, als die Regierung das neue Agrarpaket aus Brüssel vorgestellt hat. Dieses sieht Änderungen beim System der Direktzahlungen, mehr Insekten- und Tierschutz, eine verschärfte Düngeverordnung und Massnahmen in Sachen Klimaschutz vor.

Staatliche Unterstützungen dafür soll es keine geben. Die Landwirte müssen für den Mehraufwand selbst aufkommen. Dazu kommt, dass sich die Bauern von der deutschen Bevölkerung für ihre tägliche Arbeit nicht wertgeschätzt und pauschal als Umweltverschmutzer und Tierquäler abgestempelt fühlen.

Proteste für höhere Preise

Daraus ist bundesweit die Bewegung «Land schafft Verbindung» entstanden. Die Bauern sind durchaus für einen Dialog bereit, denn der Tenor lautete: «Wir rufen zu Tisch! Redet mit uns und nicht über uns!» Es folgten diverse Demos und Gespräche mit Politik, Handel und Umweltverbänden. Sogar bei der Kanzlerin durften die Bauern vorsprechen.

Kurz vor Weihnachten kommt es zur Trecker-Blockade beim Aldi-Zentrallager im niedersächsischen Hesel. Die Bauern sind nicht einverstanden mit der Preispolitik des Discounters und werfen den deutschen Lebensmitteleinzelhändlern vor, die heimischen Produkte zu verramschen. Ein Gerücht hatte die Runde gemacht, dass der Discounter den Einkaufspreis für ein Kilogramm Butter bei den Molkereien um 60 Cent drückt.

Konkret forderten die Bauern faire Rahmenbedingungen für die Festlegung von Lebensmittelpreisen. Drei Tage lang stand um das Aldi-Zentrallager alles still. Dann wurden klärende Gespräche zwischen Bauern, Politikern und den Lebensmitteleinzelhändlern aufgenommen.

«Wir müssen irgendwas tun»

Mitte Januar dann die Ernüchterung: Zwei Molkereien haben dem Preisdruck von Aldi nicht standgehalten und sind auf die neuen Lieferbedingungen eingegangen. «Wir fragen uns schon, was wir noch machen können, um auf unsere Situation hinzuweisen und ernst genommen zu werden», sagt Ulrike Witting von der Bewegung «Land schafft Verbindung» Wesermarsch (LsV Wesermarsch).

Für nächste Woche sind mehrere Demonstrationen in Berlin geplant und bewilligt. Über 20 Landwirte allein aus den Landkreisen Wesermarsch und Friesland wollen mit dem Traktor losfahren und die Strecke von mehr als 420 km in die Hauptstadt auf sich nehmen. «So gross, wie das bei der Demonstration Ende November 2019 war, wird es dieses Mal nicht sein. Und Corona macht die Sache auch nicht einfacher. Aber irgendetwas müssen wir tun», sagt Ulrike Witting.

Ein Funken Hoffnung

Im Dezember haben die Landwirte der Bewegung LsV Wesermarsch und viele andere Landwirte in ganz Deutschland eine Adventsaktion gestartet. Ihre Schlepper (so nennt man die Traktoren hier) haben siemit bunten Lichterketten geschmückt und sind damit als strahlender Weihnachtskonvoi durch die Dörfer und Städte in den Landkreisen gefahren.

Ulrike Witting: «Wir wollten Kinderaugen in dieser schwierigen Corona-Zeit zum Funkeln bringen und die Landwirtschaft wieder näher an die Gesellschaft bringen. Die Leute standen am Strassenrand und haben uns zugejubelt. Die Aktion hat so viel Spass gemacht, dass wir am Wochenende darauf gleich ein zweites Mal losgefahren sind.»

In den Sozialen Medien war die Aktion sehr präsent. Zeitungen, Radio und Fernsehen berichteten darüber. Bei der Aktion wurde Geld gesammelt, welches an ein Kinderhilfswerk in der Region gespendet wurde.

 

Über die Autorin

Sandra Honegger (27) hat an der Hochschule für Agrar-, Forst- und Lebensmittelwissenschaften (HAFL) Agronomie studiert und ist an die deutsche Nordseeküste ausgewandert. Dort wohnt und arbeitet sie mit ihrem Freund Timo Hussmann auf dem landwirtschaftlichen Betrieb von Timos Onkel und Tante Henrik und Rita Wefer. Zum Betrieb gehören 90 ha Grünland und 25 ha Ackerland. Der Tierbestand umfasst 130 Holstein-Milchkühe und eine ebenso zahlreiche weibliche Nachzucht. Ausserdem arbeitet sie im Grünlandzentrum Bremen/Niedersachsen als Projektmanagerin.