Neuseeland ist nicht nur für die imposante Landschaft bekannt, sondern auch als Drehort für die «Herr der Ringe»-Trilogie. Die Verfilmung des Klassikers von Schriftsteller J.R.R. Tolkien fand im Land statt, und seit knapp zwanzig Jahren stehen Besuche der Schauplätze zuoberst auf der Liste unzähliger Fans.

In Matamata, einem Dorf auf der Nordinsel, befindet sich einer der berühmtesten Drehorte: Die Szenen im sogenannten Hobbingen, wo die Hauptprotagonisten ländlich aufwachsen und eine heile Welt vorfinden, wurden auf einem hügeligen und grünen Anwesen in der Gegend gefilmt. 600 000 «Herr der Ringe»-Fans pilgern in normalen Zeiten jährlich dorthin.

Tourismus eingebrochen

Einen Steinwurf davon entfernt lebt die Familie Hofer. Brigitte und Jonathan wanderten vor zehn Jahren aus dem Emmental nach Neuseeland aus, wo Brigitte zwei Söhne auf die Welt brachte und die beiden sich eine Existenz als Landwirte aufbauten. Anders als der Tourismus, der wegen Covid-19 und der geschlossenen Grenzen auch in Neuseeland arg in Mitleidenschaft gezogen wird, ist die Landwirtschaft momentan stark aufgestellt.

Die Milchwirtschaft spiele dabei eine besonders wichtige Rolle, erklärt der 41-jährige Jonathan Hofer: «Was die Banken in der Schweiz, sind die Milchfarmer in Neuseeland. Gerade auch jetzt, da der sonst ebenfalls wichtige Tourismus eingebrochen ist.» Das führe dazu, dass sich neue Regulationen im Agrarsektor fast immer negativ auf die gesamte Volkswirtschaft auswirken würden. Darum habe die Bauernlobby einen gewissen Einfluss auf die Politik.

Exportverbot für Nutztiere

Nicht immer reicht das allerdings, wie ein aktuelles Beispiel zeigt. So hat die Regierung Mitte April beschlossen, dass Nutztiere nicht mehr per Schiff exportiert werden dürfen, was einem Ausfuhrverbot gleichkommt. 2020 exportierte Neuseeland rund 110 000 lebende Kühe – vor allem nach China. Das fällt ab 2023 weg. Gut 5000 Bauern sind davon betroffen, die Familie Hofer jedoch nicht.

Grund für die starke neuseeländische Milchwirtschaft ist unter anderem der Milchpreis: «Dieser ist momentan erstaunlich hoch», sagt Jonathan Hofer. Über 7 Dollar, also mehr als 4,50 Franken, erhält er momentan für das Kilo Milchsolid (Masse Fett und Eiweiss). Dahinter steckt eine starke Nachfrage aus China – Hauptabnehmer der neuseeländischen Milchprodukte. Der Preis ist allerdings starken Schwankungen ausgesetzt. So kann er auch schon mal innert weniger Monate um die Hälfte fallen.

Nur wenig Eigenkapital nötig

Die beiden Emmentaler arbeiten im klassischen neuseeländischen Modell als sogenannte «Sharemilker». Das heisst, die 200 Milchkühe auf dem 67 Hektaren grossen und relativ flachen Land gehören ihnen. Es sind sogenannte Kiwicross-Kühe, also eine Kreuzung aus neuseeländischen Jersey und Friesian. Auch der Fuhrpark ist in ihrem Besitz. Das Land allerdings und sämtliche Fixeinrichtungen wie das Haus oder die Melkanlage gehören dem Eigentümer der Farm. Die Einnahmen, also vor allem das Milchgeld, werden hälftig geteilt. «Wir erachten das System als sehr gut. Uns hat es hier den Einstieg in die Landwirtschaft ermöglicht», erklärt Jonathan Hofer, der in Langnau BE aufwuchs und dort eine Lehre als Landwirt absolvierte und sich später zum Ingenieur-Agronom an der Berner Fachhochschule ausbilden liess.

Dank dieses Systems hätten sie keine Unsummen an Eigenkapital gebraucht, um in die Gänge zu kommen. Und es sei der Grund, weshalb sie sich Neuseeland als Zielland zum Auswandern ausgesucht haben. «In der Schweiz hätten wir kaum die Möglichkeit gehabt, je einen Hof zu übernehmen. Deswegen sahen wir uns im Ausland um», führt er aus. Aber natürlich sei auch das neuseeländische System nicht perfekt. Die sehr hohen Landpreise würden es heute sehr schwierig machen, eine eigene Farm zu erwerben. «Vor 30 Jahren war das anders: Wer damals einige Jahre als ‹Sharemilker› gewirtschaftet hatte, konnte sich danach eine Farm kaufen.»

Lieber Gotthelf als Hobbit

Das Ehepaar führt den Hof ohne zusätzliche Hilfe. Es habe zu Beginn sehr viel Arbeit gebraucht, da die Farm ziemlich heruntergekommen gewesen sei. Nun verbringt die Familie die letzten Wochen in Matamata. Denn in einem Monat zügelt sie nach Otorohanga, eine Autostunde vom jetzigen Standort entfernt. «Wir haben dort die Möglichkeit, mit 270 Kühen etwas mehr Tiere zu halten.» Damit würden sich auch die Einnahmen verbessern. «Und dort haben wir ein grösseres Haus, was auch für die Kinder wichtig ist», erklärt die 34-jährige Brigitte Hofer, die in Zollbrück BE aufwuchs und nach dem KV die Bäuerinnenschule machte.

So konzentriert sich die Familie nun auf den Umzug. Ob sie Hobbingen in Otorohanga vermissen werden? «Nein, als Heimweh-Emmentaler vermissen wir eher Jeremias Gotthelf und die ‹Käserei in der Vehfreude› als ‹Herr der Ringe› und Hobbingen», sagen sie lachend.

 

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Matthias Stadler stammt aus Brunnen SZ. Der 33-Jährige hat an der ZHAW in Winterthur Journalismus studiert und danach über fünf Jahre bei der «Luzerner Zeitung» als Redaktor gearbeitet. Seit Anfang 2020 lebt er mit seiner neuseeländischen Frau in Auckland, wo er als Korrespondent für verschiedene Deutschschweizer Zeitungen schreibt. Seine Freizeit verbringt Matthias Stadler am liebsten in der Natur.