Morgens um 5.30 Uhr ist es schon wieder 37ºC heiss. Gegen Abend wurde aber Regen und Gewitter gemeldet. Endlich. Seit über vier Wochen warten wir auf Regen, um nach langem Warten Mais anpflanzen zu können. Ob ich das heute ohne Hilfe noch schaffen werde? Denn ausgerechnet diese Woche sind alle voll im Einsatz. Victor, die gute Seele des Campus, arbeitet am Hochhaus von Freunden, um es auf den 1. Oktober fertigzustellen. Die restliche Familie bereitet sich auf einen wichtigen Geburtstag vom kommenden Wochenende vor.
Ein grosses Fest steht an
Mia, ein Kind aus der Verwandtschaft, feiert ihren ersten Geburtstag. Hier werden zwei Geburtstage im Leben ganz gross zelebriert. Der erste und bei den Frauen der 15. Geburtstag. Dies kommt von der indianischen Vorzeit, deren Traditionen heute immer noch gefeiert werden. Der erste Geburtstag wird besonders ausgiebig gefeiert, weil es früher wegen mangelnder, einseitiger Ernährung und Hygiene keine Selbstverständlichkeit war, dass Babys das erste Jahr überhaupt überlebten.
Mit 15 wurden die jungen Frauen verheiratet und verliessen ihr Zuhause. Auch heute noch gelten 15-Jährige als volljährig, was Heirat und Familiengründung angeht.
Alle voll im Einsatz
Geplant wäre ein gemeinsamer Maisanbau beim nächsten Regen, doch Regen ist hier so selten geworden. Ausgerechnet heute bin ich alleine mit dem Baby. Da bin ich wohl auch keine grosse Arbeiterin. Ich frage mich, ob ich überhaupt alleine anfangen soll. Nach einem kurzen Kaffee und einer Denkpause entschliesse ich mich, mit dem Baby aufs Feld zu gehen und den Mais von Hand anzusäen. Ich probiere so viel anzupflanzen, wie ich kann. In einer Hand die Samen, in der anderen Hand das Trinkwasser und unter dem Arm noch die kleine Gaby. So stapfe ich über das Feld und freue mich, endlich nach langersehnter Zeit unseren ersten Mais anzusäen. Bald kommen meine zwei grossen Kinder vom Milchverkauf zurück und können auf Gaby aufpassen. So setzte ich Gaby in die frische Erde unter einem Baum in meiner Nähe.
Man spürt den Wetterwechsel bereits. Es ist sehr drückend und heiss. Es weht ein starker Wind von Norden. Mit Zuversicht fange ich mit Säen an. Im selben Moment höre ich ein vertrautes Geräusch eines Motorrades. Abuela, die Grossmutter, ist da. Grinsend steigt sie vom Motorrad, nimmt mich in die Arme, sagt, «heute ist doch ein guter Anpflanztag» und lacht. In diesem Moment frage ich mich, ob in diesem Land Telepathie funktioniert. Das Fazit ist aber kurz und klar. Auf dieältere Generation ist Verlass. Schnell sind die Schuhe geschnürt und wir machen uns hintereinander auf, um zu säen. Zuvorderst Abuela, sie spaltet die Löcher für die Maissamen. Ich folge ihr mit dem Saatgut. Es wurmt mich nach wie vor, dass man in diesem Land kein Biosaatgut bekommt. Das offizielle Saatgut ist hier farbig geimpft.
Das Wetter schlägt um
Ich säe hinter Abuela je zwei Maiskörner in die vorbereiteten Löcher. Linie für Linie. Während Gaby mittlerweile friedlich in der Erde mit den Kräutern spielt. Wir arbeiten ruhig, beharrlich und fleissig. Es wird immer heisser und heisser. Ein starker Nordwind kommt auf. Er verspricht uns ein baldiges starkes und heftiges Gewitter. Darum arbeiten wir noch schneller. Wir sind ehrgeizig und hoffen, zu zweit den noch übrig gebliebenen ¼ Hektar fertig zu säen. Gaby wird unruhig. Zu stark wirbelt der Wind den Sand des Ackers auf. Eilig trage ich sie zurück ins Haus und stelle das Mittagessen in den Ofen.
Es fängt nun richtig an zu stürmen. Eisern geht Abuela der Arbeit nach. Weit nach unten muss man sich nun bücken, damit die Samen nicht wegfliegen. Beim ersten tiefen Grollen und den ersten Regentropfen sind wir fertig. Es freut uns sehr, dass wir den ersten Mais im Boden haben. Ein herzliches Dankeschön an eine Generation, die noch ohne Wetterberichte das Wetter versteht und sich nicht scheut, unter solchen Umständen zu arbeiten. Wohl deswegen, weil sie die daraus entstehende Ernte so zu schätzen gelernt hatten?
Michèle Huber ist gelernte Landwirtin mit Fachrichtung Bio und Permakultur. Ein von ihr initiiertes PRE mit dem Ziel einer neu ausgerichteten regional-solidarischen Landwirtschaft fand Anklang bei Inforama, FiBL und Bio Schwand und wurde sogar vom BLW und Lanat anerkannt und finanziell mitunterstützt. Leider funktionierte die Umsetzung nicht ganz, der Landkauf gelang nicht. Überzeugt von ihren Idealen, gab Michèle Huber nicht auf und startete das Projekt nun im fernen Paraguay.