Mit dem Ende der Abkalbesaison stellt sich auf der Farm jeweils für zirka zwei Monate eine etwas ruhigere Zeit ein. Dieses Jahr musste Markus jedoch gezwungenermassen schon kürzer treten, bevor das letzte Kalb geboren war. Es war an einem Donnerstagabend gegen Ende Mai, als er kurz vor Feierabend eine Kuh und ihr Kalb mit dem Geländewagen auf die benachbarte Weide treiben wollte.
Mama Kuh war etwas störrisch und wollte, obwohl es auf dem anliegenden Feld mehr Gras hatte, partout nicht durch die Öffnung im Zaun gehen. Markus kann in solchen Situationen aber auch störrisch sein und so stieg er aus dem Vehikel aus und versuchte, die Kuh und ihr Kalb zu Fuss durch das Tor zu treiben. Das passte der Dame jedoch nicht. Sie griff Markus an, hob ihn zwei Mal mit dem Kopf an und warf ihn durch die Luft, wobei er beim zweiten Mal hart auf die rechte Schulter knallte.
Dank seiner reflexartigen Reaktion konnte er sich in den Geländewagen retten, noch bevor sie ein drittes Mal Anlauf holen konnte. Die Schulter war aber gebrochen und so ist Markus nun theoretisch krank geschrieben. Natürlich blieb er aber nur die erste Woche zu Hause und hielt auch dann den Arm kaum still. Männer!
Arbeiten können zum Glück delegiert werden
Mittlerweile arbeitet er wieder mindestens 50 %. Und obwohl so eine gebrochene Schulter kein Spaziergang ist, sind wir doch froh, dass nichts Schlimmeres passiert ist.
Da die Mannschaft Mitte Mai mit dem Säen fertig wurde, sind nun die meisten Mitarbeiter wieder verfügbar. Das nimmt zumindest einen Teil der Verantwortung von Markus’ Schultern und er kann einige Arbeiten abgeben. Die Kühe und Kälber der ersten Gruppe gehen nun in die Berge. Von der zweiten Gruppe sind alle Kälber gebrandet, geimpft, die Stiere sind kastriert und sie werden in einigen Wochen ebenfalls auf die Sommerweiden in den Bergen gebracht.
In Sachen Heuen und Silieren läuft jedoch noch nichts. Wenn es weiterhin so trocken bleibt, wird es dieses Jahr auch nicht viel Futter geben. Wir hatten im Mai sehr wenig Niederschlag. Kaum war es endlich warm genug für das Spriessen des Grases, wurde es bereits wieder braun aufgrund des Wassermangels. Die zweite Woche im Juni brachte nun etwas Regen, aber da wir im vergangenen Winter sehr wenig Schnee hatten, sind die Böden bis in die Tiefe ausgetrocknet. Damit es dieses Jahr keine Trockenheit gibt, bräuchte es noch einiges an Niederschlag.
Mit den wegen der Lockdowns bereits bestehenden Engpässen und zum Teil unterbrochenen Lieferketten wäre eine Dürre dieses Jahr verheerend. Die Lebensmittelpreise steigen auch so schon kontinuierlich an und eine Inflation ist in vollem Gange. Ein bevorstehender Wirtschaftscrash scheint die unvermeidliche Folge zu sein und eine weitläufige Dürre, wie sie sich auch im Westen der USA bereits abzeichnet, könnte der Tropfen sein, der das Fass eher früher als später zum Überlaufen bringt.
Warum sollen wir sieben Tage krampfen?
Und wieder einmal zeigt sich, dass Selbstversorgung eben mehr als nur ein Zeitvertreib ist. Heutzutage wollen die meisten Menschen ihren Hobbys frönen, am Wochenende campen, wandern, shoppen oder anderweitig ihre Freizeit verbringen. Da fragen wir uns schon hin und wieder: «Ja sind wir denn blöd? Wir krampfen hier sieben Tage die Woche, dabei könnten wir ja auch einfach unsere Lebensmittel im Laden kaufen und jetzt im Wald hocken wie alle anderen.»
Aber mal ganz abgesehen davon, dass wir in keiner Weise das Bedürfnis empfinden, den Massen zu folgen – wir geniessen unsere Ruhe zu Hause –, zeigen eben Situationen wie diese, wie fragil unsere Gesellschaft und die Lieferketten sind. Nebst dem gesteigerten Tierwohl und der Kontrolle darüber, was wir konsumieren, ist es eben auch die Unabhängigkeit, welche die Selbstversorgung für uns attraktiv macht. Auch wenn es bedeutet, dass wir keine Freizeit im eigentlichen Sinne haben. Aber mit der Natur zu arbeiten, ist für uns ohnehin entspannender, als auf einem überfüllten Campingplatz zu sitzen.
Und so haben wir auch dieses Jahr wieder viel eigenes, von welchem wir leben können: Geflügel zur Fleisch- und Eierproduktion sowie Masthasen, Rindfleisch, Milch und ein Treibhaus und Garten voller Gemüse. Und dies unabhängig davon, was in den Läden auf den Gestellen steht.
Zur Autorin
Alexandra Ruckstuhl und ihr Mann Markus sind bereits zum zweiten Mal aus der Schweiz nach Kanada ausgewandert. Das erste Mal kehrte die Familie zur Behandlung einer lebensbedrohenden Krankheit ihrer älteren Tochter in die Schweiz zurück. Nach erfolgreicher Operation der ersten Tochter und der Geburt der zweiten, ist Familie Ruckstuhl in ihre Wahlheimat zurückgekehrt. Mittlerweile sind mehr als drei Jahre vergangen, seit die Ruckstuhls die Schweiz zum zweiten Mal verlassen haben.