Um Defizite im Bundeshaushaltsbudget aufzufangen, sieht die deutsche Regierung Kürzungen im Agrarbereich vor. Das kommt bei den Bauern nicht gut an. Durch Protestaktionen versetzten sie das Land in eine Art Ausnahmezustand.
Ab auf die Strasse!
Seit gut einem Monat treibt es viele Bauern mit ihren Treckern auf die Strassen. Doch sie fahren nicht wie in den Vorjahren unter dem Motto «Ein Funken Hoffnung» auf mit Lichterketten geschmückten Traktoren. Gut 10 000 Landwirtinnen und Landwirte aus ganz Deutschland mit bis zu 3000 Traktoren haben sich schon am Montag, 18. Dezember 2023, in Berlin versammelt, als bekannt wurde, dass es in Sachen Agrardiesel und Kfz-Steuerbefreiung jährlich rund 1 Milliarde Euro Einsparungen geben soll.
Als ‹normaler› deutscher landwirtschaftlicher Betrieb können wir die Mehrkosten nicht einfach «weiterreichen».
Sandra Hussmann schildert die Lage, in der sich viele deutsche Betriebe befinden.
Auf Transparenten an der Demo war der Frust über die amtierende Ampel-Regierung (Bündnis aus SPD, FDP und Grüne) abzulesen, teilweise mit Forderungen nach Neuwahlen oder gar Wortlaute in Richtung eines Generalstreiks.
Weshalb der Protest?
Konkret durften landwirtschaftliche Betriebe vom regulären Steuersatz von 47,07 Cent/Liter eine Steuerrückerstattung von 21,48 Cent/Liter beantragen. Aus Sicht der Landwirtinnen und Landwirte unfair, da in anderen EU-Staaten die Steuerbelastung für den «Agrardiesel» deutlich geringer ist, was für jene einen Wettbewerbsvorteil darstellt. Zudem gibt es momentan keine wirklichen Alternativen zum Diesel für landwirtschaftliche Maschinen.
Als «normaler» deutscher landwirtschaftlicher Betrieb, der zum Beispiel an die Molkerei liefert, können wir die Mehrkosten nicht einfach «weiterreichen» oder auf den Preis draufschlagen, weil die Preise von den globalen Märkten vorgegeben werden.
Es wird ausserdem argumentiert, dass die Landwirtschaft die Klimaziele für 2022 wie bereits in den Vorjahren erfüllt hatte und die Gesamtemissionen weiter senken konnte (−1,5 % auf 62 Millionen t CO2-Äquivalente), in erster Linie durch Einsparungen beim Mineraldünger und reduzierte Schweinebestände.
Mit der KfZ-Steuer werden zum Beispiel Autobahnen neu gebaut. Die Befreiung für land- und forstwirtschaftliche Maschinen und Geräte ergibt daher Sinn, weil diese vorwiegend auf dem Feld arbeiten und nicht primär die Strassen benutzen.
Rudert die Regierung zurück?
Die Bundesregierung liess dann Anfang Jahr verlauten, dass das «grüne Kennzeichen» bestehen bleiben und die Steuerrückvergütung beim Agrardiesel schrittweise über drei Jahre abgebaut werden soll. Dies wohl, um die Aktionswoche abzuwenden, die für die Woche vom 8. bis zum 15. Januar mit zahlreichen Demonstrationen und Verkehrsblockaden angedroht worden war, falls die Sparmassnahmen nicht zurückgenommen würden.
«Beim ‹grünen Kennzeichen› handelt es sich nicht um Subventionen.»
Sandra Hussmann nervt sich darüber, dass sich die Medien nicht auskennen und Dinge falsch verstehen.
Am selben Abend empfing ein demonstrierender Traktorenkorso den Vizekanzler Habeck auf seinem Rückweg aus seinem Urlaub auf der Insel Hallig Hooge. Laut Polizeibericht war die Lage «angespannt» und ein Gespräch nicht möglich, weshalb die Fähre mitsamt Vizekanzler wieder ablegte. Einige Demonstrierende versuchten daraufhin, auf die Fähre zu gelangen. Die Polizei unterband diese Versuche.
Die externe Wahrnehmung
Die Bauernproteste erlangten durch die Aktion grosse Aufmerksamkeit in den Medien. Verlässt man die «Agrar-Bubble» und hört und liest, was Medien ohne landwirtschaftlichen Hintergrund so berichten, ist die Aufmerksamkeit leider eher zweifelhaft. Die teilweise radikalen Parolen und gezeigten völkischen Symbole haben bei den Medien einen etwas «braunen» Beigeschmack hinterlassen.
Auch wenn dies nur bei einem Bruchteil der Plakate der Fall war, hat es trotzdem gereicht, dass die Demos vielerorts als rechtsradikal abgetan wurden. Ausserdem hat sich gezeigt, dass anscheinend jede und jeder dem andern abschreibt und von «Dieselsubventionen» berichtet. Beim Agrardiesel und beim «grünen Kennzeichen» handelt es sich nicht um Subventionen, sondern um Steuererleichterungen, was ein wichtiger Unterschied ist.
Mit einer grossen Aktion
Den Bauern gingen die Zugeständnisse der Regierung jedoch zu wenig weit. Die vorgesehenen Einsparungen haben «das Fass zum Überlaufen gebracht». Bürokratiewahnsinn, fehlende Planungssicherheit, immer höhere Ansprüche an die Produktion und eine jahrelange fehlgeleitete Agrarpolitik beuteln die Betriebe.
Es wurde in der Aktionswoche gestreikt, blockiert, und Mahnwachen wurden abgehalten. Bei der Schlusskundgebung am 15. Januar in Berlin haben sich schätzungsweise rund 30 000 Teilnehmende mit rund 10 000 Fahrzeugen versammelt. Sie haben den Verkehr in und um Berlin lahmgelegt und friedlich protestiert. Dabei wurde immer wieder betont: «Landwirtschaft ist nicht braun, sondern bunt!»
Gemeinsam mit den Fischern
In ganz Deutschland kam es zu kleineren Protestaktionen und zu Mahnfeuern, wie zum Beispiel hier in Butjadingen-Fedderwaddersiel. Die teilweise aufgehobene Steuerrückvergütung beim Agrardiesel soll nun bei der Fischerei eingespart werden. Klar, dass sich die Landwirte im Gegenzug mit den heimischen Fischern solidarisieren.
Finanzminister Lindner stellte sich den Demonstrierenden in Berlin und machte in seiner Rede klar, dass es keine weiteren Zugeständnisse mehr geben werde. Durch die Proteste wurden nicht die gesamten Einsparungen rückgängig gemacht, wohl aber wurde die dringende Debatte um die deutsche Landwirtschaft angestossen.
Zur Person
Die 30-Jährige hat an der Hochschule für Agrar-, Forst- und Lebensmittelwissenschaften (HAFL) Agro-nomie studiert und ist andie deutsche Nordsee-küste ausgewandert. Dort wohnt und arbeitetsie mit ihrem Mann auf dem landwirtschaftlichen Betrieb von Henrik und Rita Wefer. Zum Betrieb gehören 90 ha Grünland und 25 ha Ackerland. Der Tierbestand umfasst 130 Holstein-Milchkühe und eine ebenso zahlreiche weibliche Nachzucht. Hussmann befindet sich zurzeit in Elternzeit.
