Die bereits stark gebeutelten Argentinier müssen den Gürtel noch enger schnallen, aber ein Silberstreifen am Horizont ist sichtbar – oder ist es nur eine Fata Morgana?

Grosser Wandel im Gange

Grosse Umbrüche finden derzeit und vor allem seit meinem letzten Bericht vom November statt, als noch nicht klar war, dass Javier Milei neuer Präsident Argentiniens werden würde. Und wir sind nicht nur in der ersten Reihe, sondern mittendrin. Als Landwirt ist man von den anstehenden Änderungen stark betroffen. Aber alles der Reihe nach.

«Die Argentinier wissen, dass eine Rosskur ansteht.»

Egon Tschol ist überzeugt, dass der neue argentinische Präsident drastische Massnahmen umsetzen wird.

Am 19. November entschieden sich die Argentinier für Milei und gegen den Vertreter der bis dahin amtierenden sozialistischen Regierung. In einigen Provinzen wie in Cordoba fiel der Entscheid mit 75 Prozent Pro-Stimmen sehr deutlich aus; in jener Provinz, in der wir wohnen, Buenos Aires, war es sehr knapp. Die ganze Welt scheint nun den Fokus auf Argentinien zu legen und sich zu fragen, ob solch ein 180-Grad-Wandel, angeführt von einem «Anarcho-Kapitalisten», wie sich Milei selber nennt, Erfolg haben wird.

Die Welt blickt nach Argentinien

In der Weltpresse obsiegt die Skepsis und schon vor seinem Amtsantritt werden seine skurrile Person und seine zugegeben bizarren Verhaltensweisen zerpflückt und ins Lächerliche gezogen. Milei fragt seinen verstorbenen Hund via Medium im Jenseits um Rat und hat denselben Hund fünfmal geklont, um nur ein Beispiel zu nennen. Aber als Landwirt vertrete ich die Meinung, dass man die Menschen an ihren Früchten erkennt, und warte erst einmal ab, was er in Zukunft alles bewirken wird.

[IMG 2]

Eine Rosskur scheint unvermeidlich

Ähnlich halten es die Argentinier. Sie wissen, dass eine Rosskur ansteht. Schon wenige Tage nach Amtsantritt spürt man, dass die Prahlerei mit der Kettensäge, die Milei im Wahlkampf als Symbol dafür schwang, den Polit-Wasserkopf zu kürzen, ernst gemeint war. Von den bisher 22 Ministerien verbleiben nur noch neun. Der künstlich bei 375 gehaltene Peso-Dollar-Kurs wird über Nacht auf 800 angepasst – eine Abschwächung der eigenen Währung um 54 %.

In der Folge steigen die ohnehin stark inflationären Preise sprunghaft an. In weiser Voraussicht füllte ich alle Tanks und Kanister mit Diesel zu 480 Pesos pro Liter, der nun 890 Pesos kostet. Ein Kilo Rindsfilet kostete vorher 4500 Pesos und heute knapp 9000. Umgerechnet zum inoffiziellen Dollar liegen damit die Preise für Diesel heute bei 1 Franken pro Liter und das Kilo Rindsfilet kostet nun 9 Franken. Verglichen mit der Schweiz ist dies immer noch extrem billig, aber für die Menschen hier ein Desaster.

«Wenn wir das jetzt durchstehen, dann schaffen wir vielleicht den Umschwung.»

Egon Tschol gibt die Hoffnung der argentinischen Bevölkerung wieder.

Die Folge ist, dass die Geschäfte leer stehen. Alle scheinen zu warten oder können es sich schlichtweg nicht mehr leisten. Der Metzger, der Tankwart, der Bäcker – alle sagen das Gleiche: «Wenn wir das jetzt durchstehen, dann schaffen wir vielleicht den Umschwung.» Mit der Zuversicht schwingt aber auch etwas Angst vor der Zukunft mit. Es ist das erste Mal, dass ich die Argentinier so erlebe, seit wir hier sind. Sonst steckten sie alles locker weg – mit etwas Galgenhumor auf den Lippen.

Ein gesunder Schnitt?

Die Verschiebungen bei den Devisenkursen und den Preisen haben per Saldo jedoch für die Landwirte Vorteile, denn die Ernte-Erträge machen ebenfalls einen Sprung von ca. 50 % von einem Tag auf den anderen. Die Folge ist auch hier, dass die Ware nur zögerlich Absatz findet, bis man das neue Gleichgewicht findet. Die krassen Massnahmen sind nötig, um die bisher verzerrten Strukturen niederzureissen und auf einem gesunden Fundament neu zu beginnen. Es ist wie bei der Weinrebe: Der Wildwuchs fördert kaum Früchte, es bedarf eines strengen Schnitts, damit am Ende Wein von guter Qualität die Flaschen und Gläser füllt.

Die Ernte steht an

Bis anhin hat es kaum geregnet und jetzt, wo die Dinkelernte ansteht, gibt es kaum einen Tag ohne Wolkenbruch. Der Leindotter ist wenigstens schon «am Schärme» und der totgeglaubte Luzerne-Klee (es gab kein Anzeichen von Leben während der Trockenheit, die bis Mitte Dezember anhielt) schiesst in die Höhe, zwei Monate später als üblich. Gerade rechtzeitig, denn der letzte Grossballen vom Vorjahr wurde bereits zur Hälfte verfüttert.

[IMG 3]

Mais, Sonnenblumen und Saflor, die im November gesät wurden, nehmen das Wasser dankbar an und sehen kräftig und gesund aus. Hoffnung macht sich breit, nicht nur auf dem Acker, sondern auch was die Zukunft Argentiniens betrifft, nach dem Motto: «Vor dem Morgengrauen ist die Nacht am dunkelsten.» Vamos Argentina!

Zur Person

Mit 40 Jahren wechselte Egon Tschol von seinem Beruf als Finanzanalyst in die Landwirtschaft und übernahm 2009 einen Betrieb von elf Hektaren im schaffhausischen Klettgau. Er stellte auf Demeter und Mischfruchtanbau um. Mit Ehefrau Bea und den zwei Töchtern Fiona und Zoé sowie sechs Pferden wanderte er 2020 nach Argentinien aus, um die erlernte Regenerative Landwirtschaft auf einer 15-mal grösseren Fläche uneingeschränkt anzu­wenden.