Vielleicht empfinde ich das nur so, aber mal ehrlich: Das Leben hat nach der Corona-Zwangspause, die in Deutschland doch relativ streng und lange eingehalten wurde, wieder richtig Fahrt aufgenommen, oder?

Liegt es nur daran, dass ich es nicht mehr gewohnt bin, viel Programm zu haben? Ich weiss es nicht. Hier ein kurzer Lagebericht aus meinem Auswanderer-Dasein an der Nordseeküste.

Null Meter über Meer

Los ging es mit der Irlandreise, welche ich für das Grünland-Zentrum organisiert hatte. Anfang Juni führte ich 36 ostfriesische Landwirte und Landwirtinnen während einer Woche einmal rund um die irische Insel. Gute Stimmung, interessante Betriebe, viel Input zum Weidemanagement und das alles unter atlantischem Einfluss und traumhaft schönen Aussichten.

Einziger Wermutstropfen: Die Ostfriesen sind Hügel und enge, kurvige Strassen als absolute Flachländer mit Heimlevel null Meter über Meer nicht gewohnt. Sicherlich trug auch der ziemlich rasante Fahrstil unseres Fahrers Owen dazu bei, dass der eine oder andere Fahrgast während der Fahrt zum nächsten Betrieb mit angestrengter Miene und flauem Magen im Bus sass.

Mehr Platz schaffen für die bestehende Herde

Zu Hause angekommen, ging es weiter mit Stall aufrichten. Wie bereits berichtet, bauen wir an den bestehenden Stall von 2007 an und schaffen so weitere 56 Liegeplätze, drei grosszügige Strohställe und zusätzliche Plätze an der Futterachse. Unser eigentliches Ziel ist nicht, den Viehbestand um die zusätzlichen Liegeplätze zu erhöhen, sondern vielmehr geht es uns darum, für die Herde mehr Platz zu schaffen.

150 melkende Kühen für den Winter

Wir rechnen damit, dass wir mit zirka 150 melkenden Kühen in den Winter gehen werden. Mit unserem Doppel-Achter-Fischgräten-Melkstand ist das noch gut zu schaffen. Auch wenn wir aktuell so viele Kühe melken wie noch nie vorher, war die abgelieferte Milch relativ wenig.

Diagnose Lungenwürmer

Viele unserer Kühe magerten ab, begannen zu Husten, schneller zu atmen und zeigten beim Fiebermessen erhöhte Werte. «Eindeutig Lungenwürmer», war die Diagnose unseres Tierarztes. Dies, obwohl wir unsere Kühe nicht, wie sonst die gängige Praxis hier oben, aus den Entwässerungsgräben trinken lassen, sondern Tränken mit Leitungswasser anbieten.

Tiergesundheit verbessert und Milchleistung gestiegen

Die Parasitenbehandlung schlug rasch an und brachte eine deutliche Verbesserung hinsichtlich Tiergesundheit und auch die Milchleistung erholte sich zusehends. Während andere Teile in Deutschland von Hitzewellen und Dürre geplagt werden, ist bei uns die Situation relativ entspannt.

«Die Nordsee ist wie ein Kühlschrank im Sommer und eine Heizung im Winter»

Pflegt Henrik, der Betriebsleiter des neuen Stalls, zu sagen.

Norddeutscher Sommer mit 18°C

Klar wären auch wir hier oben in Küstennähe froh um Regen, aber wenigstens haben wir nicht diese Hitze, die alles austrocknet. So präsentiere sich der norddeutsche Sommer auch an den Anfang Juni stattfindenden Weidetagen, die das Grünlandzentrum organisierte, eher mit Herbstwetter. Wind, Nieselregen und 18°C.

Tierschau-Vorbereitung - sechs Kühe gemeldet

An den zwei Tage andauernden Weidetagen referierten Weideexperten, Pflanzenbauer, Zuchtexperten, Vertreter aus Handel und Politik vor zirka 80 Besucherinnen und Besucher. In einer Woche findet die im Rhythmus von drei Jahren stattfindende Tierschau in Stollhamm statt, bei der Henrik stark eingebunden ist als erster Vorsitzender (Auf Schweizerdeutsch wäre das der Präsident). Henrik hat sechs von unseren Kühen gemeldet, die sich bis dahin noch ans Führen am Halfter gewöhnen, geschoren und vorbereitet werden müssen. Dann steht auch bald noch der dritte Silo-Schnitt an.

Die Vorbereitungen für unsere Hochzeit mit Polterabend auf dem Hof, Anfang August, stehen ebenfalls an. Ihr seht, uns wird es nicht langweilig diesen Sommer.

Zur Person
Sandra Hussmann (28) hat an der Hochschule für Agrar-, Forst- und Lebensmittelwissenschaften (HAFL) Agronomie studiert und ist an die deutsche Nordseeküste ausgewandert. Dort wohnt und arbeitet sie mit ihrem Mann auf dem landwirtschaftlichen Betrieb von Henrik und Rita Wefer. Zum Betrieb gehören 90 ha Grünland und 25 ha Ackerland. Der Tierbestand umfasst 130 Holstein-Milchkühe und eine ebenso zahlreiche weibliche Nachzucht. Ausserdem arbeitet sie als Beraterin teilzeitlich bei landwirtschaftlichen Innovationsprojekten mit.