«Zurück zu den Wurzeln» ist das Motto von Yvonne und Jake Plumtree. Die beiden 26-Jährigen sind in einer klassischen Branche tätig – und arbeiten klassisch. Die Milchwirtschaft ist Neuseelands grösster Zweig der Landwirtschaft. Und als sogenannte «Sharemilker» sind sie im Land eher die Regel als die Ausnahme. Das heisst, ihnen gehören die Kühe und der Fuhrpark, das Land und das Haus hingegen nicht. Die Einnahmen teilen sie mit dem Eigentümer.
Das System hat den Vorteil, dass das Ehepaar bei einem allfälligen Umzug die Kühe mitnehmen kann, sich aber nicht um den Verkauf des Hauses und des Landes kümmern muss. Auf ebendiesem flachen Land, rund 105 Hektaren gross, grasen ihre 350 Kühe etwas ausserhalb des Städtchens Hawera im Westen der Nordinsel. «Uns gefällt es hier auf dem Land», sagt Yvonne Plumtree.
Appenzeller Dialekt
Das kommt wohl nicht von ungefähr: In dieser Gegend – sie heisst gleich wie der imposante Vulkan Taranaki – waren schon die Vorfahren des Ehepaars als Landwirte tätig. Jake Plumtrees Urgrosseltern stammen aus der Schweiz. Der Urgrossvater war Muotathaler, die Urgrossmutter Zürcherin. 1939 wanderten die beiden ans andere Ende der Welt aus. Yvonne Plumtrees Schweizer Wurzeln sind hingegen etwas jünger. Ihr Ledigname ist Werder, ihr Vater emigrierte vor fünfzig Jahren vom Kanton Zug nach Neuseeland. Ihre Mutter besuchte den Inselstaat einige Jahre darauf, wo sie ihren späteren Ehemann kennenlernte und mit ihm im Westen der Nordinsel blieb, wo sie eine Farm führten.
Noch heute spricht vor allem die Mutter Schweizerdeutsch mit Yvonne. «Ich spreche den Appenzeller Dialekt meiner Mutter – hier im ländlichen Neuseeland», sagt sie lachend. Überhaupt ist ihr ihre Schweizer Seite sehr wichtig, auch wenn sie lieber Englisch statt Schweizerdeutsch spricht. «Meine Tanten, Onkel und Cousins sind alle in der Schweiz.» Hier in Neuseeland ist sie aktiv im lokalen Schweizer Verein tätig. Von ihrem Bruder, der ebenfalls in der Region wohnt und eine Farm besitzt, wird sie regelmässig mit Fleischkäse und Bratwurst – «natürlich selbstgemacht» – beliefert.
Das Ehepaar, das eine Tochter hat, steht nun vor der intensiveren der beiden Jahreshälften: Vom Juli bis September kalben die Kühe, danach werden sie wieder besamt. Zudem gilt es, die Kühe zweimal pro Tag zu melken, und auch die Kälber erfordern Aufmerksamkeit. «Es ist harte Arbeit, doch wir mögen diese Zeit sehr», sagt Jake Plumtree.
Auf Effizienz getrimmt
Im Sommerhalbjahr, das in Neuseeland soeben zu Ende gegangen ist, werden die Kühe nur einmal täglich gemolken. «Dafür haben wir mehr Zeit für Reparaturen und andere Arbeiten.» Um das zu stemmen, haben die Plumtrees einen Vollzeitangestellten – Jakes Cousin, der ihm beispielsweise beim täglichen Melken hilft. Und da in der neuseeländischen Milchwirtschaft alles streng auf Effizienz getrimmt ist, wird auch auf dem Hof der schweizerisch-neuseeländischen Familie zackig gearbeitet: 36 Kühe werden gleichzeitig gemolken. Bis alle Kühe abgefertigt sind, dauert es laut Jake Plumtree eine Stunde und 45 Minuten.
Sie füttern ihre Tiere hauptsächlich mit Gras, im Sommer auch mit Grassilage und etwas Mais sowie bei der Trockenstellung mit Heu. Während andere Bauern auch andere Standbeine wie etwa Fleisch haben, bleiben die beiden bei der reinen Milchwirtschaft. «Für uns stimmt das so. Wir haben tiefe Kosten und konzentrieren uns auf das Wesentliche.»
Wieder auf den Säntis
Das junge Ehepaar arbeitet seit fünf Jahren zusammen. Yvonne kennt durch Besuche in der zweiten Heimat auch das Schweizer System ein wenig. «Ich war sehr überrascht, als ich sah, wie stark es sich von der neuseeländischen Milchwirtschaft unterscheidet», sagt sie. «Wir können unsere Kühe die ganze Zeit auf unserer Weide lassen. Und hier ist es normal, 300 Kühe zu haben.» In Neuseeland sei die Landwirtschaft ein normales Geschäft, führt ihr Ehemann aus. In der Schweiz gebe es andererseits viel mehr Traditionen.
Wann es für die beiden mal wieder in die Schweiz geht, ist unklar. Mit Covid-19 und einer kleinen Tochter steht eine solche Reise nicht zuoberst auf der Prioritätenliste. Yvonne war bis jetzt zweimal im Land, Jake einmal. «Aber wenn wir das nächste Mal in der Schweiz sind, möchte ich unbedingt wieder auf den Säntis», sagt Yvonne. Dort kann sie ihren Appenzeller Dialekt auch mit anderen Personen als nur ihren Eltern üben.
Zum Autor
Matthias Stadler stammt aus Brunnen im Kanton Schwyz. Der 33-Jährige hat an der ZHAW in Winterthur Journalismus studiert und danach über fünf Jahre bei der «Luzerner Zeitung» als Redaktor gearbeitet. Seit Anfang 2020 lebt er mit seiner neuseeländischen Frau in deren Heimatland, wo er als Korrespondent für verschiedene Deutschschweizer Zeitungen schreibt. Seine Freizeit verbringt Matthias Stadler am liebsten in der Natur.