Die Aussicht von Damian und Terese Orchards Garten wäre phänomenal: Der Vulkan Taranaki liegt nur wenige Kilometer entfernt und dominiert die ansonsten flache Landschaft im Westen der neuseeländischen Nordinsel. Aber in Neuseeland kann das Wetter manchmal ähnlich sein wie im soeben zu Ende gegangenen Mai in der Schweiz: wolkenverhangen und nass. Und so muss man sich den 2518 Meter hohen Vulkan, der zuletzt im Jahre 1854 ausbrach, halt einfach vorstellen.

Für Damian Orchard bedeutet der Berg Heimat. Aber nicht nur dieser Berg hat es ihm und seiner Frau Terese angetan: «Das Wandern liegt in unserem Schweizer Blut», erklärt die 38-Jährige. Bei Besuchen in der Schweiz gehen sie gerne in die Höhe, etwa auf die Rigi, die Bettmeralp oder auf den Zugerberg. Denn Terese Orchard ist Tochter eines Zugers. Dieser wanderte in den 70er-Jahren nach Neuseeland aus, wo er eine Einheimische heiratete. «Ich war gefühlt schon eine Million Mal auf dem Zugerberg», erklärt die in Neuseeland aufgewachsene Terese Orchard lachend. Gatte Damian ist ebenfalls Nachkomme von Schweizer Auswanderern: Zwei seiner Urgrosseltern wanderten 1903 vom Kanton Schwyz ans andere Ende der Welt aus.

Futtermais und Gras

Das Ehepaar, das drei Kinder hat, führt im Städtchen Hawera ein Lohnunternehmen. Seit 18 Jahren ist Damian Orchard in der Branche tätig. Heute zählt das Unternehmen sieben Angestellte und zehn Landwirtschaftsfahrzeuge wie Traktoren und Mähdrescher: «Mit gut hundert Kunden sind wir ein kleines bis mittelgrosses Unternehmen», erklärt der 42-Jährige.

Das Ehepaar bietet den Anbau und die Ernte von Futtermais und Gras an. Rund 8000 bis 10 000 Silo- und Heuballen produziert das Unternehmen jährlich. Der grösste Kunde hat einen Hof mit 1300 Kühen. Die Orchards selber besitzen über 30 Hektaren Land und pachten weitere 20 Hektaren, wo sie selber Mais und Gras anbauen und an ihre Kunden verkaufen. Damian leitet die Einsätze, vergibt Arbeiten an seine Angestellten und flickt die Maschinen. Terese ist für die Lohnzahlungen und die Buchhaltung zuständig.

Nicht genügend Personal

Der März und April sowie Oktober und November sind die intensivsten Monate, wie Damian Orchard ausführt: «Ich mag die Mais-Erntezeit im März und April am liebsten.» Heuer sei diese Ernte sehr gut ausgefallen. Rund 250 Hektaren Mais, so wird das in Neuseeland gezählt, haben sie geerntet. Das Wetter habe zuvor mitgemacht: «Wir hatten Hitzeperioden, aber immer wieder auch Regen. Das führte zu gutem Wachstum.»

Neben dem Positiven gebe es heuer aber auch ein Problem: «Wir haben Mühe, genügend Helfer zu finden», erläutert Terese Orchard. Wegen Covid-19 und der nach wie vor geschlossenen Grenzen kommen kaum Ausländer ins Land, was die Landwirtschaft unter Druck bringt. Viele Betriebe sind auf Saisonniers angewiesen. Das führte etwa bei Obstbauern dazu, dass sie im vergangenen neuseeländischen Sommer – von Dezember bis März – viel weniger Erntehelfer hatten als normalerweise. Ein Teil der Ernte blieb deswegen liegen. Die Orchards beschäftigen oft junge Männer aus Europa. Auch Schweizer Aushilfen sind in normalen Zeiten auf der Farm anzutreffen. «Sie geben immer 110 Prozent Einsatz und sind zuverlässig. Aber heuer ist das unmöglich», sagt Terese.

Betty Bossi auf Englisch

Schweizer Aushilfen vor Ort oder nicht: Auf der Farm der Orchards wird Englisch gesprochen. Damian spricht kaum Schweizerdeutsch, Terese nur ein wenig. Das Ehepaar hat aber einige Schweizer Ausdrücke und Eigenheiten bewahrt: Die Familie geht gerne Skifahren. Zudem backt Terese gerne Guetzli – und sie hat ein Betty-Bossi-Kochbuch, das auf Englisch übersetzt wurde. «Wir mögen die Schweizer Küche», sagt sie. «Unsere Tiefkühltruhe ist manchmal voller Cervelats und Bratwürste, die wir von Schweizer Metzgern in Neuseeland kaufen.» Und auch Raclette steht bei ihnen hoch im Kurs.

Das «Swiss Picnic», der grösste Anlass für Auslandschweizer in Neuseeland, das jeweils im Februar nur wenige Kilometer von ihrem Zuhause stattfindet, ist für die Familie ein Muss. Dort treffen sie andere Auslandschweizerinnen und können Geschichten über ihre zweite Heimat zum Besten geben. «Denn wir finden es wichtig, unsere Schweizer Wurzeln zu pflegen. Wir wollen das auch unseren Kindern weitergeben», sagt Terese Orchard. Mit dem Vulkan Taranaki, der sich zwar beim Besuch der BauernZeitung partout nicht zeigen will, liegt dabei ein guter Anhaltspunkt beinahe vor der Haustür. Ein Berg, fast so wie man ihn auch in der Schweiz finden würde – ausser natürlich ohne das Magma im Innern des momentan schlafenden Riesen.

 

Zum Autor

Matthias Stadler stammt aus Brunnen. Der 33-Jährige hat an der ZHAW in Winterthur Journalismus studiert und danach über fünf Jahre bei der «Luzerner Zeitung» als Redaktor gearbeitet. Seit Anfang 2020 lebt er mit seiner neuseeländischen Frau in Auckland, wo er als Korrespondent für verschiedene Deutschschweizer Zeitungen schreibt. Seine Freizeit verbringt Matthias Stadler am liebsten in der Natur.