Agrarwissenschaftsstudentin an der ETH Zürich, rot-weiss-grau gemusterte Stoffhosen, grosse, silbrige Ohrringe und einen grünen Unterrichtsblock Biodiversität und Ökologie. Der perfekte Start für mein Unterrichtspraktikum und die besten Voraussetzungen, um von den Lernenden als «grüne Tussi» abgestempelt zu werden.

Ich mache tausende von Fehlern

Eben erst sass ich noch selbst auf der Schulbank und plötzlich stehe ich vorne am Lehrerpult. Für mich kein Grund, ein anderer Mensch zu sein. Ich wusste, dass ich tausende von Fehlern machen werde und genau davor hatte ich keine Angst – vielleicht meine grösste Stärke.

In der ersten Physikstunde frage ich mich, was das lustige Trio in der dritten Reihe links schon wieder zu lachen hat. Auch eine Reihe weiter vorne kann sich jemand das Grinsen nicht verkneifen und starrt auf die Rückseite seines grünen Pflanzenbauordners. Ein Ordner, der ganz nebenbei nichts im Physikunterricht verloren hat. Der Fall ist klar, dahinter muss ein Handy stecken. Es wäre für die Lernenden wohl nur halb so lustig gewesen, wenn ich es nicht bemerkt hätte. So habe ich mir gerne die Zeit genommen, mich ebenfalls drüber zu amüsieren und zwei Sekunden meiner wertvollen und gewünschten Aufmerksamkeit dem laufenden Skirennen zu widmen.

Haarknoten wandert auf dem Visualizer

Werde ich nachgeäfft, weil ich in einem Satz öfter das Wort «genau» benutze, als dass es im selben Satz Wörter gibt, verstehe ich das total. Sowie wenn die ganze Klasse lachen muss, weil mein Haarknoten beim Schreiben auf dem Visualizer gelegentlich als wandernder Wollknäuel vom Beamer an die Wand projiziert wird.

Wird mir im Physikunterricht die gleiche Frage bei bekannter Lösung dreimal hintereinander in drei verschiedenen Variationen beantwortet, aber Hauptsache nicht so, dass ich davon ausgehen kann, der Lernende hätte sie auch verstanden, kann ich ihm nicht böse sein. Genauso, wie wenn er mich mit seiner sympathischen Frechheit mit «Sie Frau Lehrerin» anspricht oder mir mit einem «gleichfalls» viel Erfolg bei der Prüfungsaufsicht wünscht.

Sie wären die besseren Lehrer

Einige Lernende schreiben Bestnoten am Laufmeter, was mich meine Vorbildrolle am Lehrerpult ab und zu anzweifeln lässt. Es gibt Lernende in dieser Klasse, die wären bessere Lehrer als ich. Sie sind geborene Redner, könnten mit ihrem Humor die ganze Schweiz unterhalten oder irgendwann Präsidenten des Bauernverbands werden.

Wollen wir in nützlicher Frist zumindest einen Teil unserer Probleme auf diesem Planeten lösen, dann brauchen wir Menschen, die Freude an ihrem Leben haben. Menschen, die wissen, worin sie gut sind, keine Angst haben, Fehler zu machen, aus ihren Fehlern lernen und ihre Zeit und Energie selbstständig in ihre Talente investieren. Als Lehrperson ist es nicht unsere Aufgabe, zu beweisen, dass es gute und schlechte Lernende gibt, sondern zu beweisen, dass sie alle gut sind. Einige brauchen dafür etwas mehr Selbstvertrauen, andere sehen in ihren eigentlichen Stärken eine Schwäche, haben keine Zeit oder Energie, um ihren Fokus auf die Schule zu legen. Oder brauchen einfach noch Zeit.

Den Charakter nicht zu Hause lassen

Unausgefüllte Aufgabenblätter stören mich nicht, solange dahinter eine bewusste Entscheidung steckt und nicht eine Gewohnheit. Ansonsten nehme ich mir Zeit für eine schriftliche, ausführliche und ehrliche Rückmeldung. Sind wir im Unterricht zu streng, laufen wir Gefahr, dass die Lernenden ihren Charakter zu Hause lassen, Hausaufgaben mit in die Schule bringen, die sie für uns Lehrer machen und später ihren Kindern deren Wichtigkeit predigen.

Sie mögen «grüne Tussis»

Ich habe in meinem Studium bis anhin mehr Vorlesungen geschwänzt als besucht, Unterrichtsinhalte von einem Jahr regelmässig auf zwei Wochen reduziert und problemlos alle Prüfungen bestanden. Ehrlich gesagt – es gibt wichtigere Dinge, als erwachsen zu werden. Unterrichten ist zwar eine Aufgabe für Erwachsene, aber kein Grund, unsere Menschlichkeit zu vergessen. Machen wir einen richtig guten Job, werden wir irgendwann im Klassenzimmer nicht mehr gebraucht, weil unsere Lernenden Ziele haben und mit einem Hauch von Arroganz jedem Problem eine Lösung vorlegen.

Die Chancen, als Lehrperson eine grössere Beliebtheit als die Pausenglocke zu erreichen, sind schwindend klein bis nicht vorhanden. So habe ich es aufgegeben eifersüchtig zu sein. Aber ich glaube – die mögen «grüne Tussis».

 

Zur Person

 

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Meryl-Georgina Meyer ist auf einem landwirtschaftlichen Betrieb in Anglikon AG aufgewachsen. Sie studiert an der ETH Zürich Agrarwissenschaften mit der Vertiefung «Ökonomie und Politik» und Zusatzausbildung Didaktikzertifikat. Beim Amt für Landwirtschaft in Pfäffikon SZ absolvierte sie von August 2020 bis Februar 2021 ihr Masterpraktikum und gleichzeitig ein Unterrichtspraktikum.