Alles in Ordnung im Hühnerstall. 900 Legehennen gluckern vor sich hin und scharren in der Einstreu. «Das Ökonomiegebäude haben meine Eltern vor 40 Jahren gebaut», erzählt Judith Wyler; der Ausbau des Hühnerstalls ist bereits ihr eigenes Projekt. Die elektrischen Installationen hat sie selber gemacht, auch sonst steckt viel Eigenleistung im Gebäude.
Die 32-Jährige hat den Hof in Remetschwil Anfang 2021 von ihrer Mutter übernommen und sprang damit kopfvoran in ein neues Leben. Das erste Jahr als Betriebsleiterin hat sie gefordert, manchmal bis an die Grenzen. Aber sie ist angekommen: «Du spürst im Herzen, wenn du am richtigen Ort bist.»
Mutter hielt den Betrieb nach dem Tod des Vaters
Als Erstberuf hatte Judith Wyler Pferdefachfrau gelernt, danach Elektroinstallateurin. Begleitet von dem Gefühl, dass das eine gute Arbeit sei, aber nicht für immer. Auf dem elterlichen Hof hatte sie über die Jahre immer mal wieder ausgeholfen, besonders in der Zeit nach dem frühen Tod ihres Vaters im Jahr 2012. Damals übernahm ihre Mutter und hielt den Betrieb. Aber ohne Druck auf ihre vier Kinder, dass sie einsteigen müssten, erinnert sich Judith Wyler. Die Leidenschaft für das Bauern packte sie 2017, als sie nach beendeter Ausbildung zur Elektroinstallateurin fix einen Tag pro Woche auf dem Familienbetrieb arbeitete.
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Judith Wyler hat nach der Übernahme die Hühnerhaltung ausgebaut und vermarktet alle Eier direkt an Läden, Gastronomie und Privatkunden. Noch mehr Freude an diesem Betriebszweig hat sie, seit sie die Hühner nach der Legeperiode nicht mehr ins Schlachthaus, sondern einer Vermittlungsorganisation abgeben kann. Aber im Stall mit den anderen «Damen» ist sie immer noch am liebsten: 13 Mutterkühe drehen den Kopf, sobald sie Judith Wylers Stimme hören. Diese erzählt von guten Schlachtresultaten ihrer Natura-Beef, auch mit der Fruchtbarkeit und dem Abkalben laufe es rund. Zwei Monate im Jahr läuft ein Stier in der Herde mit, Abkalbesaison ist im März und April.
Mutter Margrit Wyler ist seit der Hofübergabe in Teilzeit bei ihrer Tochter angestellt. Die Frauen leben im selben Haus in separaten Wohnungen. Die von Judith Wyler ist im Dachstock, sie lädt zu einem Glas selber eingemachtem Sirup bei traumhafter Aussicht bis in die Zentralschweizer Alpen. Drinnen ist es gemütlich und aufgeräumt – die Frau hat auch den Haushalt im Griff. Sie lebt allein, aber in absehbarer Zeit wird ihr Partner, von Beruf Schreiner, einziehen.
Der Einstieg war hart
Und wie war das erste Jahr als Betriebsleiterin? Judith Wyler, die im Gespräch gerne und herzhaft lacht, atmet bei dieser Frage durch. «Darauf kannst du dich nicht wirklich vorbereiten», erinnert sie sich an ihren Einstieg im schneereichen Winter, sie räumte stundenlang Schnee, überall Matsch und Schmelzwasser, die Einstreu im Hühnerstall musste jeden zweiten Tag erneuert werden. Und dann kamen Rechnungen, während die Einnahmen auf sich warten liessen. Nichts Ungewöhnliches, das wusste sie eigentlich, aber Verantwortung und Ungewissheit drückten. «Ich habe manchmal geweint», sagt sie. «Aber ich war doch immer überzeugt, dass es gut kommt.»
Dank genügend Praxiszeit ist Judith Wyler direktzahlungsberechtigt, auch ohne fachliche Ausbildung, aber die gehört für sie dazu. Sie hat sich für den Fachkurs Bäuerin entschieden, ihn von 2018 bis 2020 am LZ Liebegg berufsbegleitend absolviert und war begeistert «Das sollten alle machen, Frauen und Männer.» Nicht jedes Fach habe gleich viel Spass gemacht – «aber ich wüsste keines, dass nicht nützlich gewesen wäre». Diesen Frühling ist sie am Start für die Berufsprüfung Bäuerin. Ergänzen möchte sie ihre Ausbildung danach noch mit einzelnen Modulen aus dem Berufsfeld Landwirtschaft.
Erfolg und Misserfolg sind nahe beisammen
Es ist Zeit geworden für den Abendstall. Judith Wyler stellt sich für ein Foto noch kurz zu den menschengewohnten Mutterkühen. Einer davon krault sie ausgiebig den Kopf. Mit der sechsjährigen Edelweiss verbrachte sie viel Zeit, als sie ihr nach einer Totgeburt ein anderes Kalb ansetzte. Die Adoption klappte. Misserfolg und Erfolg liegen in Judith Wylers Alltag manchmal nahe beisammen. Aber ihre Bilanz ist klar: «Es ist eine unglaublich schöne Arbeit.»
Betriebsspiegel
Betriebsleiterin: Judith Wyler (32)
Standort: Remetschwil AG
LN: 15 ha, davon 13 ha Ackerbau (Mais, Triticale, Gerste)
Tierhaltung: 900 Legehennen mit Direktvermarktung der Eier; 13 Mutterkühe für Natura-Beef-Produktion
Arbeitskräfte: Betriebsleiterin, Mutter in Teilzeit, Lohnarbeiten durch Nachbar
