Emmi will nur dann in neue Märkte vorstossen, wenn sie auf eine kaufkräftige Kundschaft trifft. Dass sich Emmi-CEO Urs Riedener und seine Geschäftsleitung dabei nicht immer beliebt machen, gehört zum Geschäft. Im dritten Teil des Gesprächs sagt Urs Riedener nun, dass es in der Milchbranche zu viele Leute hat, die in der Milchbranche im Seitenwagen mitfahren.
Welche Rolle spielt das Lobbying von Produzenten und Verarbeitern, dass den Konsumenten das Gefühl geben soll, dass sie Milch brauchen?
Wir befinden uns in einer Luxusgesellschaft. Es ist heute selbstverständlich, dass genügend und gutes Essen verfügbar ist. Meine Haltung ist dabei, dass Essen etwas Wertvolles ist. Es lohnt sich deshalb auch, die Wertschöpfungssysteme anzuschauen, die hinter den Nahrungsmitteln stehen und zu fragen, woher das Essen kommt und wie viele Leute davon leben und ein Einkommen aus Produktion und Verarbeitung der Nahrungsmittel haben. Da haben Schweizer Milchprodukte einige gute Argumente vorzuweisen.
Milch ist ein ehrliches Produkt und ein ehrliches Geschäft?
Ja, auf jeden Fall. Milch beinhaltet viel harte Arbeit von vielen Leuten. Und die Milchproduktion ist eine sinnvolle Verwertung der natürlichen Lebensgrundlagen. Wir müssen uns nicht davor verstecken, die Sinnhaftigkeit von Milchproduktion und –konsum zu erzählen und richtigzustellen. Der Konsument soll dann die Wahl haben und heute wählt er vor allem Milchprodukte. Natürlich gibt es auch laute und extreme Stimmen, die Ideologie gegen Ideologie ausspielen.
In Bezug auf die Produktionssysteme ist die Haltung der Produzenten aber klar: Nur ein guter Preis hat ein «nachhaltiges» Produktionssystem zur Folge.
Natürlich hat die Preisbildung eine Verantwortung, wenn es um die Produktionssysteme geht. Darum glaube ich auch, dass man in der Schweiz im Vergleich zur EU einen deutlich höheren Milchpreis erhalten muss – sonst können wir die Struktur der bäuerlichen Kleinbetriebe nicht aufrecht halten.
Die Zahlen deuten genau in diese Richtung: es gibt immer weniger Milchkühe, die Produktionsmenge pro Tier steigt, die Produktion wird intensiver. Ist das im Sinne von Emmi?
Darauf gibt es keine pauschale Antwort. Es ist ja nicht so, dass grössere Betriebe hinsichtlich Tierwohl und Umweltschutz zwingend schlechter abschneiden würden.
Das nicht, aber die Werbung wird mit kleineren Betrieben gemacht.
Ob ich Werbung mit 25 oder 35 Milchkühen mache, spielt im internationalen Vergleich überhaupt keine Rolle. Wir reden hier von 25, vielleicht 35 Kühen im Vergleich zu 200 bis 2000 Kühen. Klar, es gibt einen ökonomischen Druck, der zu einer Professionalisierung führt. Der schlimmste Bauer ist für mich der, der sieben Kühe in einem Anbindestall hält, einem Nebenerwerb nachgeht und deshalb seinen Betrieb nicht in Ordnung halten kann und den Tieren nicht schaut. Da nützt es auch nichts, wenn der Landwirt alle sieben Kühe beim Namen kennt.
«Ich orientiere mich ja nicht am Fortschritt der Branche, sonst müsste ich mich um das Direktorium der SMP oder der BOM bewerben.»
Sie sind auf einem Bauernhof aufgewachsen. Wie nahe stehen Sie den Produzenten heute?
Ich bin regelmässig auf Landwirtschaftsbetrieben und lasse mir ab und an die Situation und manchmal auch die Zahlen erklären. Ich habe die höchste Achtung vor den Bauern – das sind hart arbeitende Menschen, die ihren Job machen und Qualität produzieren wollen. Ich bin aber auch der Ansicht, dass es ein freiwilliges Lebensmodell ist, das für die Betroffenen zwar viel Arbeit aber im Gegenzug auch viel Freiheiten mit sich bringt.
Betrachtet man die politische Diskussion im Milchmarkt, kommt man zum Schluss, dass sich der Grossteil der Produzenten in ihrem Lebensmodell nicht wohl fühlt.
Das würde ich so nicht bestätigen. Es ist auch immer eine Frage, ob man mit jemandem an einer Bauernversammlung spricht – oder persönlich. Ich durfte letztes Jahr am Junglandwirte-Forum teilnehmen – da hat es viele junge, unternehmerische Bauern, die die Augen vor den wirtschaftlichen Realitäten nicht verschliessen und Freude an ihrem Job haben. Ausserdem gehört es in der Branche offenbar dazu, dass man die Unzufriedenen verstärkt. Es ist zwar nett, sich an einer Versammlung mit ein paar markigen Worten zu positionieren, aber wie gesagt, schlussendlich ist es auch ein Lebensmodell, das jemand freiwillig wählt. Wenn jemand findet, dass das Modell nicht mehr stimmt, hoffe ich, dass er oder sie eine genügend gute Ausbildung und Alternativen hat, um etwas anderes zu machen.
Mit Abschreibe-Dauern von 25 Jahren ist das ziemlich schwierig.
Das ist richtig – auf der anderen Seite ist es auch so, dass dank dem bäuerlichen Erbrecht der Zugang zu Land für Landwirte günstig ist. Mindestens in Bezug auf Kapitalstock und Anlagewerte sind die Betriebe meist nicht so schlecht aufgestellt.
Sie sind seit zehn Jahren Emmi-CEO – von der Glatze bis zur Sohle und haben in den letzten Jahren immer dementiert, dass sie einen Jobwechsel in Betracht ziehen würden. Haben Sie beim langsamen Vorwärtsgang in der Milchbranche nie daran gezweifelt, dass Sie bei Emmi richtig sind?
Ich orientiere mich ja nicht am Fortschritt der Branche, sonst müsste ich mich um das Direktorium der SMP oder der BOM bewerben. Am Schluss müssen wir uns am Fortschritt messen lassen, den Emmi macht. Uns ist es in den letzten Jahren gelungen und es gelingt uns immer noch, Emmi vorwärts zu bringen. Das ist die grössere Motivation, als die Messlatte ob sich die Branche bewegt oder nicht.
Was sind die Gründe, dass die Milchbranche bei gemeinsamen Projekten nur langsam vorankommt?
Grundsätzlich ist die Milchbranche sehr eng – für alle. Das führt zu einem starken Konkurrenzkampf auf allen Stufen – Produzenten gegen Produzenten, PO gegen PO, dann Verarbeiter gegen Verarbeiter und Detailhandel gegen Detailhandel. Wenn es wenig zu verteilen gibt, ist es immer schwierig.
«In der Milchwirtschaft hat es zu viele, die einfach so im Seitenwagen mitfahren.»
Ausserdem nimmt auch die Bereitschaft für die Zusammenarbeit ab.
Das gilt nicht für Emmi. Wir haben mit unserem Gewicht eine gewisse Verpflichtung, die Gesamtbranche in eine gute Zukunft zu führen und nicht nur auf unseren eigenen Erfolg zu achten. Natürlich wäre es diesbezüglich oft einfacher, klein zu sein und sich zu verstecken. Auch die grossen Händler übernehmen Verantwortung.
Betrachtet man Migros und Coop bin ich nicht sicher, ob die Produzenten das gleich einschätzen würden.
Natürlich kann man sich im Kleingedruckten entzweien, aber aus meiner Sicht stehen die beiden grossen Schweizer Detailhändler zur Milchproduktion in der Schweiz. Sie gehen mit Themen voran und geben am Markt auch entsprechende Impulse. Zudem halten sich beide an die Richtpreise.
Man kann immer kritisieren, was nicht gut läuft. Aber es ist schwierig, konstruktive Vorschläge zu machen – und davon bräuchte es mehr. In der Milchwirtschaft hat es zu viele, die einfach so im Seitenwagen mitfahren.