Es sei ja niemand gezwungen, in der Landwirtschaft tätig zu sein, sagte kürzlich der Vertreter einer grossen Nahrungsmittelfirma in einer Gesprächsrunde mit Bauern und anderen Beteiligten aus dem Ernährungssektor. Anlass zu dieser Aussage gab ihm ein Landwirt, der beklagt hatte, dass auf vielen Betrieben das Geld nicht ausreicht, um die Sozialversicherung zu berappen.
Bestellen bei der Landwirtschaft
Nun, aus seinem Blickpunkt betrachtet hat er sicher recht, der selbstsichere junge Mann aus der Verarbeitung. Seine Aussage ist typisch für die aktuell vorherrschende Haltung gegenüber der Landwirtschaft. Man kann hier wie im Gemischtwarenladen alles bestellen. Erwartet wird die Lieferung subito, ökologisch frei von Nebenwirkungen und ohne Zusatzkosten.
Bauern sollen gefälligst dankbar sein
Diese Erwartungshaltung passt zu unserem Land. Wir geniessen amtlich beglaubigt die vierthöchste Ernährungssicherheit weltweit. Milch, Honig und sauberes Trinkwasser fliessen im Verhältnis zum Einkommen nirgends so günstig auf dem ganzen Globus. Es ist ein kleines Paradies mit glücklichen Bauern, die gefälligst dankbar sein sollen für die Almosen vom Tisch der reichen Mitbürger. Und was wir dann nicht mehr selber produzieren können, wird halt eingeführt, selbstverständlich durchwegs in Bioqualität.
Die Stimm-Kauf-Lücke
Die Landwirtschaft kann da noch lange auf den Sachverhalt pochen, dass der Biokonsum bei mageren 12 Prozent verharrt. Die frustrierten Umsteller, welche gerne in den Biomilch-Kanal liefern möchten aber nicht können, sind nur die letzten lebendigen Beispiele für die Bauernopfer in dieser gesellschaftlichen Grosswetterlage. Die Wissenschaft hat bereits den passenden Begriff dafür: Vote-Buy-Gap, die Stimm-Kauf-Lücke, oder anders gesagt die Differenz zwischen dem Verhalten an der Urne, wo man grün einwirft und im Laden, wo man konventionell einkauft.
Ein undankbares Volk
Die Frustration über diese Verhaltensungleichheit ist vollkommen nachvollziehbar. Nur wird man sich wohl damit abfinden müssen. Irgendwie erinnert die Situation ein wenig an ein paar Zeilen aus dem Werk von Bertolt Brecht: «Das Volk hat das Vertrauen der Regierung verscherzt. Wäre es da nicht doch einfacher, die Regierung löste das Volk auf und wählte ein anderes?» Ersetzt man in dieser ironisch gemeinten Frage des deutschen Schriftstellers «die Regierung» mit den Bauern, dann ist man dort, wo viele Landwirte heute gefühlsmässig wohl stehen. Nicht nur in der Schweiz, sondern auch im umliegenden Ausland. Die Demonstrationen in Deutschland, Frankreich und Holland zeugen von dieser Frustration. Das undankbare Volk will nicht zur Kenntnis nehmen, dass man es ernährt. Im Gegenteil, es spuckt den Landwirten noch in die Suppe.
Konfrontation ist eine natürliche Reaktion
So verständlich die Frustration, so unmöglich ist der Ersatz der bestehenden Kundschaft mit durchwegs dankbaren Essern. Abgesehen davon, dass längst nicht alle Konsumenten unzufrieden sind, müssen wir uns abfinden mit der Gesellschaft, die uns umgibt. Die natürliche Reaktion in dieser Ausgangslage ist, die Konfrontation zu suchen. Nur stellt man beispielsweise in den sozialen Medien nach kurzer Zeit aber fest, dass eine kämpferische Auseinandersetzung in der Regel wenig zielführend ist und noch mehr Frustration hinterlässt.
Ausreden lassen und erklären
Aussichtsreicher scheint ein Vorgehen, das auf Verständnis für die Lage der heutigen Kundschaft baut, so schwer es auch scheinen mag. Auch dem Durchschnittsbürger wird heute nichts geschenkt, der gesellschaftliche Konkurrenzkampf ist flächendeckend hart. Er und sie wollen angehört und verstanden werden. Diese Bedenkenträger gilt es ausreden zu lassen und auf ihre Anliegen einzugehen. So kann fruchtbarer Boden entstehen für die Platzierung von sachlichen Gegenargumenten. Gehen wir raus aus der Verteidigungsposition und erklären wir, warum Landwirtschaft kein beliebiger Job, den man locker aufgibt, sondern eine Passion ist, die nicht nur grosse Opfer fordert, sondern auch viel Befriedigung bereithält.
Gegenseitiges Vertrauen schaffen
Für solche Vorsätze ist die besinnliche Zeit zwischen den Jahren wohl kein schlechter Moment. Das Feinste vom Feinen kommt auf den Tisch. Man trifft Verwandte und Bekannte auch von ausserhalb der Landwirtschaft. Lassen Sie sie teilhaben an ihrem Leben und nehmen Sie teil an ihren Sorgen. Damit lässt sich eine gute Basis für gegenseitiges Verständnis schaffen, das radikalen Vorstössen aus dem Traumland den fruchtbaren Boden entziehen kann. In diesem Sinn wünsche ich Ihnen frohe Festtage und im kommenden Jahr viel Glück, Gesundheit und Gelassenheit.