Ende Juni übergab einer der schweizweit bekanntesten «Söieler», Prof. Dr. med. vet. Xaver Sidler, Abteilungsleiter Schweinemedizin am Tierspital der Universität Zürich, das Zepter an Nachfolger Dolf Kümmerlen.

Xaver Sidler, weshalb zog es Sie eigentlich vor 17 Jahren als praktizierender Tierarzt an die Uni Zürich?

Xaver Sidler: Midlife-Crisis oder Lust auf etwas Neues? Ich weiss es nicht. Aber auf jeden Fall habe ich einen genialen Job als Praktiker gegen einen noch viel spannenderen eingetauscht.

Gab es damals überraschte Rückmeldungen, dass ein erfahrener Praktiker noch «Schweineprofessor» werden soll?

Ja, schon, denn es ist nicht üblich, dass ein Praktiker an eine Uni berufen wird und dann im Alter von 50 Jahren noch eine Habilitation in Angriff nimmt. Ich wollte aber eine Habilitation machen, um nicht als «Erbschleicher» zu gelten, sondern auf Augenhöhe mit den Herren Professoren mitzudiskutieren. Wer einen solchen Job an der Uni annimmt, verpflichtet sich auch, in der Forschung tätig zu sein. Und Fragestellungen, welche gelöst werden wollen, gibt es ja mehr als genug.

 

«Es ist nicht üblich, dass ein Praktiker an eine Uni berufen wird.»

 

Was war denn der grosse Themenschwerpunkt in Ihrer Arbeit in den vergangenen Jahren?

Mir fielen zwei goldene Kälber vor die Füsse. Einerseits ging es um die schmerzfreie Ferkel-kastration und andererseits hat das porcine Circovirus in der Schweiz seit 2004 Einzug gehalten.

Die Schweiz fährt bei Tierwohl, Zucht und der Gesundheit eine Qualitätsstrategie. Was sagen Sie als Veterinär dazu?

Die Schweineproduzenten in der Schweiz haben gar keine andere Möglichkeit, als sich über die Qualitätsstrategie zu definieren, denn mit den Billigprodukten aus dem Ausland können und wollen wir in der Schweiz nicht mithalten. Es wird immer Konsumenten geben, die zwar Tierwohl, Tiergesundheit und nachhaltige ökologische Produktion fordern, aber ihr Einkaufsverhalten nicht nach diesen Grundsätzen ausrichten.

Im Herbst stimmen wir trotzdem über die Massentierhaltungs-Initiative (MTI) ab. Wie beurteilen Sie die Tierhaltung auf den Schweizer Betrieben?

Im Vergleich zum Ausland sind wir diesbezüglich sehr gut aufgestellt. Es gibt aus meiner Sicht kein Land auf der Welt mit solch hohen Auflagen. Ich habe in meiner Tätigkeit an der Uni in mehr als 20 Ländern Einsicht in die Schweineproduktion nehmen dürfen. Die MIT fordert die Produktion nach Biostandards und eine weitere Beschränkung der Bestandsgrössen. Der durchschnittliche Schweinebetrieb hält derzeit 240 Schweine, wobei die Betriebsgrössen nach oben gesetzlich bereits limitiert sind. Die Initiative suggeriert, dass in schweizerischen Grossbetrieben Tiergesundheit und Tierwohl schlechter sind als in kleineren Betrieben, was nach meiner Erfahrung überhaupt nicht stimmt. Zudem gibt es ja bereits ein Bioangebot, welches aber von den Konsumenten nur schlecht genutzt wird. Zudem muss klar und deutlich gesagt werden, dass nach Biorichtlinien produziertes Schweinefleisch aus ökologischer Sicht schlechter abschneidet als konventionell produziertes. Die Initiative ist aus meiner Sicht völlig unnötig, ja sogar gefährlich.

Wo gibt es bei der Haltung, beim Tierwohl Verbesserungspotenzial?

Das grösste Potenzial sehe ich in der Verbesserung der Klauen- und Schwanzgesundheit.

Sie prägten den Spruch, dass bei der Afrikanischen Schweinepest die Frage nicht ob, sondern wann sei. Wie beurteilen Sie die Situation aktuell?

Stimmt immer noch zu 100 Prozent! Wir haben Anfang Jahr in Deutschland oder Italien gesehen, wie schnell sich die Schweinepest über Personen-, Tier- und Warenverkehr über Hunderte von Kilometern ausbreiten kann. Diese Gefahr schätze ich derzeit weit gefährlicher ein als die Einschleppung über Wildschweine, obwohl der Ausbruch in Italien nur rund 150 Kilometer von der Schweizer Grenze entfernt liegt und wir uns vor Augen halten müssen, dass die Regionen im Südtessin und am Genfersee sehr wildschweinedicht sind.

Könnte die hiesige Branche denn einen Ausbruch meistern?

Schwierige Frage. Ein Ausbruch bei den Hausschweinen ist viel einfacher zu bekämpfen als ein Ausbruch bei den Wildschweinen. Sowohl bei Hausschweinen, aber noch viel mehr bei den Wildschweinen ist entscheidend, dass ein potenzieller Ausbruch möglichst früh erkannt und entschieden bekämpft wird!

Was haben Sie Ihrem Nach-folger Dolf Kümmerlen mit auf den Weg gegeben?

Durch seine diversen Tätigkeiten wie Postdoc bei Werner Zimmermann, Mitarbeiter beim SGD und Leiter SGD Ostschweiz und Nutztierpraktiker in der Ostschweiz sowie sein Engagement im Rahmen der Plusprogramme, kennt er die Schweineproduktion in der Schweiz sehr gut. Dass ein Draht zur Basis wichtig ist, ist ihm ebenfalls bewusst. Ich wünsche ihm auf jeden Fall viel Erfolg und ebenso viel Goodwill, wie ich erfahren durfte.

Jetzt sind Sie im «Ruhestand». Bleiben Sie der Branche in irgendeiner Form erhalten?

Auch wenn noch nichts Konkretes vorliegt: «Die Katze lässt das Mausen nicht!» Ich bin offen, was auf mich zukommt.

 

Zur Person
Xaver Sidler (66), aufgewachsen auf einem kleinen Milchwirtschaftsbetrieb mit Dorfladen im Luzernbiet, studierte Veterinärmedizin an der Uni Bern. Zwischen 1991 und 2003 war er Teilhaber der Praxis Ineichen Küng Sidler AG in Gunzwil und Beromünster (Gross- und Kleintierpraxis). Danach Inhaber der AG für Tiergesundheit in Gunzwil, eine Grosstierpraxis mit vier bis sechs Tierärzten. 2005 dann der Wechsel als Abteilungsleiter Schweinemedizin, Vetsuisse-Fakultät Zürich. 2013 folgte die Habilitation über das porcine Circovirus Typ 2 (PCV2). Forschungsschwerpunkte waren nebst ebendiesem Virus der Antibiotikumeinsatz und die Resistenzausbreitung. Xaver Sidler war unter anderem 20 Jahre Präsident der Schweizerischen Vereinigung für Schweinemedizin und von 2005 bis 2020 Mitglied der Fachkommission Gesundheit des Schweizerischen Schweinegesundheitsdienstes (SGD). Xaver Sidler, wohnhaft in Rickenbach LU, ist verheiratet und Vater von vier erwachsenen Kindern.