Das Schweizer Nationalgestüt ist momentan auf Sparkurs und scheint auch personell einige Turbulenzen zu durchlaufen. Laut Marc Andrey, Kommunikationsleiter von Agroscope, ist die strikte Befolgung der Tierzuchtverordnung ausschlaggebend für den Abbau von Angeboten. Der Schweizerische Freibergerverband sowie die Freibergerzüchter sollen nun in die Bresche springen.
Herr Andrey, das Nationalgestüt (SNG) wird aus Spargründen den Hengstbestand bis 2030 von 60 auf 45 Tiere reduzieren. Kann so der Auftrag der Rassenerhaltung und der Erhaltung der genetischen Vielfalt noch gewährleistet werden?
Marc Andrey: Das ist korrekt, eine der Hauptaufgaben des Schweizer Nationalgestüts besteht darin, die genetische Vielfalt der Freiberger zu fördern und langfristig zu erhalten. Mit den künftig 45 Hengsten und den eingefrorenen Samen von 150 Hengsten kann die genetische Vielfalt der Rasse vollumfänglich erhalten werden. Ob und wie die Züchterinnen und Züchter diese vorhandene Vielfalt nutzen, entscheiden letztlich sie. Das Schweizer Nationalgestüt wird auch künftig nach Bedarf Freibergerhengste ankaufen. Für 2024 planen wir, einen Junghengst zu kaufen.
Sie verweisen auf die noch vorhandenen Gefriersamen von Freiberger-Deckhengsten. Widerspricht dies nicht der züchterischen Realität, wird doch beim Freiberger noch überwiegend per Natursprung gedeckt?
Agroscope macht den Freibergerverband schon länger darauf aufmerksam, dass sich die Zucht vermehrt in Richtung künstliche Besamung öffnen sollte. Diese hätte verschiedene Vorteile: Wie die Gefahr von Verletzungen für die Tiere zu reduzieren, eine breitere Auswahl von noch lebenden und bereits verstorbenen Hengsten sowie Tieren, die nicht mehr in der Zucht eingesetzt werden oder nicht mehr in unserem Besitz sind. Kurz, ein positiver Effekt auf den Erhalt der genetischen Vielfalt. Agroscope stellt die wissenschaftliche Grundlage und eine breite Genetik zur Verfügung. Die Züchter(innen) entscheiden jedoch selber, wie sie diese nutzen.
Sie sprechen von der wissenschaftlichen Grundlage, die Agroscope bietet. Ein Gestüt ist per Definition ein Betrieb, der Pferde züchtet. In Avenches scheint jedoch die Forschung immer stärker in den Vordergrund zu rücken, zulasten der züchterischen Aufgabe – wie ist dies zu begründen?
Die Aufgaben, die das SNG zu erbringen hat, sind in der Tierzuchtverordnung geregelt: Erhaltung der genetischen Vielfalt der Freibergerrasse, Forschung und Wissensaustausch. Mit der Agrarpolitik 2002 hat sich der Bund aus der Zucht der landwirtschaftlichen Nutztiere zurückgezogen und die Verantwortung vollumfänglich den anerkannten Zuchtorganisationen übergegeben. Die Verantwortung der Zucht für das Freibergerpferd obliegt nun also dem Schweizerischen Freibergerverband. Agroscope unterstützt den Verband in fachlicher Hinsicht, beispielsweise in der Anpaarungsplanung oder der Vermeidung von Erbkrankheiten. In der Schweiz werden jährlich rund 1700 Freibergerfohlen geboren. Von diesen stammen rund ein Drittel von Hengsten des SNG und zwei Drittel von Hengsten in Privatbesitz ab. Die Zucht funktioniert also schon heute grösstenteils mit Hengsten von Privathaltern. Ich möchte betonen, dass Agroscope auch künftig viele Aufgaben für den Freiberger übernimmt. Wir sind aber auch verpflichtet, diese so effizient und effektiv wie möglich zu erfüllen.
Können Sie etwas darüber sagen, wie sich die Zusammenarbeit mit dem Schweizerischen Freibergerverband gestaltet?
Wir pflegen einen regelmässigen Austausch und es gibt verschiedene gemeinsame Projekte für den Erhalt der Freiberger Rasse und die Unterstützung der Züchterinnen und Züchter. Aufgrund der jüngsten Sparmassnahmen gab es verschiedene Gespräche mit dem Freibergerverband. Wir stellen fest, dass nicht alle Exponenten genau wissen, welche Aufgaben das SNG gemäss Tierzuchtverordnung zu erfüllen hat, oder diese anders interpretieren. Dieses Verständnis müssen wir verbessern. Wir müssen zudem klar aufzeigen, dass die Sparmassnahmen des Bundes auch für Agroscope und das SNG gelten.
Momentan sind zwei Hengste des SNG in kostspieliger Ausbildung bei der international renommierten Dressurausbildnerin Anja Beran. Was erhofft man sich von dieser Investition und wie sollen die auf hohem Niveau ausgebildeten Pferde zukünftig in Avenches weiter gefördert werden?
Die Zusammenarbeit mit Anja Beran hat zum Ziel, dass früher vorhandene Kompetenzen im Bereich klassische Dressur, die über die Jahre verloren gingen, wieder aufgebaut werden können. Die Ausbildung von Hengsten auf höchstem Dressurniveau führt einerseits dazu, dass unsere Mitarbeitenden und Lernenden von gut ausgebildeten Pferden profitieren können. Andererseits sind diese Tiere beste Werbung für die Freibergerpferde, wenn wir sie an Vorführungen und Veranstaltungen zeigen. Das wiederum wird den Bekanntheitsgrad der Rasse national und international steigern und das Image weiter verbessern. Die beiden Hengste werden abgesamt und die Gefriersamen stehen den Züchterinnen zur Verfügung. Sie werden voraussichtlich gegen Ende Jahr im Gestüt an einer Lehrveranstaltung vorgeführt werden.
«Die Verantwortung der Freibergerzucht obliegt dem Schweizerischen Freibergerverband»
Marc Andrey, Leiter Kommunikation bei Agroscope.
Aktuell scheint es am Gestüt überdurchschnittlich viele personelle Wechsel zu geben. Wie sind diese einschneidenden Veränderungen zu begründen?
Es ist immer schade, wenn gute und erfahrene Mitarbeitende Agroscope verlassen. Zu Einzelfällen nehmen wir keine Stellung. Die Fluktuationsrate im SNG ist nicht höher als in anderen Bundesinstitutionen. Neue Mitarbeitende bringen jeweils auch neues Wissen ein, was uns ermöglicht, auf dem aktuellen Wissensstand zu bleiben und uns neu zu vernetzen. Schliesslich ändern sich auch die Erwartungen und Herausforderungen der Besitzer von Equiden. Nach wie vor kann Agroscope auf das Know-how von vielen langjährigen Mitarbeitenden im SNG zählen, das aktiv an die jüngere Generation weitergegeben wird. Das Know-how ist auf mehreren Schultern verteilt.
Worin liegen die Gründe, dass das Gestüt Dienstleistungen für Pferdehaltende und -züchter wie das Einreiten und Einfahren von Pferden oder Kursangebote für Pferdeinteressierte nicht mehr anbietet?
Die Ausbildung von Privatpferden gehört nicht zu den Aufgaben des SNG gemäss Tierzuchtverordnung. Wir bieten verschiedene Kurse und andere Formen des Wissensaustausches für Pferdeinteressierte an. Diese richten sich an die gesamte Pferdebranche.
